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Münster (upm/exc)
Die Judaistin und Humboldt-Professorin Katrin Kogman-Appel widmet ihr Forscherleben illustrierten jüdischen Handschriften des Mittelalters.<address>© Exzellenzcluster Religion und Politik - Wilfried Gerharz</address>
Die Judaistin und Humboldt-Professorin Katrin Kogman-Appel widmet ihr Forscherleben illustrierten jüdischen Handschriften des Mittelalters.
© Exzellenzcluster Religion und Politik - Wilfried Gerharz

"Ich will die jüdische Kultur in ihrem ganzen Reichtum zeigen"

Katrin Kogman-Appel, Humboldt-Professorin für Jüdische Studien, forscht am Exzellenzcluster "Religion und Politik"

Was wäre ein Wissenschaftsverbund mit dem Schwerpunkt „Religion und Politik“ ohne die Judaistik? Mit der Judaistin Katrin Kogman-Appel hat die WWU eine der international angesehensten Vertreterinnen dieses Fachs 2016 nach Münstergeholt. Als Inhaberin einer Humboldt-Professur für Jüdische Studien bereichert sie den Austausch über die Weltreligionen, für den die Universität nicht zuletzt mit dem Exzellenzcluster „Religion und Politik“ ideale Bedingungen bietet.

Katrin Kogman-Appel ist in vielerlei Hinsicht eine Wanderin zwischen den Welten. 1958 in Wien geboren, begann sie 1977 dort ihr Studium der Geschichte. Die Judaistik spielte zunächst nur als Nebenfach eine Rolle. Ihr Interesse an jüdischer Historie und Kultur war anfänglich von der Zeitgeschichte bestimmt. Es war die Ära Brandt in Deutschland, die Ära Kreisky in Österreich. Das „Dritte Reich“ war in beiden Ländern Gegenstand gesellschaft­licher Debatten – auch in Katrin Kogman­-Appels Familie. „Ich habe angenommen, es liege für Österreicher oder Deutsche nahe, sich mit dem NS und der Vernichtung des europäischen Judentums zu beschäftigen“, sagt sie. „Vielleicht war das etwas idealistisch.“

Von der Gegenwart und der jüngeren Vergangenheit sprang die Nachwuchswissenschaftlerin alsbald in eine weit frühere Epoche. Ihr späterer Doktorvater Kurt Schubert, Pionier und Doyen der österreichischen Judaistik, weckte ihr Interesse an illuminierten jüdischen Handschriften. „Wer bei Schubert studierte, konnte dem eigentlich kaum entgehen“, sagt Katrin Kogman-Appel und schmunzelt. „Aber auch so fand ich die Beschäftigung mit mittelalterlicher Buchkultur reizvoll, weil ich es immer gern mit ‚Handgreiflichem‘ zu tun hatte. Alte Sachen haben mich nie geschreckt, im Gegenteil: je älter, desto spannender.“

Mit einem Forschungsstipendium ausgestattet, ging sie nach Jerusalem und „blieb dort hängen“. Auch privat wurde Israel ihr Lebensmittelpunkt. Sie lernte ihren Mann kennen, gründete eine Familie und konvertierte zum Judentum. „Unsere Familie ist aber nicht religiös praktizierend“, sagt sie. Jüdisch zu sein, das bedeute für sie Solidarität mit ihrer Familie, mit Israel und seinen Menschen. Sie versteht sich durchaus als deren Sachwalterin, auch wenn sie sich nicht im engeren Sinn politisch engagiert. Jenseits einer „lakrimosen“ Geschichtsschreibung, die jüdisches Leben primär aus dem Blickwinkel von Unterdrückung und Verfolgung betrachtete, wolle sie jüdische Kultur in ihrem ganzen Reichtum präsentieren. In ihrer Lehrtätigkeit sei das auch ein Stück „Mission“. In Münster baut sie den kulturgeschichtlichen Studiengang „Jüdische Studien“ auf.

Die Semesterferien verbringt Katrin Kogman-Appel in Israel. Und sie versucht, alle drei, vier Wochen für ein Wochenende heimzufliegen – zu ihrem Mann und den drei erwachsenen Kindern. Wie sehr sie in ihrer neue Heimat angekommen ist, das scheint manchmal eher beiläufig auf. Etwa in der Sprache. Die Frage, wie die Erforschung mittelalterlicher Handschriften denn in einen Exzellenzcluster „Religion und Politik“ passe, pariert sie mit dem Hinweis auf die meinungsbildende Rolle der Buchkultur in der Gesellschaft. Soziologische Gesichts­punkte hätten in ihrer Disziplin an Bedeutung gewonnen. „Wir fragen nicht nur nach ... wie sagt man auf Deutsch ... watermarks.“ Wasserzeichen, ja richtig.

Im Mittelpunkt ihrer laufenden Arbeit steht ein Werk des jüdischen Schreibers Elisha ben Abraham Cresques (1325 bis 1387), der als Kartograf eine privilegierte Stellung am aragonesischen Königshof hatte. Er erstellte eine persönliche Sammlung religiöser Texte. Einen „Glücksfall“ nennt Kogman­-Appel die Handschrift – wegen des selten privaten Charakters und der Auskunftsfreudigkeit des Verfassers. Ein anderer Schreiber, Joel ben Simeon, im 15. Jahrhundert in Deutschland und Italien tätig, steht in einer Epoche des Übergangs von der individuellen, nach den Bedürfnissen des Auftraggebers abgefassten Handschrift zu Ansätzen serieller Produktion – noch vor Erfindung des Buchdrucks. „Da lag etwas in der Luft.“ Wie heute. Im Zeitalter des Wandels von der analogen zur digitalen Kultur, vom Buch zum E­-Book, ist Kogman­-Appel nicht nur Wanderin, sondern auch Mittlerin zwischen Sphären, die einander fern und doch so nah sind.

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