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Münster (upm/exc)
Prof. Dr. Martina Wagner-Egelhaaf<address>© Hilla Südhaus</address>
Prof. Dr. Martina Wagner-Egelhaaf
© Hilla Südhaus

Stimmen aus dem Jenseits

Prof. Dr. Martina Wagner-Egelhaaf beschäftigt sich am Exzellenzcluster "Religion und Politik" mit Stimmen im religiösen Kontext

Die Stimme ist ein flüchtiges Medium. Als primäres Medium der menschlichen Kommunikation spielt sie auch in der Religion eine wichtige Rolle. Und doch lässt sie sich kaum dingfest machen und scheint sich dem diskursiven Zugriff zu entziehen. Ein Forschungsprojekt am Exzellenzcluster hat sich der Stimme im religiösen Kontext dennoch genähert: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen untersuchten die Stimme als Medium der religiösen Vermittlung und entdeckten in historischen Zeugnissen, in der Literatur und in Kunstwerken aus verschiedenen Religionen und Kulturen, vom Altertum bis heute, „Stimmen aus dem Jenseits“.

Die Literaturwissenschaftlerin Martina Wagner-Egelhaaf erläutert: „Ob Texte oder Bilder, Radio oder Filme: In zahlreichen Werken verschiedener Epochen und Religionen werden Stimmen gehört, die von den Menschen als göttlich aufgefasst werden. Zu denken ist etwa an die Bekehrung des Saulus vor Damaskus, wie sie in der Apostelgeschichte erzählt wird: Dort hört Saul eine Stimme vom Himmel, verbunden mit einer Lichterscheinung, und die Stimme spricht zu ihm: ‚Saul, Saul, was verfolgst du mich?‘ Auch etwa beim Austreiben von Dämonen werden Geistwesen hörbar. Über solcherlei Stimmer­scheinungen verbinden sich Diesseits und Jenseits“. Mit einem Team von Forscherinnen und Forschern aus der Religions-, Geschichts- und Literaturwissenschaft, der Ethnologie, Theologie und Soziologie hat sie das Medium „Stimme“ in Hinduismus, Christentum, Islam und weiteren Religionen untersucht.

Die Gruppe fand in zahlreichen Quellen sowohl menschliche Stimmen, die sich während religiöser Vollzüge erheben, als auch körperlose, nur gehörte Stimmen, die von außen auf den Hörer oder die Hörerin zukommen und oft Göttern oder Geistern zugesprochen werden. Dazu gehört beispielsweise auch die Stimme, die Augustinus in seinem Konversions­bericht, den Confessiones, zur Schrift­lektüre auffordert („Nimm und lies“). Auch die Idee, dass heilige Texte göttlich offenbart werden, basiert auf der Vorstellung einer Stimme, die der Schreiber hört: Die christliche Kunstgeschichte stellt das etwa als Szene zwischen Engel und Evangelist dar. Martina Wagner­Egelhaaf: „Aber auch ‚innere Stimmen‘ werden als Verbindung des Menschen zu einer göttlichen Sphäre angesehen, wie in der Vorstellung einer ‚voice of the inner light‘, die bei den Quäkern im 17. Jahrhundert in England aufkam.“

Wie menschliche Stimmen in religiösen Ritualen wirken, wird am Beispiel des muslimischen Sufi­Heiligtums Bava Gor in Indien deutlich: Pilger, die an Formen von Besessenheit leiden, bringen die quälenden dämonischen Geister in Dialog mit den Geistern von Heiligen – mit Hilfe ihrer eigenen menschlichen Stimme.

Die Macht der Geister soll so die Dämonen besiegen. Predigtveranstaltungen des hinduistischen Gurus Morari Bapu stellen die Forscherinnen als „religiöse Klanglandschaft“ vor, in der das religiöse Gemeinschaftsgefühl und das Erleben des Einzelnen nicht durch Augen­, sondern Ohren­Kontakt entstehen.

In verschiedenen Religionen ver­schränken sich bisweilen menschliche Stimmen mit jenen aus dem Jenseits. So stellen Lehrgespräche zwischen einem hinduistischen Guru und seinen Schülern eine Verbindung von Mensch zu Mensch her, zugleich gilt das Gelehrte als ursprünglich göttlich und wird durch den Klang der Stimme übermittelt. Eine Verschränkung jenseitiger und diesseitiger Stimmen zeigt sich auch in einem Bekehrungsbericht des 19. Jahrhunderts: Worte, die ein sächsischer Schulmeister, der durch die USA reiste, zunächst innerlich vernahm, brachten ihn zur Konversion zum Mormonentum, als später ein Missionar eben diese Worte aussprach.

Am Beispiel von Radiostimmen und dem Hörspiel „Die Zikaden“ von Ingeborg Bachmann zeigt sich, so Martina Wagner­Egelhaaf, wie Stimmen, deren Ursprung nicht erkennbar ist, auch außerhalb der Weltreligionen mitunter ein metaphysischer Stellenwert und politische Autorität zugeschrieben werden. Die Medienwissenschaft sieht daher eine „besondere Affinität des Radios zu metaphysischen Stoffen“.

Martina Wagner-Egelhaaf ist Professorin für Neuere deutsche Literatur an der WWU und Hauptantragstellerin des Exzellenzclusters

 

Ein Buch, das spricht

Die Ergebnisse des interdisziplinären Forschungsprojekts sind unter dem Titel „Stimmen aus dem Jenseits / Voices from Beyond“ erschienen. Der Band enthält neben den deutsch- und englischsprachigen Beiträgen der Projektbeteiligten auch die Quellen, die sie untersuchen: Texte und Bilder sowie Audios und Videos auf einer beigelegten DVD. „Denn ein Buch über die Stimme muss auch sprechen können“, sagt Martina Wagner-Egelhaaf.

Martina Wagner-Egelhaaf (Hg.): Stimmen aus dem Jenseits / Voices from Beyond. Ein interdisziplinäres Projekt / An Interdisciplinary Project, Würzburg: Ergon-Verlag 2017.

 

 

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