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Münster (upm)
Dr. Jan Markus Weber<address>© Privat</address>
Dr. Jan Markus Weber
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Müssen Kartellrechtler Facebook in die Schranken weisen?

"Neben Facebook verarbeiten auch Firmen wie Amazon oder Google täglich gewaltige Datenmengen." / Ein Gastbeitrag von Dr. Jan Markus Weber

Der aktuelle Datenskandal um Facebook und Cambridge Analytica unterstreicht wieder einmal eindrucksvoll, dass die Sammlung, Analyse und Verwertung von exklusiven Nutzungsdaten für die in der Internetwirtschaft tätigen Unternehmen inzwischen eine herausragende Bedeutung hat. Neben Facebook verarbeiten auch andere Firmen wie Amazon oder Google täglich gewaltige Datenmengen. So hat es Google mit seinem auf vielen Smartphones installierten Betriebssystem Android inzwischen bis in die Hosen- und Jackentaschen der Endnutzer geschafft. Das Unternehmen verfügt so über die nahezu einzigartige Möglichkeit, umfassende Bewegungs- und Interessensprofile der Smartphone-Nutzer zu erstellen. Derweil ist Amazon mit seinem Sprachassistenten Alexa seit geraumer Zeit sogar in den Wohnzimmern vieler Bürger präsent und greift dort unmittelbar Nutzungsdaten und Profilinformationen ab, wenn die Kunden über vermeintlich harmlose Spracheingaben Onlinebestellungen tätigen. Schließlich steht etwa mit intelligenten, vernetzten Fahrzeugen, sogenannten smart cars, schon die nächste digitale Entwicklungsstufe ins Haus, die von der Verarbeitung enormer Datenmengen profitieren und abhängig sein wird.

Die umfassende Datenerhebung durch die großen Internetkonzerne hat längst auch die Kartellbehörden auf den Plan gerufen. So beleuchtet die Europäische Kommission seit geraumer Zeit die genaue Funktionsweise von Google Android. Das Bundeskartellamt untersucht aktuell an der Schnittstelle von Datenschutz, Verbraucherschutz und Wettbewerbsschutz, in welcher Form das Sammeln und Verwerten von Daten durch Facebook einen Missbrauch von Marktmacht darstellen könnte. Damit bewegt sich das Amt zu einem gewissen Teil auf eher ungewohntem Terrain, denn weder der Daten- noch der Verbraucherschutz gehören zu den klassischen Aufgabenfeldern einer Kartellbehörde. Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamts, hat jüngst verlautbaren lassen, seine Behörde halte Facebook nicht zuletzt wegen der umfassenden Datenerhebung für marktbeherrschend im kartellrechtlichen Sinne. Ein Grund für diese Einschätzung dürfte unter anderem darin liegen, dass Unternehmen wie Facebook, Amazon, Google und Co. in großem Maße von sogenannten Lerneffekten profitieren: Wer als Unternehmen auf den Märkten der Internetwirtschaft schon länger tätig ist und dabei über Jahre hinweg auf exklusive Nutzungsdaten zugreifen konnte, der hat viel über das Verhalten seiner Nutzer gelernt und sich so auf Dauer eine Marktposition erarbeitet, die durch neue Wettbewerber kaum noch angreifbar ist. Für neue Marktteilnehmer kann es vor diesem Hintergrund sowohl technisch als auch wirtschaftlich schwierig bis geradezu sinnlos sein, den am Markt bereits länger etablierten Unternehmen bei der Erfassung und Analyse von großen Datenmengen jetzt noch Paroli bieten zu wollen. Nicht zuletzt wegen der immer schneller ablaufenden Datenverarbeitungsprozesse im Internet, verfügen die etablierten Unternehmen über einen kaum mehr aufholbaren Wissensvorsprung. Potentiellen Wettbewerbern mit neuen, kreativen Ideen bleibt angesichts nicht vorhandener oder nicht hinreichend aufbereiteter Daten so auf Dauer der Marktzugang verwehrt.

Im Hinblick darauf wäre es wünschenswert, wenn in der aktuellen Diskussion um die "Datenmacht" großer Internetkonzerne neben daten- und verbraucherschutzrechtlichen Aspekten verstärkt eine kartellrechtliche Fragestellung im klassischen Sinne in den Blickpunkt gerückt würde: Haben die Wettbewerber von Facebook, Amazon, Google und Co. einen Anspruch auf Zugang zu den exklusiven Nutzungsdaten? Können also bestimmte Internetgroßkonzerne mit kartellrechtlichen Mitteln gezwungen werden, die gesammelten Daten und damit Informationen über das Nutzerverhalten mit ihren Wettbewerbern zu teilen?

