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Münster (upm/ch)
Die äußerste Zellschicht der Blut-Hirn-Schranke im zentralen Nervensystem einer Taufliegen-Larve (3. Larvenstadium). Die einzelnen Zellen sind durch ein spezielles Verfahren der Protein-Markierung in verschiedenen Farben sichtbar gemacht. Die kugelförmigen Gebilde sind die beiden Gehirnhälften, darunter liegt das Bauchmark, von welchem Nerven zum Beispiel zu den Muskeln abgehen.<address>© WWU - AG Schirmeier</address>
Die äußerste Zellschicht der Blut-Hirn-Schranke im zentralen Nervensystem einer Taufliegen-Larve (3. Larvenstadium). Die einzelnen Zellen sind durch ein spezielles Verfahren der Protein-Markierung in verschiedenen Farben sichtbar gemacht. Die kugelförmigen Gebilde sind die beiden Gehirnhälften, darunter liegt das Bauchmark, von welchem Nerven zum Beispiel zu den Muskeln abgehen.
© WWU - AG Schirmeier

Fliegen in den Kopf geschaut

Dr. Stefanie Schirmeier untersucht Stoffwechselprozesse im Gehirn

Platzsparend unterzubringen und leicht zu züchten: Taufliegen der Art Drosophila melanogaster sind nicht zuletzt wegen ihrer einfachen Haltung als Labortiere in Forschungsinstituten auf der gesamten Welt verbreitet. Aber das allein macht sie noch nicht zu einem der wichtigsten Modellorganismen der genetischen Forschung. Wichtig ist auch: Ihr Erbgut ist überschaubar, komplett entschlüsselt und leicht zu manipulieren. Und vieles, was Wissenschaftler durch die Fliegen lernen, lässt sich auf andere Organismen übertragen. So gibt das Gehirn der Fliege auch Auskunft darüber, wie das Gehirn des Menschen funktioniert.

„Viele Eigenschaften des Hirnstoffwechsels sind stammesgeschichtlich konserviert. Das bedeutet: Die Prozesse im Fliegenhirn sind denen im menschlichen Hirn ähnlich, auch im Hinblick auf die Entstehung von Krankheiten“, erläutert Dr. Stefanie Schirmeier. Die 35-jährige Biochemikerin ist Juniorgruppenleiterin am Institut für Neuro- und Verhaltensbiologie der WWU. Gemeinsam mit ihrer Arbeitsgruppe erforscht sie, wie verschiedene Zucker in das Fliegengehirn gelangen und wie sie dort von den unterschiedlichen Zelltypen verstoffwechselt werden. Unter anderem wies das Team um Stefanie Schirmeier nach, dass Neurone – die Nervenzellen im Gehirn – von den sie umgebenden Gliazellen „gefüttert“ werden. Die Gliazellen sind Teil der Blut-Hirn-Schranke. Sie nehmen Zucker aus dem Blut auf, bauen ihn zu kleineren Zuckermolekülen um und geben diese an die Neurone weiter. Die Blut-Hirn-Schranke ist eine natürliche Barriere zwischen dem Körper und dem Gehirn. Sie verhindert, dass schädliche Substanzen und Krankheitserreger in das Gehirn gelangen. Hoch spezialisierte molekulare Transportmechanismen sorgen gleichzeitig dafür, dass das Gehirn die nötigen Nährstoffe aus dem Blutkreislauf erhält und Abfallprodukte des Hirnstoffwechsels abtransportiert werden.

Ein intakter Transport von Zuckern und anderen Nährstoffen ist die Grundlage dafür, dass das Gehirn funktioniert. Das menschliche Gehirn macht im Durchschnitt nur zwei Prozent des Körpergewichts aus, verbraucht aber 20 Prozent des Sauerstoffs im Blut – ein Indikator für den hohen Energiebedarf. Störungen der Transportmechanismen können für neurodegenerative Erkrankungen verantwortlich sein. „Wir wollen zunächst einmal den Normalzustand im Gehirn verstehen“, unterstreicht Stefanie Schirmeier, die für ihre Arbeiten den Nachwuchsförderpreis 2018 der Universitätsgesellschaft Münster erhielt. „Erst wenn man weiß, wie der gesunde Hirnstoffwechsel im Detail funktioniert, kann man nachvollziehen, was bei der Entstehung von Krankheiten passiert.“

Das „Fliegenlabor“ der Arbeitsgruppe ist ein überschaubarer, schlichter Raum mit Arbeitstischen an den Seiten und an den Wänden angebrachten Regalen. Die Regale sind mit Plastikwannen bestückt, darin stehen verschlossene Glasröhrchen – jeweils gefüllt mit etwas Futterbrei und Heerscharen winziger Taufliegen. Für den Laien ist beim Blick auf die wimmelnden Insekten kaum vorstellbar, was für die Wissenschaftler zwar nicht trivial, aber dennoch Routine ist: dass es gelingt, die Fliegengehirne zu isolieren und lange genug am Leben zu erhalten, um Stoffwechselprozesse live unter dem Mikroskop zu beobachten.

Damit die molekularen Vorgänge überhaupt sichtbar werden können, greifen die Wissenschaftler in die molekularbiologische Trickkiste. Sie schleusen die Bauanleitungen für passgenaue „fluoreszente Sensoren“ in das Fliegen-Erbgut ein. Unter dem Mikroskop und bei geeignetem Licht sorgen diese dafür, dass bestimmte Zuckermoleküle oder Transportproteine leuchten und somit sichtbar werden. Auf diese Weise lassen sich unter anderem Zuckerkonzentrationen bestimmen und Transportwege von Zelle zu Zelle nachvollziehen. Um auf die Funktion einzelner Gene schließen zu können, schalten die Wissenschaftler bei verschiedenen Fliegen-Zuchtlinien gezielt unterschiedliche Gene aus und beobachten, wie sich diese Veränderungen in den Zellen des Gehirns auswirken. „Schritt für Schritt, wie bei einem Puzzle, erhalten wir ein vollständiges Bild“, sagt Stefanie Schirmeier.

Das nächste Ziel hat sich die Wissenschaftlerin bereits gesteckt. Gemeinsam mit ihrem Team will sie eine Methode etablieren, um lebenden Fliegen ins Hirn zu schauen. Auf diese Weise möchte sie Veränderungen im Hirnstoffwechsel im Laufe eines Fliegenlebens beobachten. Damit ließen sich Alterungsprozesse sichtbar machen – und Rückschlüsse auf die Entstehung neurodegenerativer Erkrankungen ziehen.

Autorin: Christina Heimken

Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung "wissen|leben" Nr. 8, Dezember 2018 / Januar 2019.

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