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Münster (upm/ibdm/sr)
Längsschnitt durch den Oberkörper einer Fruchtfliege, die einen eingebauten Kraftsensor im Talin-Protein hat. Der Kraftsensor an den Muskel-Sehnen-Verknüpfungen ist grün und die Flugmuskeln sind magenta.<address>© S. Lemke et al.</address>
Längsschnitt durch den Oberkörper einer Fruchtfliege, die einen eingebauten Kraftsensor im Talin-Protein hat. Der Kraftsensor an den Muskel-Sehnen-Verknüpfungen ist grün und die Flugmuskeln sind magenta.
© S. Lemke et al.

Wie halten Verknüpfungen von Muskeln und Sehnen ein Leben lang?

Zellbiologen zeigen in Fruchtfliegen, wie ein Protein die mechanischen Belastungen an Muskel-Sehnen-Verbindungen steuert.

Viele Muskeln sind mit Sehnen verknüpft, was Tieren das Laufen, Schwimmen oder Fliegen ermöglicht. Die dazu notwendigen Kräfte werden von Proteinfasern erzeugt, die an Muskel-Sehnen-Verknüpfungen angeheftet sind und daran ziehen. Während der Entwicklung müssen sich diese Muskel-Sehnen-Verknüpfungen so aufbauen, dass sie die hohen mechanischen Kräfte aushalten, die während des Lebens auftreten können. Ein interdisziplinäres Wissenschaftlerteam aus Marseille, München und Münster hat es nun geschafft, die mechanischen Kräfte zu messen, die an einem Protein ziehen, das bei der Verknüpfung von Muskeln und Sehnen eine bedeutende Rolle spielt. Der Name des Proteins: Talin.

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nutzten die Flugmuskulatur der Fruchtfliege Drosophila für diese molekularen Kraftmessungen und stellten fest, dass bei der Entwicklung von Muskel-Sehnen-Verknüpfungen nur ein überraschend kleiner Anteil der Talin-Moleküle Kräften ausgesetzt ist. Gleichzeitig fanden sie heraus, dass die Muskeln eine hohe Anzahl von Talin-Molekülen an den Verknüpfungen ansammeln, um mit den zunehmenden Kräften im Gewebe umgehen zu können. Auf diese Weise können sich viele Talin-Moleküle die hohen Kräfte der Muskelkontraktionen, zum Beispiel während des Fliegens, dynamisch aufteilen. „Dieses mechanische Anpassungskonzept ermöglicht, dass Muskel-Sehnen-Verknüpfungen ein Leben lang halten können“, sagt Sandra Lemke, Biologiedoktorandin am Max-Planck-Institut für Biochemie (MPIB) in Martinsried, die den Großteil der Experimente durchführte. Leiter der Studie waren Dr. Frank Schnorrer vom Institut für Entwicklungsbiologie der französischen Universität Marseille und Prof. Dr. Carsten Grashoff von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU). Die Studie ist in der Fachzeitschrift „PLOS Biology“ erschienen.

Hintergrund und Methode:

Zelluläre Anheftungsstrukturen, sogenannte Zelladhäsionen, sind wichtig für tierische Zellen, um mechanische Kräfte spüren und ihnen widerstehen zu können. Ein wichtiger Bestandteil solcher Strukturen sind Integrin-Rezeptoren, die an der Zelloberfläche die Umgebung der Zelle erkunden und innerhalb der Zelle an ein Ende des Talin-Proteins binden. Da sich das andere Ende dieses Proteins an das kontraktile Zellskelett aus sogenannten Aktin- und Myosinfasern verankert, befindet sich Talin am perfekten Ort, um molekulare Kräfte verarbeiten zu können. Die Forscher bauten daher einen fluoreszierenden Kraftsensor in das Protein Talin ein, um mithilfe von Mikroskopie-Verfahren molekulare Kräfte untersuchen zu können.

Frühere Studien der Forschergruppe um Carsten Grashoff vom Institut für Molekulare Zellbiologie der WWU hatten bereits gezeigt, dass 70 Prozent aller Talin-Moleküle in Zelladhäsionen hohen Kräften ausgesetzt sind, wenn sich die Zellen auf hartem Kunststoff- oder Glasuntergrund befinden. Daher sind die Ergebnisse der neuen Studie sehr überraschend: Weniger als 15 Prozent der Talin-Moleküle „spüren“ messbare Kräfte bei der Entwicklung von Muskelansätzen in einem intakten Organismus.

Zur Interpretation der Ergebnisse ist es wichtig zu wissen, dass sich ein mit Sehnenzellen verknüpfter Muskel in einer viel weicheren Umgebung befindet als Zellen in einer harten Kunststoffschale im Labor. Allerdings müssen sich Muskeln in der Entwicklung darauf einstellen, später den hohen Kräften ausgesetzt zu sein, die bei Muskelkontraktionen in einer erwachsenen Fliege erzeugt werden. Um sich darauf vorzubereiten, sammeln die Muskeln viele Talin- und Integrin-Moleküle in ihren Zelladhäsionen an.

Die Wissenschaftler reduzierten die Anzahl der vorhandenen Talin-Moleküle in den Flugmuskeln von Fruchtfliegen mithilfe von molekulargenetischen Methoden. Zwar waren die Fliegen nach dem Eingriff weiterhin überlebensfähig, aber ihre Muskel-Sehnen-Verknüpfungen rissen bei den ersten Flugversuchen, sodass sie nicht mehr fliegen konnten. Diese Ergebnisse zeigen, dass sich die Verknüpfungen zwischen Zellen dynamisch an die Bedürfnisse der jeweiligen Gewebe anpassen müssen, um ein Leben lang zu halten. In Zukunft möchten die Wissenschaftler herausfinden, wie die mechanischen Signale dazu führen, dass sich Moleküle in der richtigen Anzahl an der richtigen Stelle innerhalb von Zellen ansammeln.

Originalpublikation:

S. Lemke et al. (2019): A small proportion of Talin molecules transmit forces at developing muscle attachments in vivo. PLOS Biology; DOI: 10.1371/journal.pbio.3000057

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