|
Münster (upm/jah)
Mit dem Sonderforschungsbereich an der WWU beschäftigt sich zum ersten Mal ein Großprojekt innerhalb der deutschsprachigen Forschungslandschaft mit dem Verhältnis von Recht und Literatur.<address>© Aerial Mike / AdobeStock.com</address>
Mit dem Sonderforschungsbereich an der WWU beschäftigt sich zum ersten Mal ein Großprojekt innerhalb der deutschsprachigen Forschungslandschaft mit dem Verhältnis von Recht und Literatur.
© Aerial Mike / AdobeStock.com

"Es werden sich ungewöhnliche Möglichkeiten der Zusammenarbeit ergeben"

Klaus Stierstorfer über Ziele und Inhalte des neuen Sonderforschungsbereichs "Recht und Literatur"

Seit dem 1. Juli vergangenen Jahres untersucht der Sonderforschungsbereich (SFB) „Recht und Literatur“ an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU) die beiden Leitfragen „Braucht die Literatur das Recht?“ und „Braucht das Recht die Literatur?“. Gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, widmen sich Forscher der Literatur- und Rechtswissenschaft diesem wachsenden und für Europa wichtigen Forschungsfeld. Anlässlich der offiziellen Eröffnungsfeier am 20. Januar erläutert der Sprecher des SFB, Prof. Dr. Klaus Stierstorfer, im Gespräch mit Jana Haack die Ziele und Inhalte der interdisziplinären Forschungseinrichtung.

Die Zusammenarbeit von Rechts- und Literaturwissenschaftlern ist eher ungewöhnlich. Was genau wollen Sie erforschen?

Prof. Dr. Klaus Stierstorfer, Sprecher des SFB "Recht und Literatur"<address>© Friederike Stecklum</address>
Prof. Dr. Klaus Stierstorfer, Sprecher des SFB "Recht und Literatur"
© Friederike Stecklum
Das gilt für den kontinentaleuropäischen Kulturraum, an angloamerikanischen Universitäten hingegen gibt es die Kooperation von Literatur- und Rechtswissenschaften schon länger, vor allem aufgrund der sogenannten case-law-Tradition. Im Fallrecht stützt sich die Rechtsfindung primär auf die frühere Rechtsprechung in vorangegangenen vergleichbaren Fällen. Bei diesen Urteilen sind – insbesondere, wenn sie besonders alt sind – auch die stilistischen und rhetorischen Besonderheiten zu berücksichtigen, wofür sich Juristen gerne mit Literaturwissenschaftlern beraten. Umgekehrt gab und gibt es viele ‚Dichterjuristen‘, die in ihren literarischen Texten Rechtsprobleme behandeln, die zu erkennen rechtshistorische Kompetenzen erfordert – Beispiele sind Heinrich von Kleists Der Zerbrochene Krug oder Theodor Storms Der Doppelgänger. Es gibt aber auch aktuelle Probleme und Fragestellungen, für die eine Kooperation zwischen Juristen und Literaturwissenschaftlern erforderlich ist, so bei der Zensur fiktionaler Texte, die zugleich reale Personen darstellen und dabei das Persönlichkeitsrecht zu verletzen scheinen oder bei Fragen der Buchpreisbindung.

Worin liegt das Potenzial dieser interdisziplinären Zusammenarbeit für die Forschung und die Gesellschaft?

Mit dem münsterschen SFB beschäftigt sich zum ersten Mal innerhalb der deutschsprachigen Forschungslandschaft ein Großprojekt mit dem an amerikanischen und britischen Universitäten selbstverständlichen Feld Recht und Literatur. Dadurch kann die hiesige Forschung an internationale Standards anschließen und sie in den nächsten Jahren mitgestalten. Darüber hinaus werden vom SFB aus Verbindungen und Netzwerke zu außereuropäischen Rechts- und Dichtungskulturen hergestellt werden, so nach Asien und nach Afrika. Aber auch innerhalb der am SFB direkt beteiligen Forscher werden sich ungewöhnliche Möglichkeiten der Zusammenarbeit ergeben. Der preisgekrönte Roman Justizpalast von Petra Morsbach oder der Beststeller Terror von Ferdinand von Schirach zeigen, dass Literaturwissenschaftler im Hinblick auf die in den Büchern verhandelten rechtlichen Fragestellungen und die Einwirkungen des Rechts auf die Entwicklungen der modernen Literatur eng mit Juristen zusammenarbeiten müssen. Diese wiederum können von den hermeneutischen Kompetenzen der Literaturwissenschaftler profitieren, die differenzierte Verfahren und Methoden entwickelt haben, um Texte in ihren sprachlichen Strukturen zu erkennen.

An diesen Beispielen lässt sich auch die gesellschaftliche Relevanz der Forschungen zum Thema Literatur und Recht ermessen: Wenn der ehemalige Jurist und jetzige Literat von Schirach mit seinem Drama vorführt, dass in Zeiten des islamistischen Terrors rechtstaatliche Standards zu bröckeln beginnen, kann die Universität Münster zu diesem rechtspolitischen Problem durch den SFB wissenschaftlich Stellung beziehen.

Die Digitalisierung wirkt sich auf alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens aus – auch auf das Recht und die Literatur. Inwiefern spielt die Digitalisierung in den Projekten des SFB eine Rolle?

Unverkennbar schaffen die Tendenzen zur Digitalisierung der allgemeinen Kommunikation, aber auch der literarischen Produktion eigene Probleme und Konflikte, wie beispielsweise an den urheberrechtlichen Debatten der letzten Jahre zu sehen ist: Hier stehen die Interessen nach einer möglichst weitgehenden Freiheit der Kommunikation den Interessen der Autoren nach Entlohnung ihrer Arbeit entgegen. Auch die Fragen der Rechtsförmigkeit des Internets stehen im Zentrum dieser Debatten und werden im Rahmen unseres SFB erforscht werden – juristisch wie literaturwissenschaftlich. Darüber hinaus wird der SFB nicht nur digital präsent sein, sondern im Rahmen eines übergreifenden Teil-Projekts eine umfangreiche digitale Enzyklopädie erstellen, die die begrifflichen Grundlagen der Erforschung des Verhältnisses von Literatur und Recht bereitstellen wird.

Sie sind Leiter eines Teilprojekts, welches sich mit der Kernfrage des Forschungsbereichs „Inwiefern braucht das Recht die Literatur?“ auseinandersetzt. Auf welche Weise wollen Sie diese Frage beantworten?

Mein Teilprojekt beschäftigt sich mit der britischen Literatur-, Kultur- und Rechtsgeschichte. Es geht um die These, dass das Recht im 18. Jahrhundert die Religion als gesellschaftlichen Zusammenhalt ablöste, dann aber selbst als unzureichend für die Schaffung einer gerechten Gesellschaft in die Kritik kam. In diesen Raum trat im 19. Jahrhundert die Literatur mit dem Anspruch, Gerechtigkeit besser darstellen und einfordern zu können, als dies von der damaligen Justiz bewerkstelligt wurde. Hier steht also der literarische Anspruch im Raum, die Justiz ergänzend oder gar ersetzend, Recht und Gerechtigkeit mit literarischen Mitteln zu projizieren.

Links zu dieser Meldung