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Münster (upm)
Christian Pälmke<address>© Foto: FFP/Caroline Queda</address>
Christian Pälmke
© Foto: FFP/Caroline Queda

„Es bleibt noch viel zu tun“

Christian Pälmke über das Pflegestärkungsgesetz II und was sich damit für Pflegebedürftige und Angehörige 2017 ändert

Die Fachwelt wartet gespannt auf die Umsetzung der größten Pflegereform seit 1995. Das Pflegestärkungsgesetz II trat bereits Anfang 2016 in Kraft, doch werden zentrale Regelungen erst ab Januar 2017 akut. Was müssen Pflegebedürftige und Angehörige beachten?

Was ändert sich 2017 eigentlich?
Im Mittelpunkt der Reform steht die Einführung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs. Entscheidend ist in Zukunft nicht mehr was eine Person nicht kann, sondern wie selbstständig sie ist. Dadurch ändert sich auch das Begutachtungsverfahren durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK). Bisher werden die Minuten gezählt, die für Unterstützung in den Bereichen Körperpflege, Ernährung, Mobilität und hauswirtschaftliche Versorgung anfallen. Ab 2017 hört das Minutenzählen auf. Stattdessen wird beispielsweise geprüft, ob eine Person sich selbständig innerhalb eines Wohnbereichs fortbewegen kann. Neben den körperlichen Faktoren werden jetzt in insgesamt acht Modulen zum Beispiel auch kognitive und kommunikative Fähigkeiten berücksichtigt. Damit werden Pflegebedürftige in ihren Bedarfen deutlich besser wahrgenommen. Zu guter Letzt wird das Ausmaß der Pflegebedürftigkeit nicht mehr in drei Pflegestufen erfasst, sondern anhand von fünf Pflegegraden. Die meisten Leistungen der Pflegeversicherung können allerdings erst ab Pflegegrad 2 genutzt werden.

Was müssen Betroffene jetzt tun?
Alle Personen, die bereits über eine Pflegestufe verfügen, werden ab 2017 automatisch dem nächst höheren Pflegegrad zugeordnet (z.B. wird Pflegestufe 2 zu Pflegegrad 3). Eine erneute Antragsstellung und Begutachtung ist dafür nicht erforderlich. Personen mit nachgewiesener eingeschränkter Alltagskompetenz (wie z.B. Demenz) rutschen automatisch zwei Grade höher, dann wird beispielsweise aus Pflegestufe 2 der Pflegegrad 4. Die Pflegekassen informieren derzeit ihre Versicherten schriftlich über die Umstellung. Hier sollten Betroffene unbedingt auf die richtige Zuordnung zu einem Pflegegrad achten.

Profitieren alle Pflegebedürftigen von der Reform?
In der Regel können Pflegebedürftige mit mehr Geld rechnen. Allerdings bestätigen auch hier Ausnahmen die Regel. Zum Beispiel werden vollstationäre Leistungen im Pflegegrad 2 um rund 300 Euro niedriger sein als in der Pflegestufe 1. Noch in diesem Jahr in ein Heim zu ziehen, kann sich in diesem Fall lohnen. Denn es gilt: Niemand wird im Zuge der Umstellung im Nachhinein finanziell schlechter gestellt. Daher kann auch eine Erstantragstellung bei der Pflegekasse bis zum 31.12.2016 sinnvoll sein.

Verbessert sich die Situation von Menschen mit Demenz?
Menschen mit Demenz zählen eindeutig zu den Gewinnern der Reform. Denn bislang wurden Demenzkranke meist nur notdürftig über die Pflegestufe 0 erfasst. Ab sofort wird Demenz vollwertig bei der Begutachtung berücksichtigt und Leistungen werden einfacher gewährt. Das ist nicht nur finanziell, sondern auch symbolisch für die Betroffenen ein sehr wichtiger Schritt. Dagegen werden Menschen mit ausschließlich körperlichen Einschränkungen in Zukunft geringere Ansprüche haben, da die Begutachtung weniger körperzentriert ist.

Wird jetzt auch die Pflege im Heim besser?
Hoffnungen auf eine Verbesserung der Pflegequalität im Zuge der Reform werden dagegen wohl enttäuscht. In den meisten Heimen werden sowohl Personal als auch Zeit für Bewohner weiterhin knapp bemessen sein. Positiv für Heimbewohner mit einem hohen Pflegegrad ist dagegen, dass alle Bewohner künftig den gleichen Eigenanteil zahlen. Hoher Pflegegrad heißt somit nicht mehr automatisch hoher Eigenanteil. Diese Umstellung geht allerdings auf Kosten der Menschen mit niedrigem Pflegegrad, die nun einen höheren Eigenanteil leisten müssen.

Ist die Begutachtung durch den MDK nun einfacher zu verstehen?
Das Begutachtungsverfahren ist zwar genauer, aber es bleibt kompliziert. Einrichtungen und Pflegekassen konnten sich in den letzten Monaten auf die umfassenden Änderungen vorbereiten. Für die Betroffenen ist eine so intensive Auseinandersetzung mit dem neuen Instrument meist nicht möglich. Schwer nachvollziehbar erscheint vor allem die Errechnung des Pflegegrades aus fünf von acht Modulen mit je unterschiedlicher Gewichtung. Daher ist es wichtig, dass das Ergebnis der Begutachtung den Pflegebedürftigen und Angehörigen ausreichend erklärt wird. Bei noch offenen Fragen, sollten örtliche Beratungsstellen aufgesucht werden.

Was bringt die Reform den pflegenden Angehörigen?
Leider nur geringe Verbesserungen. Pflegende Angehörige leisten den Großteil der Pflege in Deutschland und sind dennoch bei vielen Reformen nur Randerscheinungen. Ab 2017 werden sie zumindest besser in der Renten- und Arbeitslosenversicherung berücksichtigt. Das ist gut, aber noch immer zu wenig. Besonders hilfreich ist für die Betroffenen die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf. Viele Unternehmen wissen bereits um die Herausforderung, doch noch zu wenige unterstützen ihre Beschäftigten durch Maßnahmen wie pflegesensible Arbeitszeiten. Zugleich greifen rechtliche Regelungen wie die Familienpflegezeit nicht. Die Politik sollte daher auch über neue Ansätze nachdenken, wie die Einführung einer Lohnersatzleistung im Sinne des Elterngeldes.

Mit der Reform ist somit unbestreitbar viel geleistet worden. Klar ist aber: Es bleibt auch im Jahr 2017 noch viel zu tun!

 

Christian Pälmke ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im "Forschungszentrum Familienbewusste Personalpolitik" an der Universität Münster.

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