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Münster (upm/kn)
In einem Felskammergrab fanden WWU-Archäologen die Knochen von 91 Menschen aus der römischen Kaiserzeit.© WWU - Forschungsstelle Asia Minor
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Gute Zähne und wohlgenährt: Grabfund gibt Einblicke in den Alltag antiker Eliten

Archäologen der Universität Münster untersuchen jahrtausendalte Knochen aus der Stadt Doliche

Überraschender Fund: Archäologinnen und Archäologen der Forschungsstelle Asia Minor im Seminar für Alte Geschichte der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU) und des Archäologischen Museums der Stadt Gaziantep haben in der antiken Stadt Doliche im Südosten der Türkei die Überreste von 91 Menschen aus der römischen Kaiserzeit in einem Felskammergrab gefunden. Die Untersuchungen des Grabes und der Knochen bieten Einblicke in das Alltagsleben der sozialen Oberschicht.

Bei Bauarbeiten im heutigen Dorf Dülük am Rande des antiken Stadtgebiets von Doliche durchbrachen Arbeiter im Jahr 2017 die Decke des Grabes. Sofort wurden die münsterschen Wissenschaftler und die Mitarbeiter des zuständigen Museums in Gaziantep hinzugezogen. „Bereits beim ersten Hinabsteigen erkannten wir, dass es sich um einen Glücksfall handelte. Die Knochen der Toten waren noch gut erhalten. Zwar hatten Grabräuber die Bestattungen in der Antike durchwühlt, danach war das Grab jedoch in Vergessenheit geraten und verschüttet worden“, schildert der Archäologe Dr. Michael Blömer von der Forschungsstelle Asia Minor. Das aus dem Fels gehauene Grab besteht aus einer 3,50 mal 4,20 Meter großen zentralen Kammer, von der drei Nischen mit Grablegen abgehen. Neben den Knochen fand das Team Fragmente von Glasgefäßen und Öllampen sowie Goldschmuck. Sie deuten auf eine Nutzung des Grabes im zweiten und dritten Jahrhundert nach Christus hin.

Durch die von Dr. George McGlynn, dem Kurator der Staatssammlung für Anthropologie und Paläoanatomie in München, durchgeführten Knochenuntersuchungen gewannen die Forscher bereits zahlreiche Erkenntnisse über Leben und Tod der Bestatteten. „Das Grab bietet nur zwölf reguläre Bestattungsplätze. Diese wurden demnach mehrfach belegt. Zudem zeigte sich, dass innerhalb des Grabes Skelette umgelagert wurden, um Platz für Neubestattungen zu schaffen“, erklärt Michael Blömer. Die meisten der Skelettteile gehörten zu jungen Frauen und Männern, die jünger als 40 Jahre waren. Die Experten bargen auch Knochen von Kindern. „Die genaue Knochenanalyse lässt Rückschlüsse auf die Lebensumstände der Bestatteten zu. Das Fehlen ausgeprägter Muskeln und die grazilen Knochenstrukturen zeigen, dass sie nicht oder nur wenig körperlich arbeiten mussten. Zudem gibt es keine Hinweise auf Krankheiten, Unterernährung und Vitamin-Mangelerscheinungen. Verblüffend ist vor allem, dass die Zähne keine Spuren von Periodontitis, Kariesläsionen oder Zahnstein aufweisen“, führt George McGlynn aus. Zudem gebe es keine Hinweise auf Entwicklungsstörungen in der Kindheit. Die Ergebnisse lassen daher auf eine gesunde Gruppe schließen, die keinem hartem Arbeitsleben oder weiteren umwelt- beziehungsweise physiologisch bedingten Stresssituationen ausgesetzt war. Es handelt sich bei den Toten vermutlich um Angehörige der sozialen Eliten.

Dennoch bleiben viele Fragen offen. Warum sind beispielsweise so viele Angehörige einer gesellschaftlich höher gestellten Schicht in relativ jungem Alter gestorben? Hinweise auf Verletzungen und Gewalteinwirkungen fehlen. Möglicherweise sind medizinische Faktoren wie tödliche Krankheiten oder eine Epidemie, die an den Knochen keinerlei sichtbare Spuren hinterlassen haben, die Ursache. Zu klären ist zudem, ob die Bestatteten tatsächlich miteinander verwandt sind und über welchen Zeitraum sie im Grab bestattet wurden. Um diese und weitere Fragen zu beantworten, sind in den kommenden Monaten DNA-Analysen, histologische Untersuchungen und Isotopen-Analysen geplant. Eine chemische Untersuchung der Verhältnisse der stabilen Isotopen von Kohlenstoff und Stickstoff aus dem Knochenkollagen soll Aufschlüsse zur Ernährung liefern – zum Beispiel welche Rolle pflanzliches oder tierisches Essen spielte. Zusammen mit dem Palaeogenetiker Prof. Dr. Joachim Burger von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz werden mittels moderner DNA-Sequenzierungsverfahren („Next Generation Sequencing“) Informationen zu Erbgut, Verwandtschaftsbeziehungen, individuellen Eigenschaften wie Haar- oder Augenfarben sowie zu bestimmten Krankheitserregern gewonnen, die möglicherweise Hinweise auf den frühen Tod vieler dieser Gruppe zulassen. Bei dieser Frage können auch mikroskopische Analysen des Zahnzementums helfen, physiologische Stresssituationen durch das Auftreten von Wachstumsstörungen zu identifizieren.

Der seltene Fund so vieler und gut erhaltener Toter bietet die Möglichkeit, Informationen zu wichtigen Aspekten des Alltagslebens der Dolichener Bevölkerung zu gewinnen. „Die interdisziplinäre Aufarbeitung des Grabinhalts ist von großer wissenschaftlicher Bedeutung. Die Zusammenarbeit von Archäologie, Human- und Naturwissenschaften erlaubt uns, neue Fragen zu stellen und ein präzises Bild des antiken Stadtlebens zu gewinnen“, erklärt Grabungsleiter und Althistoriker Prof. Dr. Engelbert Winter von der Forschungsstelle Asia Minor.

Hintergrund:

Bereits seit 1997 wird das internationale Grabungsprojekt in Doliche unter der Leitung von Engelbert Winter von der Forschungsstelle Asia Minor in Kooperation mit dem türkischen Ministerium für Kultur und Tourismus durchgeführt. Die antike Stadt Doliche liegt in der Südosttürkei nahe der türkisch-syrischen Grenze. „Die seit mehr als 20 Jahren an diesem Ort mit Mitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft durchgeführten Forschungen bereichern unser Wissen über die kulturelle, soziale und politische Entwicklung in einer der spannendsten Regionen der antiken Welt“, berichtet Engelbert Winter.

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