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Münster (upm/jh)
Digital und analog: Moderne Lehre hat viele Gesichter.<address>© Goldmarie Design</address>
Digital und analog: Moderne Lehre hat viele Gesichter.
© Goldmarie Design

Prorektorin Prof. Dr. Regina Jucks über moderne Lehre und besonders effektives Lernen

„Präsenz ist unabdingbar“

Abseits der klassischen Vorlesung gibt es an der WWU zahlreiche Formate, die das Studium abwechslungsreich machen und den Lerneffekt steigern sollen. Über die Bedeutung aktivierender Elemente für die Lehre sprach Julia Harth mit Prof. Dr. Regina Jucks, Prorektorin für Studium und Lehre.

Wenn Sie an Ihre eigene Studienzeit zurückdenken, wo sehen Sie im Vergleich zu heute die größten Veränderungen?

In meinem Psychologie-Studium in den 90er-Jahren habe ich nie darüber nachgedacht, ob ich anwesend sein muss oder nicht. Man war einfach da und hat mitgemacht. Inzwischen habe ich das Gefühl, dass Studierende viel mehr Aufgaben haben und dadurch der Druck größer ist, sich bewusst für bestimmte Dinge zu entscheiden. Die Anforderungen an die Selbstregulation erscheinen mir höher. In meinem Studium gab es nicht so viele unterschiedliche Formate – trotzdem hatte ich das Gefühl, gute Lehre bekommen zu haben. Heute sind die Studierenden durch ihre Erfahrungen in der Schule viel kompetenter darin aufgestellt, wie sie Inhalte präsentieren, Referate halten und diskutieren. Das ist toll, weil es die Konzentration auf die Inhalte ermöglicht.

An der WWU wird der aktivierenden Lehre immer mehr Bedeutung beigemessen. Warum ist das aus Ihrer Sicht wichtig?

Man lernt am effektivsten, indem man über Dinge diskutiert und Wissen anwendet. Für viele Studierende sind aktivierende Formate ein wichtiger Grund, weshalb sie Veranstaltungen besuchen. In Zeiten ohne Anwesenheitspflicht geht es darum, Lerngelegenheiten vor Ort zu gestalten. Das entspricht auch der Art und Weise, wie wir in der Lehramtsausbildung vorgehen: Die Lehrkräfte selbst stehen nicht im Fokus, stattdessen soll ihr Unterricht die Lernenden optimal unterstützen. Trotzdem braucht es natürlich Input und Strukturierung durch die Lehrenden.

Prof. Dr. Regina Jucks<address>© WWU / Peter Wattendorff</address>
Prof. Dr. Regina Jucks
© WWU / Peter Wattendorff
Ist moderne Lehre gleich digitale Lehre?

Auch ohne Digitalisierung kann man modern und erfolgreich lernen. An vielen Stellen erleichtert sie jedoch die Organisation des Studiums, indem man sich beispielsweise eine Vorlesung zu Hause auf Video anschauen kann. Das reine Abfilmen von Veranstaltungen ist didaktisch allerdings wenig anspruchsvoll. Die Kombination von digitalen und nicht-digitalen Anteilen ist die große Herausforderung. Die Digitalisierung hilft beim Lernen, manchmal ermöglicht sie gewisse Lernsituationen auch erst. Lehrende haben zum Beispiel mehr Optionen, Inhalte von außerhalb in die Lehre einzubinden.

Bei allen Möglichkeiten, digital und außerhalb der WWU zu lernen: Welche Bedeutung hat die Präsenzlehre?

Präsenz halte ich für unabdingbar. Das klassische Format einer 90-minütigen Vorlesung, in der mehrere hundert Studierende nach vorne an die Tafel und zum Lehrenden schauen, wird sich wohl überleben. Es macht wenig Sinn, dass sich alle gemeinsam hinsetzen und die gleichen zehn Seiten lesen. Das Konzept des „inverted classroom“ sieht beispielsweise vor, dass man sich Inhalte im Selbststudium aneignet und die gemeinsame Zeit im Hörsaal für Diskussionen und Reflektion nutzt. Auf diesem Wege entstehen auch neue soziale Formate wie beispielsweise der „Journal Club“, bei dem aktuelle wissenschaftliche Veröffentlichungen vorgestellt und kritisch diskutiert werden.

Nur wenige Studierenden streben eine Karriere in der Wissenschaft an. Wie wichtig sind praktische Elemente zur Qualifizierung für das Berufsleben?

Das ist die große Herausforderung: Universitäten bilden wissenschaftlich aus, ohne unmittelbar für den Beruf zu qualifizieren. Manche Arbeitgeber beklagen sich, dass die jungen Leute angeblich nichts können. Das bezieht sich in der Regel auf die unmittelbare Anwendung von erst durch Praxis zu erlangende Routinen. Was unsere Absolventinnen und Absolventen jedoch mitbringen, ist eine professionelle und reflektierte Wahrnehmung beruflicher Situationen aus der Perspektive ihrer Fachdisziplinen. In Zeiten, in denen jeder Zweite Abitur macht und immer mehr junge Menschen studieren, erscheint es mir wichtig, deutlich zu machen, dass der Beitrag eines Universitätsstudiums genau in diesem engen Bezug zur Wissenschaft besteht. Fragen, wie wissenschaftliche Erkenntnisse entstehen und wie sie zu bewerten sind, betreffen uns nicht nur im eigenen Fach. Hier kann ein Universitätsstudium die Verzahnung von Wissenschaft und Praxis ergeben. Der Career Service der WWU arbeitet beispielsweise eng mit Fachbereichen zusammen, um die Ausgestaltung von Berufsfähigkeit zu optimieren.

Wie fördert die WWU die weitere Implementierung aktivierender Elemente in der Lehre?

Eine Maßnahme war bereits Ende 2011 die Einrichtung des Zentrums für Hochschullehre (ZHL) mit Mitteln aus dem Qualitätspakt Lehre. Das ZHL bietet allen Lehrenden der WWU kostenfreie Angebote und Beratung zu didaktischen Fragen. Vor allem Nachwuchswissenschaftler nehmen das sehr gut an. Darüber hinaus entwickeln wir im Rektorat derzeit ein Konzept, wie Lehrende analog zu den Forschungsfreisemestern auch Lehrfreisemester beantragen können. Denn wer seine Lehre verbessern möchte, braucht Freiräume und Zeit. Als Rektorat wollen wir dabei unterstützen, innovative Lehrkonzepte an der WWU zu entwickeln.

Dieses Interview stammt aus der Universitätszeitung „wissen|leben“ Nr. 4, 20. Juni 2018.

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