Zwingende Grundvoraussetzung für eine solche Zugangsverpflichtung wäre, dass die exklusive Datennutzung einen Missbrauch von Marktmacht darstellt. Denn weder das deutsche noch das europäische Kartellrecht richten sich gegen Marktmacht und Monopole von Unternehmen an sich. Demnach ist kartellrechtlich noch nichts dagegen einzuwenden, dass einige Unternehmen der Internetwirtschaft über große Datenmengen verfügen und marktmächtig sind. Verboten ist nur der Missbrauch einer marktmächtigen Stellung. Unter welchen Voraussetzungen ein solcher Missbrauch vorliegt, ist die komplexe und nicht immer einfach zu beantwortende Kernfrage einer jeder kartellrechtlichen Fallanalyse. Die Internetwirtschaft hat gegenüber den alten Industrien eine Reihe neuer Problemstellungen zu Tage gefördert, die mit den althergebrachten Grundsätzen des Kartellrechts nicht immer einfach zu beantworten sind. So erscheint auch eine Datenzugangsverpflichtung in dem genannten Sinne auf den ersten Blick kaum verhältnismäßig, handelt es sich doch um einen nicht unerheblichen Eingriff in die unternehmerische Freiheit der betroffenen Großkonzerne. Auf der Hand liegt jedoch, dass neue oder ins Hintertreffen geratene Marktteilnehmer mittels eines derartigen Datenzugangs in der Lage wären, schneller am eigentlichen Wettbewerbsgeschehen teilzunehmen und somit grundsätzlich begrüßenswerten Wettbewerbsdruck auf die bereits am Markt etablierten Unternehmen ausüben könnten. Daraus würden mittelbar auch erkennbare Vorteile für die Internetnutzer resultieren. Denn bei hinreichendem Wettbewerbsdruck durch die Konkurrenz würde sich etwa Facebook kaum einen weiteren Datenskandal erlauben können. Auch sind Zugangsansprüche dem Kartellrecht grundsätzlich nicht fremd. Sie können im Einzelfall zur Schaffung von fairen Wettbewerbsbedingungen erforderlich und angemessen sein.

Die gebotene kartellrechtliche Einzelfallanalyse führt allerdings dazu, dass die Frage nach einer Datenzugangsverpflichtung unmöglich einheitlich zu beantworten ist. Der Ausgangspunkt muss aber immer die grundlegende Erkenntnis sein, dass das Kartellrecht überragende unternehmerische Leistungen schützen und fördern möchte. Es gilt das Prinzip des Leistungswettbewerbs: Unternehmerische Leistung soll sich lohnen und am Markt durchsetzen können. Im Zusammenhang mit der Frage nach einer Datenzugangsverpflichtung sollten sich die Kartellbehörden deshalb zukünftig verstärkt die Frage stellen, welche besondere unternehmerische Leistung Facebook, Amazon, Google und Co. bei der Erhebung und Analyse von Daten eigentlich erbringen. Dafür bedarf es nicht nur einer juristischen und ökonomischen Betrachtungsweise, sondern auch einer umfassenden technischen Analyse des jeweiligen Internetdienstes. Solche Dienste bestehen eben nicht nur aus dem „einen“ Algorithmus oder dem „einen“ Datensatz. Es handelt sich vielmehr im Ergebnis um technisch hochkomplexe Rechenzentren, bestehend aus einer Vielzahl von Hard- und Softwarekomponenten. Im Falle der Nutzungsdaten fällt aber schnell auf, dass es im Kern um die Daten der Internetnutzer geht, die lediglich durch Algorithmen und Rechenkraft vollautomatisch aufbereitet werden. Ob es sich bei diesen Daten im Ergebnis um eine schutzwürdige unternehmerische Leistung in dem genannten Sinne handelt, erscheint zumindest fragwürdig.

 

 

In seiner an der WWU Münster verfassten Dissertation hat sich der Autor Dr. Jan Markus Weber mit der Frage auseinandergesetzt, inwieweit Wettbewerber Zugang zu den Algorithmen und Datensätzen des Marktbeherrschers Google erhalten sollten. Jan Markus Weber ist derzeit Rechtsreferendar am Berliner Kammergericht.

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