
„Gegen Energiearmut helfen vor allem strukturelle Lösungen“
Der Tag des Energiesparens am 5. März soll Verbraucherinnen und Verbraucher, Industrie und Politik für ihren Energieverbrauch sensibilisieren. In etwa drei Millionen deutschen Haushalten stellt sich die Frage des Energiesparens jeden Tag: Sie sind von Energiearmut betroffen. Die Politikwissenschaftlerin Prof. Dr. Antonia Graf von der Universität Münster spricht im Interview mit Anke Poppen über Ursachen des Problems und Lösungsansätze.
Was versteht man unter Energiearmut?
Hierzu gibt es keine einheitliche Definition. Gemeint sind Haushalte, deren Energiebedürfnisse nicht erfüllbar sind, die also nicht nach Bedarf heizen oder duschen, ihre Gas- und Stromrechnung nicht bezahlen können. Die Debatte um Energiearmut gibt es schon lange, der Begriff ,Energie-Vulnerabilität‘ ist neu und betrifft mehr Menschen. Er bezieht sich auf die steigenden Preise für fossile Energie und die Unmöglichkeit zur Investition in energetische Sanierung. Das betrifft auch Haushalte, für die Vulnerabilität bislang kein Thema war. 75 Prozent der Wohnhäuser in Deutschland werden aktuell noch fossil beheizt und deren Bewohnerinnen und Bewohner spüren die Kosten.
Wie viele Haushalte in Deutschland sind von Energiearmut betroffen?
Die Zahlen variieren je nach Erhebung. Das Ökoinstitut hat im Auftrag des Umweltbundesamtes Anfang des Jahres neue Daten vorgelegt, demnach betrifft dies etwa zehn Prozent beziehungsweise rund drei Millionen Haushalte. Der Anteil des Einkommens, den Betroffene für Energiekosten aufwenden, ist zu hoch. Ein Kreislauf entsteht: Das Einkommen ist eher niedrig, die Energiekosten steigen, die Menschen können sich nur Wohnungen in schlechter Gebäudequalität und mit unzureichender Sanierung leisten.
Gibt es bestimmte Personengruppen, die besonders an Energiearmut leiden?
Viele Betroffene beziehen nur eine kleine Rente oder sind alleinbeziehend. Wir reden in erster Linie von Frauen. Wie bei allen Diskussionen über Armut ist es wichtig, die verschiedenen Faktoren und ihr Zusammenspiel zu betrachten, etwa Ethnizität, Schicht und Geschlecht. Ob Hilfsangebote ankommen, hängt zum Beispiel auch mit dem Bildungsniveau oder möglichen Sprachbarrieren zusammen.
Welche Hilfsangebote gibt es denn?
Das geplante Klimageld zum Ausgleich der gestiegenen Kosten fossiler Energieträger ist wegen des Scheiterns der Ampel-Regierung nicht realisiert worden. Wie es damit weitergeht, ist unklar. Es gibt natürlich Energieberatungsangebote. Hinzu kommt die Beratung zu finanzieller Förderung etwa beim Heizungstausch. Das sind hilfreiche Ansätze, doch auch hier muss man genauer hinschauen, wer das Angebot wahrnehmen kann. Die Möglichkeiten für Menschen mit niedrigeren Einkommen sind auch mit Förderung begrenzt. Für einen alleinerziehenden Vater am Stadtrand ist es logistisch wie zeitlich eine Herausforderung, eine Beratung im Stadtzentrum aufzusuchen.
Die Betroffenen werden in der Regel zur Miete wohnen, da kann man am Gebäude selbst nicht viel ausrichten…
So ist es. Als Mieterin kann ich mich nicht für eine energetische Sanierung entscheiden, meine Möglichkeiten sind begrenzt. Der große Sanierungsbedarf rückt mehr Menschen in den Bereich der Energie-Vulnerabilität, wobei Personen mit höherem Einkommen trotz großen Verbrauchs anteilig weniger Einkommen für ihren Energiebedarf aufwenden als Geringverdiener.
Verlieren oder profitieren energiearme Menschen eher von der Energiewende?
In der Tendenz werden die Kosten fossiler Energie weiter steigen, erneuerbare Energie wird günstiger. Einkommensschwache Menschen können also von der Energiewende profitieren, wenn sie Zugang zu entsprechend saniertem Wohnraum haben. Aktuell ist, wie gesagt, eher das Gegenteil der Fall. Es bedarf also struktureller Lösungen. Viele Städte haben das Problem erkannt. Kommunen legen entsprechende Programme auf – hier zeichnen sich viele Synergien ab, mit den Bemühungen klimaneutral zu werden. Außerdem werden Richtlinien der EU in nationales Recht umgesetzt – es ist also einiges in Bewegung.
Bisher haben wir nur auf Deutschland geschaut. Global betrachtet hat Energiearmut sicher noch ganz andere Ausmaße, oder?
Das stimmt. Die Internationale Energie Agentur gibt an, dass 785 Millionen Menschen keinen Zugang zu Elektrizität haben. Etwa 2,6 Milliarden kochen mit Brennstoffen, die ihre Atemwege belasten – das sind natürlich andere Dimensionen.