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Viele Gemeinsamkeiten verbinden Beatrice Schuchardt (l.) und Pia Doering, nicht zuletzt das Fachgebiet: Die Universitätsgesellschaft zeichnete die beiden Romanistinnen mit dem Förderpreis 2021 aus.<address>© WWU - Peter Leßmann</address>
Viele Gemeinsamkeiten verbinden Beatrice Schuchardt (l.) und Pia Doering, nicht zuletzt das Fachgebiet: Die Universitätsgesellschaft zeichnete die beiden Romanistinnen mit dem Förderpreis 2021 aus.
© WWU - Peter Leßmann

Doppelte Ehre für die Romanistik

Universitätsgesellschaft vergibt den Förderpreis 2021 an zwei Literaturwissenschaftlerinnen

Lehren, forschen, recherchieren und schreiben an der Habilitation – eine Mammutaufgabe. Für Dr. Pia Doering und Dr. Beatrice Schuchardt kam in der Coronapandemie das Homeschooling der Kinder hinzu. Dies wirft ein besonderes Licht auf die ohnehin eindrucksvolle Forschung der Preisträgerinnen. Hanna Dieckmann porträtiert die Literaturwissenschaftlerinnen, die die Universitätsgesellschaft in diesem Jahr mit ihrem Förderpreis ausgezeichnet hat.

Beatrice Schuchardt
Die Ökonomie in spanischen Komödien

Dass sich Literaturwissenschaftler oft die Frage nach dem alltagspraktischen Nutzen ihrer Arbeit gefallen lassen müssen, empfindet Dr. Beatrice Schuchardt als ungerechtfertigt. Umso mehr bedeutet ihr daher die Auszeichnung mit dem Förderpreis. "Forschungen wie meine zeigen, dass Literatur kein dem Selbstzweck dienendes ästhetisches System ist, sondern gesellschaftlich relevante Umbruchprozesse aufzeigt."

Beatrice Schuchardt studierte Romanistik und Anglistik in Düsseldorf, wo sie auch promovierte. Heute lehrt und forscht sie am Romanischen Seminar der WWU und geht dort der Frage nach, wie Wirtschaftstheorie Eingang in literarische Gattungen wie das Theater findet. Beatrice Schuchardt untersucht in ihren Literaturanalysen beispielsweise, wie das Theater im 18. Jahrhundert zur wirtschaftlichen Lehranstalt wurde, indem es das gute und das schlechte Wirtschaften durch berufstätige Männer-, aber auch Frauenfiguren vorführte, die jeweils verschiedene Wirtschaftszweige (Landwirtschaft, Industrie, Handel) repräsentieren.

Bevor sie an die WWU kam, arbeitete sie als wissenschaftliche Assistentin an der Universität Siegen. 2019 folgte sie Prof. Dr. Christian von Tschilschke in dieser Tätigkeit nach Münster, wo sie ihre Habilitation über die Ökonomie in spanischen Komödien der Spätaufklärung beendete. Der Professor für Romanische Philologie zitiert nicht ohne Stolz aus den Gutachten zu Beatrice Schuchardts Habilitation, in denen es heißt, ihre Arbeit sei "ein substanzieller Zugewinn an Erkenntnis für die Erforschung des spanischen 18. Jahrhunderts". Die spanische Aufklärung habe lange als Stiefkind der Romanistik gegolten, sich aber zu einem sehr lebendigen und dynamischen Forschungsfeld entwickelt. "Innerhalb dieses Fachgebiets vermittelt Beatrice Schuchardt eine Reihe wichtiger, ja, grundlegend neuer Einsichten, an denen die Forschung in Zukunft nicht mehr vorbeikommt", betont Christian von Tschilschke.

Beatrice Schuchardt hinterlässt schon jetzt ihre wissenschaftlichen Fußspuren in der Romanistik. Ebenso wichtig ist ihr ein Aspekt, der über ihren persönlichen Erfolg hinausweist. Der diesjährige Förderpreis geht an zwei Romanistinnen – eine doppelte Auszeichnung für das vergleichsweise kleine Fach, aber eben auch für die weibliche Forschung. "Der Preis würdigt exzellente Forschung von Wissenschaftlerinnen mit Kindern in Zeiten der Pandemie – und verleiht so ihrer Bedeutung für die WWU Nachdruck", betont Beatrice Schuchardt.

Pia Doering
Recht und Literatur im Spätmittelalter

"Literatur hat das große Potenzial", betont Pia Doering, "gesellschaftspolitisch, juristisch und ökonomisch relevante Themen differenziert zu beleuchten und in eine breitere Öffentlichkeit zu tragen". Diese Möglichkeiten aufzuzeigen, empfindet sie als wissenschaftlichen Auftrag – als Dozentin am Romanischen Seminar und in ihrer Tätigkeit als Leiterin des Projekts "Religionskritik in der italienischen, französischen und spanischen Novellistik des Mittelalters und der Frühen Neuzeit" am Exzellenzcluster "Religion und Politik". Sie forscht an der Schnittstelle zwischen Recht und Literatur im spätmittelalterlichen Italien. Die Basis für ihren interdisziplinären Ansatz legte sie im Studium der Romanistik, Philosophie und des Öffentlichen Rechts in Münster und Lille. "Aus der überaus fruchtbaren Verbindung von Jura und Romanistik hat Pia Doering einen innovativen Schwerpunkt in der Literatur- und Kulturwissenschaft ausgebildet, der gleichwohl auch Rechtswissenschaftler und -historiker interessiert", erklärt Prof. Dr. Karin Westerwelle, warum sie ihre Kollegin für den Förderpreis vorgeschlagen hat. Pia Doerings Auseinandersetzung mit Giovanni Boccaccios "Decameron", einer Sammlung von 100 Novellen aus der Mitte des 14. Jahrhunderts, sei für ihr Fachgebiet wegweisend. Ihre Habilitation über die Praktiken des Rechts in Novellen könne "den Rang eines der Standardwerke zu Boccaccio innerhalb der Mediävistik gewinnen", betont Karin Westerwelle.

Italien spielt, berichtet Pia Doering, im Mittelalter eine zentrale Rolle für die Weiterentwicklung des Rechts und der Rechtswissenschaft in Europa: "Der Gedanke, dass bei Rechtsbrüchen von Amts wegen – und nicht nur, wenn jemand Anklage erstattet – ermittelt werden muss, stammt aus dieser Zeit." Sie habe sich gefragt, auf welche Weise die mittelalterliche Literatur zentrale Aspekte des Rechtswandels kritisch analysiert und einem größeren Publikum zugänglich macht. "Die Novellen, die ich untersuche, sind vordergründig witzige Erzählungen von Ehebruch, Betrug und Mord. Tatsächlich bieten sie jedoch eine komplexe Beobachtung mittelalterlicher Rechtsphänomene", betont sie. Dass ihre Arbeit mit dem Förderpreis bedacht wurde, bedeutet Pia Doering persönlich, aber auch für ihr Fachgebiet viel. "Ich freue mich, den Preis in dieser schwierigen Zeit bekommen zu haben", unterstreicht sie. Als Dozentin und Mutter sei die Pandemie-Zeit durch digitale Lehre und Homeschooling herausfordernd gewesen. Mit Blick auf die Zukunft reizen sie – wenig verwunderlich – Rechtsfragen auch in anderen romanischen Literaturen und besonders in genderspezifischer Perspektive.

Autorin: Hanna Dieckmann
Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 5, 14. Juli 2021.

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