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Münster (upm/anb).
Als moderner Papyrologe nutzt Patrick Sänger vor allem digitalisierte Quellen für seine Forschung – doch manchmal lohnt sich für ihn der Griff zum (eingerahmten) Original aus dem antiken Ägypten.<address>© WWU - Michael Möller</address>
Als moderner Papyrologe nutzt Patrick Sänger vor allem digitalisierte Quellen für seine Forschung – doch manchmal lohnt sich für ihn der Griff zum (eingerahmten) Original aus dem antiken Ägypten.
© WWU - Michael Möller

Altes Ägypten neu entdeckt

Die Forschungsstelle Papyrologie wird mit einem Festakt am 21. Oktober offiziell eröffnet

Die Digitalisierung macht auch vor den altehrwürdigen Altertumswissenschaften keinen Halt. Das beweist der Blick in das ausgesprochen gewöhnliche Büro von Prof. Dr. Patrick Sänger im Fürstenberghaus, dessen wichtigstes Arbeitsgerät der PC ist. Zwar hat der gebürtige Wiener zu Anschauungszwecken jahrhundertealte Papyrusfragmente vor sich liegen, doch typisch für seinen Arbeitsalltag ist die materielle Anwesenheit der Originale nicht. Denn der Papyri-Experte arbeitet vor allem mit Digitalisaten, die große und kleine Papyrussammlungen der Forschung zur Verfügung stellen. Um diese in Münster voranzutreiben, nahm Anfang 2022 die Forschungsstelle Papyrologie unter seiner Leitung ihre Arbeit am Seminar für Alte Geschichte auf. In einem Festakt wird die Forschungsstelle am 21. Oktober (17 Uhr) im Fürstenberghaus nun offiziell der Öffentlichkeit vorgestellt.

Patrick Sänger ist seit 2018 Professor für Alte Geschichte an der WWU. Dass er vor wenigen Monaten in Münster die Forschungsstelle gründete, ist seiner großen Forschungserfahrung in Wien – dort verfügt die Österreichische Nationalbibliothek mit etwa 180.000 Papyri über eine der größten Sammlungen ihrer Art weltweit – und andernorts zu verdanken. Zwar biete die Arbeit mit Originaltexten einen besonderen Reiz, so Patrick Sänger. Aber die elektronisch abrufbaren Papyri sowie die Veröffentlichung von Abertausenden Papyri in den einschlägigen Publikationsreihen würden den Experten der Forschungsstelle ausreichend Untersuchungsmaterial verschaffen. Deswegen sei es auch zu verschmerzen, dass die WWU beziehungsweise deren Archäologisches Museum selbst nur über neun Originalpapyri verfügt, betont der Althistoriker. Außerdem werde „die Erschließung neuer Texte noch mehrere Forschergenerationen in Atem halten“, weil die meisten Papyri unbearbeitet sind und in den verschiedenen Sammlungen der Welt auf ihre Entdeckung warten. „Die Papyrologie ist wahrscheinlich die Textwissenschaft, die auf dem Gebiet der Klassischen Altertumswissenschaft momentan auch ohne weitere Ausgrabungen den größten Quellenzuwachs verspricht“, fügt der Experte für griechisch-römische Antike hinzu.

Papyrusfunde gab es vor allem in Wüstengebieten Ägyptens, wo jene heißen und trockenen Bedingungen vorherrschen, die die Voraussetzung für die Erhaltung des Materials bilden. Den genaueren Fundkontext stellen dabei meistens antike Müllhalden dar – was die Besonderheit der Quellengattung Papyrus erklärt.

„Papyri ermöglichen eine Geschichtsschreibung von unten, da sie für Privatleute aller Geschlechter und aller Altersgruppen, sogar Kinder, das übliche Kommunikationsmittel darstellten und im alltäglichen Geschäfts- und Rechtsleben sowie im Verwaltungswesen als maßgebendes Dokumentationsmedium dienten“, erläutert Patrick Sänger. Damit sind dokumentarische Papyri gemeint, auf die die meisten Funde entfallen – beispielsweise Briefe verschiedener Genres, Kauf-, Miet-, Ehe- oder Scheidungsverträge und Steuerunterlagen. Hiermit könne eine Perspektive auf die antike Lebenswelt eröffnet werden, die unabhängig von den Ausführungen gelehrter griechischer oder römischer Schriftsteller oder der Stimme des jeweiligen Herrschers sei. Wichtig dafür seien zudem die zahlreich überlieferten literarischen oder semiliterarischen Papyri; letztere betreffen etwa die Bereiche Magie, Wissenschaft oder Erziehung. „Mit kaum einem anderen Quellenmaterial kommt man den Menschen der Antike so nahe wie mit den Papyri“, unterstreicht Patrick Sänger.

Schon vor der Gründung der Forschungsstelle engagierte sich der 43-Jährige für die Stärkung der Papyrologie an der WWU. Er etablierte eine Herbst- und Frühlingsschule zur Quellengattung, zudem trifft sich einmal im Monat ein studentischer Arbeits- und Lesekreis, um mit Unterstützung von Patrick Sänger und der Kölner Papyrologin Prof. Dr. Charikleia Armoni griechische Originalpapyri zu lesen und zur Publikation vorzubereiten. Mit Prof. Dr. Maren Schentuleit von der Universität Oxford und der münsterschen Koptologin Prof. Dr. Gesa Schenke gibt Patrick Sänger neuerdings eine Schriftenreihe zur Erforschung des nachpharaonischen Ägypten heraus. Die Forschungsstelle hat nun zum Ziel, all diese Initiativen neben den verschiedenen Forschungsagenden zu bündeln und zu institutionalisieren. „Wir leisten damit einen substanziellen Beitrag“, sagt Patrick Sänger, „um die Papyrologie als Kleines Fach am Leben zu halten.“

Dazu gehört ein voraussichtlich 2026 startender (digitaler) Masterstudiengang, den Gesa Schenke und Patrick Sänger betreuen werden. Mit Unterstützung der Volkswagenstiftung und in Zusammenarbeit mit Kölner sowie Heidelberger Papyrusforschern soll so der wissenschaftliche Nachwuchs ausgebildet werden. „Die deutschlandweit einzigartige Professur mit dem Schwerpunkt Papyrologie an einem Seminar für Alte Geschichte, der Studiengang sowie die Forschungsstelle an der Universität Münster sind Alleinstellungsmerkmale, die der Papyrologie und ihrem Gegenstand, den Papyri, als wichtigem Teil des kulturellen Erbes zu großer Sichtbarkeit verhelfen werden“, ist Patrick Sänger überzeugt.

Autor: André Bednarz

Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 6, 12. Oktober 2022

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