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Münster (upm)
Raffaela Busse bei der Vorbereitung am WIPAC<address>© Johannes Werthebach</address>
Raffaela Busse bei der Vorbereitung am WIPAC
© Johannes Werthebach

Physikerin lebt und arbeitet ein Jahr am Südpol / "Die Neugier erstickt alle Ängste"

Raffaela Busse bereitet ihre Reise zum kältesten und abgelegensten Ort der Welt vor – ein Gastbeitrag

Leben und arbeiten am Südpol – für Raffaela Busse wird ein Traum wahr. Die 27-jährige Physikerin reist Ende Oktober für ein Jahr zur US-amerikanischen Amundsen-Scott-Station in die Antarktis. Bereits während ihrer Masterarbeit in der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Alexander Kappes an der WWU, wo sie nach ihrer Rückkehr eine Doktorarbeit beginnen möchte, hatte sie sich um einen Job am internationalen Neutrino-Observatorium „IceCube“ beworben. Mit Erfolg: Als „Überwinterer“ („Winter Over“) kümmert sie sich bald gemeinsam mit einem Doktoranden der TU Dortmund um die Computertechnik von „IceCube“. Während eines dreimonatigen Trainings an der Universität Wisconsin-Madison, USA, werden die beiden derzeit auf ihre Aufgabe und das Leben in der Südpolstation vorbereitet.

„Gar nicht mal so kalt“, denke ich mir, als ich den gigantischen Eisschrank betrete, der auf dem Gelände des Wisconsin IceCube Particle Astrophysics Center (WIPAC) für das Testen von optischen Modulen bereitsteht. Als mir die minus 40 Grad Celsius jedoch ein paar Sekunden später die Hosenbeine hochkriechen, bin ich froh, diesen Gedanken nicht laut ausgesprochen zu haben. Draußen erwarten mich grinsende WIPAC-Wissenschaftler, die eine Art Ritual daraus gemacht haben, die neuen Winter Over vor ihrer großen Reise gründlich tiefzufrieren. Natürlich nur zum Spaß aller Beteiligten.

Winter Over – mir gefällt meine neue Job-Bezeichnung. Es bedeutet, dass ich am kältesten und abgelegensten Ort der Welt überwintern werde, um auf den „IceCube“-Detektor aufzupassen. „IceCube“ sucht mit optischen Sensoren tief im antarktischen Eis nach Neutrinos - winzige, elektrisch neutrale Teilchen, die Informationen über die Geschichte unseres Universums mit sich tragen. Bei einer Wechselwirkung mit dem Eis produzieren sie kleine Lichtblitze, die an die Oberfläche geschickt und dort ausgewertet werden. 13 Monate werde ich zusammen mit meinem Kollegen Johannes von der TU Dortmund auf der Amundsen-Scott-Südpolstation dafür sorgen, dass „IceCube‘s“ Computer laufen – denn ohne diese Computer wäre „IceCube“, nunja, ein riesiger Eiswürfel.

Wenn die Sonne im März untergeht, ist es sechs Monate lang dunkel."
Raffaela Busse

Diese große Aufgabe darf natürlich nicht unvorbereitet angetreten werden. Daher verbringe ich drei Monate in Madison (Wisconsin) damit, die IT-Infrastruktur des Detektors kennenzulernen wie meine Westentasche – jedes Detektormodul, jeden Server, jedes Kabel. Ob ich denn keine Angst hätte, werde ich oft gefragt. Immerhin kann im langen antarktischen Winter niemand den Südpol verlassen, weil das Wetter und die Kälte die Landung eines Flugzeuges unmöglich machen. Wenn die Sonne im März untergeht, ist es sechs Monate dunkel am Pol, bei Temperaturen bis minus achtzig Grad Celsius. Aber Angst habe ich nicht, außer vielleicht vor menschenfressenden Aliens tief im Eis, die früher oder später ja mal jemand aus Versehen auftauen muss, wie es John Carpenter prophezeit hat.

Aber nein, im Gegenteil, meine Neugier erstickt alle Ängste und Sorgen im Keim. Schon allein die Aussicht auf den Sternenhimmel und die Aurora australis sind Motivation genug für mich.

Das "IceCube"-Labor an der Amundsen-Scott-Südpolstation: Minus 40 Grad sind hier durchaus üblich.<address>© Emanuel Jacobi, IceCube/NSF</address>
Das "IceCube"-Labor an der Amundsen-Scott-Südpolstation: Minus 40 Grad sind hier durchaus üblich.
© Emanuel Jacobi, IceCube/NSF
Natürlich werden wir als „IceCube“ Winter Over nicht die einzigen beiden Besatzungsmitglieder der Forschungsstation sein. Insgesamt etwa 40 Wissenschaftler, Köche, Zimmerleute, Ärzte, Ingenieure etc. werden mit uns am Südpol überwintern. Im kurzen Sommer arbeiten sogar um die 150 Leute dort.

„Was macht man denn gegen Langeweile?“, ist die zweithäufigste Frage, die man als „Überwinterin“ gestellt bekommt. Als leidenschaftliche Läuferin muss ich meine Sportgewohnheiten natürlich etwas nach drinnen verlegen, aber mit einer Sporthalle und einem Fitnessraum auf der Station wird das kein Problem werden. Meinen Boxsack habe ich für das Jahr an meinen Kumpel Volker verliehen – aber selbst Boxsäcke gibt es am Pol, und die werde ich hauen, wenn mir mal alle auf die Nerven gehen. Und das kann schon mal passieren in solch einer kleinen Community.

Am meisten fehlen wird mir – nach meiner Familie und meinen Freunden – meine Fensterbank, auf der mein kleiner Hobbygarten aus einem Dutzend Zimmerpflanzen fröhlich vor sich hin floriert. Auf den muss jetzt meine Mama aufpassen. Die Forschungsstation hat aber ein kleines Gewächshaus, das die Winter Over hin und wieder mit etwas frischem Obst und Gemüse versorgt. Dorthin werde ich mich zurückziehen, immer, wenn ich mal Heimweh kriege.

Und nach meinem Jahr am Südpol? Da geht es zurück an die Uni Münster, wo ich, wenn alles klappt, meine Doktorarbeit in der „IceCube“-Gruppe von Prof. Kappes schreiben werde. Sicherlich um einen großen Koffer voller einmaliger Erlebnisse, Fotos und Erfahrungen reicher.

Dieser Artikel stammt aus der Universitätszeitung "wissen|leben" Nr. 6, 11. Oktober 2017

Über ihre Vorbereitungen in Wisconsin und den Aufenthalt am Südpol berichtet Raffaela Busse auch in ihrem Blog:

http://go.wwu.de/antarctica

 

TERMINHINWEIS:

„IceCube“ ist auch ein Thema beim diesjährigen Astroseminar an der WWU: Am Samstag, 21. Oktober, spricht der ehemalige „IceCube“-Überwinterer Emanuel Jacobi unter dem Titel „Neutrinos und Erdbeeren am Südpol“ über seine Erfahrungen. Alle Interessierten sind herzlich willkommen – nicht nur bei diesem Vortrag, sondern auch bei den anderen Angeboten des Astroseminars (20. und 21. Oktober). Das vollständige Programm und die Möglichkeit zur Anmeldung gibt es unter www.unimuenster.de/Physik.Astroseminar.

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