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Münster (upm/jh/ja)
Dr. Dietha Koster, Anna Brokamp und Chiara Iding (von links) erforschten niederländische Lehrbücher.<address>© WWU - Julia Harth</address>
Dr. Dietha Koster, Anna Brokamp und Chiara Iding (von links) erforschten niederländische Lehrbücher.
© WWU - Julia Harth

Kluft zwischen Theorie und Praxis verkleinern

An der WWU gibt es viele Beispiele für Interaktivität in der Lehre – ein Einblick in vier Projekte

Forschendes Lernen

Das Ergebnis des Seminars „Gender und Beruf in niederländischen Lehrbüchern 1970 bis heute“ sagt – aus dem Mund von Chiara Iding – eigentlich schon alles über das Forschende Lernen aus: „Meine Hausarbeit mit rund 15 Seiten war in acht Tagen fertiggeschrieben, weil ich während des gesamten Semesters im Thema war. Es fügte sich stückchenweise zusammen“, berichtet die Studentin. „Sonst brauche ich oft Wochen für eine Hausarbeit.“

Dass es nämlich schnell gehen kann, bringt diese Methode aus der sogenannten forschungsbezogenen Lehre mit sich. Angewandt hat sie in diesem Fall Dozentin Dr. Dietha Koster am Institut für Niederländische Philologie. Das Besondere daran ist, dass schon von Beginn des Seminars an alles von den Studierenden selbst gemacht wird, sie quasi sofort zu Forschern werden: Literatur-Recherche und -Liste, Forschungsplan, Design der Studie, Aufteilung und Vorgehen im Team. „Wir haben jeden Einzelschritt, auch zum Beispiel auf welchen Wegen wir zu Ergebnissen kommen wollen, mit den anderen Studierenden im Seminar diskutiert und dann sehr selbstständig gearbeitet. Man setzt sich so viel intensiver mit dem Thema auseinander“, fasst Studentin Anna Brokamp die „neue“ Erfahrung zusammen, „und es bleibt auch mehr Wissen hängen“. Kommilitonin Chiara Iding fügt hinzu: „Dadurch, dass wir jede Seminarsitzung vorbereitet haben, haben wir kontinuierlich sehr viel gelernt.“ Peu à peu baute sich so das Forschungsthema auf – wie auch die spätere Abschlussarbeit.

Dr. Jens Lechtenbörger<address>© Ralf Farke</address>
Dr. Jens Lechtenbörger
© Ralf Farke
Just-in-Time-Teaching

Ein 90-minütiger Vortrag, wenig Interaktion und ein Lernerfolg, der zu wünschen übrigließ. „Für die Studierenden und mich als Dozent war die klassische Vorlesung zunehmend unbefriedigend“, sagt Dr. Jens Lechtenbörger, Post-Doc am Institut für Wirtschaftsinformatik. Auf der Suche nach Alternativen entdeckte er das Konzept des „Just-in-Time Teaching“ (JiTT, dt: bedarfsorientierte Lehre) und stellte seine Vorlesung „Operating Systems“ im Bachelorstudiengang Wirtschaftsinformatik darauf um. Ein Erfolg – es gab viele positive Rückmeldungen.

JiTT erfordert eine kontinuierliche Mitarbeit im Semesterverlauf. Typisch ist die Kombination von vorbereitender Lektüre, vor den Vorlesungsterminen online abzugebenden Aufgaben, Übungsaufgaben in Kleingruppen und Präsenzphasen, in denen auf das Erarbeitete eingegangen wird. Statt des einseitigen Vortrags machen nun Diskussionen einen Großteil der Vorlesungszeit aus. „Für Studierende ist das natürlich eine Umstellung. Das selbstständige Erarbeiten neuer Inhalte sowie regelmäßige Lernstandskontrollen machen JiTT arbeitsintensiver als andere Vorlesungsformen“, sagt Jens Lechtenbörger. Doch die Mühe zahle sich aus. „Wenn Lerninhalte vor der Klausur bereits verinnerlicht sind, ist Last-Minute-Learning gar nicht mehr nötig“, bestätigt Thorben Hellweg, der das JiTT-Konzept 2017 als Student kennenlernte. „Individuelles Feedback motiviert außerdem dazu, sich stetig im Kurs zu engagieren.“

Das Pilotprojekt wurde 2017 im Rahmen eines „Fellowships“ vom Land NRW und vom Stifterverband gefördert und wird im aktuellen Semester weiterentwickelt. „Ich möchte nicht mehr zurück“, betont Jens Lechtenbörger.

