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Münster (upm)
Prof. Alexander Kappes<address>© AG Kappes</address>
Prof. Alexander Kappes
© AG Kappes

Physiker Prof. Alexander Kappes über die Forschung mit dem Neutrino-Detektor "IceCube"

"Der Südpol ist ein idealer Platz"

„IceCube“ ist ein Neutrino-Detektor mit mehr als 5000 einzelnen, bis zu 2500 Meter tief in das Eis versenkten Sensoren. Rund 300 Wissenschaftler und Ingenieure gehören zum „IceCube“-Team. Darunter ist die Arbeitsgruppe von Prof. Alexander Kappes am Institut für Kernphysik der WWU. Christina Heimken sprach mit Alexander Kappes über das Experiment am Südpol.


Was ist an der Suche nach Neutrinos so spannend?

Neutrinos selbst sind spannend. Sie sind ein Teil des Modells der Teilchenphysik, das erklärt, wie Materie aufgebaut ist und wie ihre Bestandteile miteinander wechselwirken. Neutrinos könnten zum Beispiel erklären, warum in unserem Universum die Materie deutlich überwiegt, obwohl beim Urknall Materie und Antimaterie in gleichen Anteilen entstanden sein muss.

Wir benutzen Neutrinos auch, um etwas über sehr energiereiche Objekte im Universum zu erfahren, zum Beispiel über Explosionen von massereichen Sternen – sogenannte Supernova-Explosionen – und schwarze Löcher. Wie können diese Objekte Teilchen auf Energien beschleunigen, die zehn Millionen Mal höher sind, als wir sie mit den stärksten Teilchenbeschleunigern auf der Erde erreichen können? Wie funktionieren diese kosmischen Gebilde? Neutrinos können entscheidende Informationen zur Klärung dieser Fragen liefern. Denn sie sind ungeladen und können auch sehr dichte Objekte verlassen, ohne dass sie in ihrer Flugrichtung abgelenkt oder in ihren Eigenschaften verändert werden. Diese kosmischen Neutrinos wollen wir mit „IceCube“ nachweisen.

Warum baut man einen Detektor ausgerechnet am Südpol?

Es mag erst einmal absurd klingen, in so einer unwirtlichen Gegend den größten Neutrino-Detektor der Welt aufzubauen. In Wahrheit ist der Südpol jedoch ein idealer Platz dafür. Neutrinos kann man nur indirekt über Wechselwirkungen mit anderen Teilchen nachweisen. Weil die Neutrinos aber nur schwach wechselwirken und außerdem nur wenige dieser Teilchen aus dem Universum bei uns ankommen, braucht man ein riesiges Volumen
im Kubikkilometer-Bereich, das von Sensoren durchsetzt ist. Die geladenen Teilchen, die bei der Wechselwirkung zwischen Neutrinos und Materie entstehen, erzeugen Lichtsignale, das sogenannte Tscherenkow-Licht. Dieses Licht detektieren wir mit hoch empfindlichen optischen Sensoren. Aus dem Zeitpunkt und der Stärke der Lichtsignale können wir Rückschlüsse darüber ziehen, aus welcher Richtung die Neutrinos ankamen und mit welcher Energie.

Neben dem großen Volumen benötigen wir ein transparentes Medium, um die Lichtsignale möglichst ohne Störungen messen zu können. Das Südpol-Eis ist in großen Tiefen sehr klar. Die sehr schwachen Lichtsignale können dort Strecken von bis zu 200 Metern zurücklegen. Im Gegensatz zum Beispiel zu Meerwasser, das unter anderem radioaktive Elemente enthält, gibt es deutlich weniger Störsignale. Außerdem gibt es mit der Amundsen-Scott-Station der Amerikaner am Südpol eine Forschungsstation, die für die nötige Infrastruktur vor Ort sorgt und als Basis genutzt wird, um den Detektor zu betreiben.

