
Corona-Pandemie: Verschwörungstheorien statt Falschmeldungen
In Zeiten der Corona-Pandemie haben sogenannte alternative Nachrichtenmedien im deutschsprachigen Raum nur wenige Falschmeldungen (Fake News) verbreitet – stattdessen neigen sie stärker zur Veröffentlichung von Verschwörungstheorien. Zu diesem Ergebnis kommen Kommunikationswissenschaftlerinnen und Kommunikationswissenschaftler der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU) in einer aktuellen Untersuchung. Das vierköpfige Forscherteam unter der Leitung von Prof. Dr. Thorsten Quandt untersuchte 120.000 Posts, die von Anfang Januar bis zum 22. März über den Social-Media-Kanal „Facebook“ veröffentlicht wurden – davon 15.000 von den alternativen Nachrichtenmedien, der Rest von klassischen Medienhäusern. Die Studie ist online erschienen.
Als „alternative Nachrichtenmedien“ werden Angebote bezeichnet, die sich als kritische Gegenstimme und Korrektiv zu journalistischen „Mainstream-Medien“ verstehen und vor allem online aktiv sind. Sie sind in den vergangenen Wochen vermehrt in die Kritik geraten, da ihnen vorgeworfen wird, die Bevölkerung durch gezielte Falschmeldungen zu gefährden. „Unsere Analyse zeigt, dass es, anders als Politiker, Journalisten und die Öffentlichkeit vermuten, kein nennenswertes Maß an frei erfundenen Nachrichten gibt. Vielmehr hat sich gezeigt, dass sich die Alternativmedien während der Corona-Krise gerne die Faktenlage zurechtbiegen und Gerüchte sowie einzelne Verschwörungstheorien verbreiten. Diese Medien vermischen in ihren Veröffentlichungen das Leugnen des Klimawandels, die Flüchtlingskrise, Weltuntergangstheorien und das Coronavirus“, erläutert Thorsten Quandt.
Die Auswertung der Facebook-Daten zeigt auch, dass alternative Nachrichtenmedien Verschwörungstheorien über die Herkunft des Coronavirus verbreiten: Die Chinesen hätten zum Beispiel das Virus als Waffe entwickelt, die verbreitet würde, um den Westen zu zerstören. Damit riefen die Alternativmedien eine beachtliche Anzahl von Reaktionen hervor. „Wir fanden mehrere Fälle, in denen ihre Aussagen an anderer Stelle aufgriffen wurde, beispielsweise in den Youtube-Kanälen von Verschwörungstheoretikern, die als sekundäres Verbreitungssystem dienen. Sie bezeichnen die Botschaften der alternativen Nachrichtenmedien als glaubhaft“, sagt Thorsten Quandt. „Die Alternativmedien können durch die Konstruktion einer widersprüchlichen, bedrohlichen und misstrauischen Weltansicht, die jede ‚offizielle‘ Aussage in Frage stellt, zur öffentlichen Verwirrung beitragen. Bislang fehlen aber Daten über den Zusammenhang zwischen dem Konsum alternativer Nachrichtenmedien und riskantem Verhalten während der Corona-Pandemie.“ Die Diskussion über Verbote solcher Medien sieht Thorsten Quandt jedoch kritisch: „Gerade in Krisenzeiten spiegelt sich die Stärke einer Demokratie in ihren offenen und pluralistischen Debatten.“
In einer zweiten Studie wollen die WWU-Wissenschaftler die Facebook-Veröffentlichungen der klassischen Nachrichtenmedien untersuchen und mit denen der Alternativmedien vergleichen.
Originalpublikation:
Boberg, S.; Quandt, T.; Schatto-Eckrodt, T.; Frischlich, L. (2020). Pandemic Populism: Facebook Pages of Alternative News Media and the Corona Crisis – A Computational Content Analysis. ArXiv: 2004.02566 [Cs.SI], http://arxiv.org/abs/2004.02566.