Das "Münsteraner Audience-Response-System" ermöglicht es, Multiple-Choice-Fragen über eine App per Smartphone zu beantworten.<address>© privat</address>
Das "Münsteraner Audience-Response-System" ermöglicht es, Multiple-Choice-Fragen über eine App per Smartphone zu beantworten.
© privat
Audience-Response-System

Smartphone und Tablets erwünscht – das gilt für viele Vorlesungen an der Medizinischen Fakultät. Standardmäßig wird hier das „Münsteraner Audience-Response-System“ (MARS) eingesetzt, ein Tele-Dialog-System, mit dem Studierende Multiple-Choice-Fragen der Dozenten anonym beantworten können. Über eine App oder mithilfe eines Handsenders geben sie ihre Antworten ein, die dann sofort per PowerPoint visualisiert werden.

„MARS steigert nicht nur die Aufmerksamkeit, vielmehr verlangt es den Studierenden im Idealfall realitätsnahe medizinische Entscheidungen ab, wie beispielsweise die Auswahl eines passenden Medikamentes im Rahmen einer Fallbesprechung“, erklärt Privatdozent Dr. med. Jan Becker, stellvertretender Geschäftsführer des Instituts für Ausbildungs- und Studienangelegenheiten der Medizinischen Fakultät. „So kann man sehr gut prüfen, ob man den Stoff verstanden hat und reflektiert eigene Entscheidungen, die in Zukunft ja Konsequenzen haben werden“, bestätigt Medizinstudentin Anna Schloßbauer, die als studentische Hilfskraft bei der MARS-Hotline arbeitet und Dozenten bei technischen Fragen berät.

Die Fakultät bietet den flächendeckenden Einsatz der Technologie bereits seit 2009 für alle Veranstaltungen im Medizin-und Zahnmedizinstudium an. Seither wurde das Abstimmungssystem stetig weiterentwickelt: Seit 2015 ist ein Voting auch per App möglich, wodurch die studentische Beteiligung an den Umfragen deutlich gesteigert werden konnte. Kontinuierlich werden vom MARS-Team zudem spezielle Dozentenschulungen angeboten, in denen weniger die Technik als der didaktisch sinnvolle und situationsadäquate Einsatz dieser aktivierenden Lehrmethode vermittelt wird.

Unterrichtssituation im GEO Lehr-Lern-Labor.<address>© Victoria Kuinke</address>
Unterrichtssituation im GEO Lehr-Lern-Labor.
© Victoria Kuinke
Lehr-Lern-Labor

Die Kluft zwischen Theorie und Praxis verkleinern: Das ist das Ziel der Lehr-Lern-Labore. Ob Physik, Chemie oder Biologie – an mehreren WWU-Instituten wurden im Rahmen der Qualitätsoffensive Lehrerbildung Räume geschaffen, in denen Studierende reflektierte Praxiserfahrungen mit Schülerinnen und Schülern sammeln können. So auch am Institut für Didaktik der Geographie: Hier gibt es seit dem Sommersemester 2017 das GEO Lehr-Lern-Labor-Seminar, in dem Studierende lernen, wie sie Experimente im Geographieunterricht didaktisch sinnvoll einsetzen.

„Im Lehr-Lern-Labor arbeiten Studierende in komplexitätsreduzierten, authentischen Situationen mit Schülern zusammen“, erklärt Nadine Rosendahl, die das Projekt betreut. In kleinen Gruppen besuchen die Schüler das Labor ein- bis zweimal pro Semester und die Studierenden haben im Seminar viel Zeit, sich vorzubereiten. Anschließend erhalten sie detailliert Feedback. „Ich finde es gut, dass wir die Experimente nur mit wenigen Schülern gemacht haben“, berichtet Masterstudentin Jana Blümel. „Ich habe noch nie unterrichtet. Bei 30 Schülern wäre ich überfordert gewesen.“

Die theoretische Vor- und Nachbereitung sowie die inhaltliche Fokussierung soll dazu beitragen, einem späteren „Praxisschock“ vorzubeugen. „Im geschützten Raum können die Studierenden freier agieren und ausprobieren, wie sie ihr theoretisches Wissen den Schülern am besten praktisch vermitteln“, hebt Nadine Rosendahl die Vorteile des Formats hervor. Für die Zukunft sei unter anderem geplant, feste Kooperationen mit Schulen zu etablieren.

Autorinnen: Julia Harth und Juliane Albrecht

Dieser Artikel stammt aus der Universitätszeitung „wissen|leben“ Nr. 4, 20. Juni 2018

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