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Münster (upm/bhe)
Je nach Standort des Betrachters variiert das Bildmotiv: Dieses „Duale Objekt“ des 2018 verstorbenen Künstlers Prof. Dr. Ernst Helmstädter begrüßt Studierende und Beschäftigte im Nordflügel der zweiten Etage im Schloss auf dem Weg in den Hörsaal beziehungsweise ins Büro.<address>© WWU - MünsterView</address>
Je nach Standort des Betrachters variiert das Bildmotiv: Dieses „Duale Objekt“ des 2018 verstorbenen Künstlers Prof. Dr. Ernst Helmstädter begrüßt Studierende und Beschäftigte im Nordflügel der zweiten Etage im Schloss auf dem Weg in den Hörsaal beziehungsweise ins Büro.
© WWU - MünsterView

Eine Frage der Perspektive

Teil 1 der Serie "Kunst an der WWU": Im Schloss hängen mehrere "Duale Objekte" von Ernst Helmstädter

Wer dieses Bild nur aus einer Perspektive betrachtet, verpasst das Beste. Denn erst daran entlangzugehen, bringt es in Bewegung. Sind das Ecken oder Einbuchtungen? Je nachdem aus welchem Blickwinkel jemand ein Kunstwerk betrachtet, kann die Antwort anders aussehen. Das wird deutlich am „Dualen Objekt“ im Nordflügel der zweiten Etage im Schloss. Wer die Treppe hinaufsteigt, sieht das abstrakte Werk schon von weitem leuchten. Die vier auf die Spitze gedrehten Quadrate in der Mitte des Bildes und auch die Farben ändern sich, während der Betrachter an dem etwa einen mal einen Meter großen Kunstwerk vorbeiflaniert. Eine optische Täuschung. Der Künstler Prof. Dr. Ernst Helmstädter (1924 - 2018) hat es in seiner bedeutendsten Einzelausstellung zu Lebzeiten gezeigt, die im September 1984 unter dem Titel „Duale Objekte. Faltreliefs – Collagen – Siebdrucke“ im Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken in Bonn zu sehen war.

Weiter hinten im Flur sind seit August zwei größere Objekte aus dieser Reihe an gegenüberliegenden Flurseiten zu sehen. Im Sommersemester erhalten die drei Dauerleihgaben Gesellschaft: Die Familie des Künstlers hat der WWU rund 100 Werke aus seinem Nachlass vermacht, darunter Drucke, Zeichnungen und Vorstudien. Aktuell ist eine Auswahl aus dieser Schenkung auf den Fluren der zweiten und dritten Etage im Nordflügel zu sehen und vermittelt einen Eindruck von Ernst Helmstädters Werk.

Wie der Mensch, so die Kunst?

Im Hauptberuf Wirtschaftswissenschaftler an der Universität Münster, war Ernst Helmstädter von 1983 bis 1988 einer der fünf Wirtschaftsweisen der Bundesregierung. Ein Forschungsaufenthalt an der US-amerikanischen Harvard-Universität im Jahr 1969 verstärkte sein Interesse an der Kunst. Besonders das Schaffen von M. C. Escher (1898 - 1972) beeindruckte ihn, mit seinen unendlich scheinenden Treppen, unmöglichen Figuren und in seiner Genauigkeit. Denn auch Ernst Helmstädter muss eine gewisse Perfektion und Akribie zu eigen gewesen sein. Kunsthistoriker Dr. Eckhard Kluth liest das an der Art ab, wie er den Dingen ihre Form gegeben hat und mit welchem Material er sich selbst herausforderte. „Typisch sind exakt gearbeitete Collagen aus so feinem Papier, dass schon das Trocknen des Klebers haarfeine Risse verursachen konnte“, erläutert der Kustos der WWU. Seine Siebdrucke habe der Künstler nur einer einzigen Druckerei anvertraut. „Für manche Collagen verwendete er Spiegelfolie. Die ist ebenfalls heikel zu bearbeiten, da man jeden Kratzer, jede Ungenauigkeit sofort sehen würde.“

Das „Duale Objekt“ im Flur ist aus robusterem Material. Es besteht aus 18 vertikal nebeneinander montierten Metallwinkeln, die in sieben verschiedenen Blockfarben lackiert sind und sich je nachdem zu mindestens drei verschiedenen Motiven ergänzen: Von der linken Seite aus gesehen zeigt es zwei ineinander verschlungene Elemente mit gelbem Kern, von der anderen Seite aus zwei ineinander verschlungene Elemente mit rotem Kern. Steht man vor dem Kunstwerk, erscheinen vier unterbrochene Quadrate, die in der Bildmitte auf ihrer Spitze balancieren. Im Katalog der Bonner Ausstellung kommt der Künstler selbst zu diesem Werk zu Wort: „Ein Faltrelief enthält auf den beiden Seiten einer gefalteten Fläche je ein Bildmotiv. Hieraus ergibt sich ein Zusammenspiel von Form und Farbe, das vom Standort des Betrachters bestimmt wird. Die Bewegung des Betrachters bringt auch Bewegung in das Bild.“

Einige seiner Werke verwendete Ernst Helmstädter für Buchcover seiner wissenschaftlichen Veröffentlichungen. Als Vorsitzender des Senatsausschusses für Kunst und Kultur war er nach seiner Emeritierung auch Kunst-Ermöglicher für Studierende, etwa bei den regelmäßigen „UniKunstTagen“. Für sein Engagement verlieh ihm die Universität 1999 die Ehrensenatorwürde. Inwiefern seine künstlerische Herangehensweise auch seine wissenschaftliche Arbeit beeinflusst hat (oder umgekehrt), ist nicht überliefert, wäre Eckhard Kluth zufolge aber ein dankbares Forschungsthema. Ernst Helmstädters Aufforderung, ab und zu die Perspektive zu ändern und dadurch die Dinge um sich herum anders wahrzunehmen, ist eine Inspiration für den eigenen Alltag.

Kunst an der WWU

Die WWU verfügt über einen stetig wachsenden Bestand an Kunstwerken. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden zahlreiche Werke als Teil des Programms „Kunst am Bau“ und zur Erstausstattung angekauft. Regionale Künstler stehen dabei gleichberechtigt neben Künstlern von nationalem und internationalem Rang. Hinzu kommen zahlreiche Schenkungen aus allen Gattungen. Wir stellen Ihnen in den kommenden Monaten einige Kunstwerke in einer neuen Serie vor.

 

Autorin: Brigitte Heeke

Dieser Text stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 2, 6. April 2022.

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