Was kann „IceCube“, was andere Neutrino-Detektoren nicht können?

Bei Neutrino-Detektoren gilt das Motto „Je größer, desto besser“. Mit dem Vorgänger von „IceCube“ wurde die Technologie erstmals in viel kleinerem Maßstab erprobt. Wie sich inzwischen herausgestellt hat, ist das Mindestvolumen ein Kubikkilometer. „IceCube“ ist nun der erste Detektor dieser Größe – und damit auch der sensitivste. Vor kurzem ist es uns damit erstmals gelungen, hochenergetische kosmische Neutrinos nachzuweisen.

Welche Rolle spielt Ihre Arbeitsgruppe im „IceCube“-Konsortium?

Unser Hauptbeitrag ist zurzeit die Entwicklung eines neuen optischen Sensors für den in Planung befindlichen Nachfolger des derzeitigen „IceCube“-Detektors. Die Tatsache, dass wir bislang erst ein paar Dutzend Neutrinos kosmischen Ursprungs detektiert haben, ist ein Hinweis darauf, dass wir einen noch sensitiveren Detektor brauchen, um wirklich weiter zu kommen. Neben einem größeren Volumen müssen dabei auch die Sensoren noch empfindlicher werden. Wir werden uns in Zukunft auch verstärkt mit der Analyse von Daten des „IceCube“-Detektors beschäftigen.

Was erhoffen Sie sich von der kommenden Detektor-Generation?

Bislang haben wir einige Neutrinos beobachtet, bei denen wir uns sicher sind, dass sie kosmischen Ursprungs sind. Aber eines unserer Ziele ist es ja, etwas über die kosmischen Quellen dieser Teilchen zu erfahren. Und das ist uns bislang nicht gelungen – dazu ist die Zahl der nachgewiesenen Neutrinos zu gering. Wir hoffen, dass wir mit „IceCube Generation II“ mehr Neutrinos detektieren und etwas über die kosmischen Quellen lernen können.

Den maximalen Erkenntnisgewinn werden wir allerdings nur erreichen, wenn wir Beobachtungen aus verschiedenen Experimenten, mit denen weltweit kosmische Phänomene untersucht werden, zusammennehmen. Auf diesem Gebiet hat sich in den letzten Jahren unglaublich viel getan. Wir haben zahlreiche Beobachtungsmöglichkeiten dazugewonnen, mit denen wir Objekte im Universum untersuchen können. Ich bin mir sicher, dass wir in den nächsten Jahrzehnten viel Neues darüber lernen werden, welche Objekte es im Universum gibt, wie sie funktionieren und wie sich unser Universum entwickelt hat. Überraschungen sind vorprogrammiert.

Was möchten Sie Raffaela Busse mit auf den Weg geben, die sich bald für ein Jahr als „Winter Over“ am Südpol um die Computertechnik von „Ice Cube“ kümmert?

Ich wünsche ihr, dass sie gesund zu uns zurückkommt. Ich war auch schon einmal für kurze Zeit in der Südpolstation und weiß, dass es sich dort zunächst nicht besonders exotisch anfühlt – es gibt eine gut funktionierende Infrastruktur, und die Anreise erfolgt recht unkompliziert mit dem Flugzeug. Aber es ist eine sehr lebensfeindliche Umgebung. Auch kleine, normalerweise harmlose Vorfälle können dort unten schnell gefährlich werden. Es ist ein Abenteuer, das noch nicht viele Menschen erlebt haben. Ich stelle es mir sehr, sehr spannend vor – es herrscht sicher eine besondere Atmosphäre mit vielen spektakulären Polarlichtern. Ich hoffe, dass das ein besonderes Erlebnis für Raffaela Busse wird, an das sie sich für den Rest ihres Lebens erinnern wird.

Dieser Artikel stammt aus der Universitätszeitung "wissen|leben" Nr. 6, 11. Oktober 2017

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