|
Münster(upm/tk/jn)
Harte Schale mit großer Wirkung: In der Schale von Krustentieren steckt Chitin, das durch chemische Prozesse zu Chitosan wird ‒ ein vielseitig einsetzbares Material.<address>© Colourbox</address>
Harte Schale mit großer Wirkung: In der Schale von Krustentieren steckt Chitin, das durch chemische Prozesse zu Chitosan wird ‒ ein vielseitig einsetzbares Material.
© Colourbox

Das Multitalent aus Krabbenschalen

WWU-Biotechnologen sind führend in der Erforschung des vielversprechenden Chitosans

Recycling hat sich als Synonym für Wiederverwertung längst aus dem Englischen in den deutschen Sprachgebrauch eingebürgert. Und auch mit dem Begriff "Upcycling" wissen beständig mehr Menschen etwas anzufangen: die Verwandlung von Abfällen oder (scheinbar) nutzlosen in neuwertige, nützliche Dinge. Doch Upcycling ist auch ein Thema für die Wissenschaft. Erst recht, wenn sich dadurch eine spannende Stoffklasse erschließt, die durch ihre Eigenschaften eine breite Palette von Anwendungsmöglichkeiten eröffnet.

Als Paradebeispiel dafür könnte das Chitosan dienen. Es leitet sich vom Biopolymer Chitin ab, das in der Natur in den Zellwänden von Pilzen, in den Außenskeletten von Wirbellosen wie Insekten oder Krustentieren sowie in einigen Weichtieren vorkommt. Chemisch gelangt man zum Chitosan, wenn man vom Chitin Acetylgruppen in Form von Essigsäure abspaltet – entweder durch eine Behandlung mit Natronlauge oder aber sanfter durch Enzyme. "Das Chitosan besteht aus einem Strukturpolymer aus Glucosamin, also im Grunde aus langen Ketten von Zuckermolekülen, die Amin-Gruppen tragen", fasst Prof. Bruno Moerschbacher die Biochemie seines Forschungsgegenstands zusammen. Anders ausgedrückt: Grundbaustein der langen Molekülketten sind Glukosemoleküle mit jeweils einer Aminogruppe, von denen bis zu 2000 zu linearen Ketten ganz ähnlich wie bei der verwandten Zellulose aneinandergehängt sind.

Einsatzmöglichkeiten von Chitosan noch längst nicht ausgeschöpft

Die Arbeitsgruppe von Bruno Moerschbacher am Institut für Biologie und Biotechnologie der Pflanzen beschäftigt sich seit Jahren mit dem Biopolymer. Das hat wissenschaftliche, aber auch ganz praktische Gründe. Denn Chitosan, erläutert der Gruppenleiter, habe überraschende Eigenschaften und zeige etliche biologische Aktivitäten, die es vielseitig einsetzbar mache und etliche Vorteile biete – wobei die Einsatzmöglichkeiten noch längst nicht ausgeschöpft seien.

Darauf setzen Bruno Moerschbacher, viele seiner forschenden Kollegen und ebenso die interessierte Industrie. Gelegenheit zum Austausch bietet eine internationale Konferenz vom 30. August bis 2. September 2015 in Münster (www.chitin2015.eu). Ein Gegenstand der Forschung ist der positive Effekt von Chitosan auf das Wachstum von Pflanzen – ohne Mensch und Umwelt zu belasten oder zu gefährden. Überdies ist Chitosan problemlos biologisch abbaubar. "In Ländern wie Indien mit extensiv betriebener Landwirtschaft erreichen wir beträchtliche Wachstumssteigerungen von bis zu 25 Prozent", berichtet der Wissenschaftler.

Chitosan greift die Zellmembranen von Bakterien und Pilzen an, deren Wachstum so gehemmt wird.
Prof. Bruno Moerschbacher

Diese Zunahme erklärt der Biotechnologe mit "einem positiven Einfluss des Chitosans auf das Immunsystem der Pflanzen". Die Ergebnisse seien aber auf die Landwirtschaft in Deutschland nicht übertragbar. "Bei unserer Hochleistungslandwirtschaft mit Dünge- und Pflanzenschutzmitteln können Sie mit Chitosan nichts mehr obendrauf legen. Die Möglichkeiten sind ausgereizt." Ob die Unterschiede durch Klimafaktoren oder weniger belastete Böden in Indien erklärt werden können, ist noch nicht geklärt. Die Aktivierung der pflanzeneigenen Abwehr hat einen positiven Nebeneffekt: Die Pflanzen werden resistenter gegen Krankheiten. "Das Chitosan greift die Zellmembranen von Bakterien und Pilzen an, deren Wachstum dadurch gehemmt wird. Die Membranen der Pflanzen werden nicht geschädigt." Auch für Tiere und Menschen sei Chitosan völlig harmlos. "Das kann man bedenkenlos essen."

Prof. Bruno Moerschbacher<address>© WWU - Robert Klapper</address>
Prof. Bruno Moerschbacher
© WWU - Robert Klapper
Doch der Einsatz des Biopolymers im Pflanzenschutz hat seine Tücken. "Die Wirkung variiert stark, mal funktioniert es, mal nicht. Wir wissen noch nicht im Einzelnen, woran das liegt", erklärt der Wissenschaftler. Immerhin, nationale und internationale Chitosan-Forscher kommen dem Ziel einer schlüssigen Erklärung immer näher. Diese liegt in den biochemischen Eigenschaften der Moleküle. Bei der Herstellung von Chitosan wird von dem N-Acetyl-Glucosamin-Grundbestandteil des Chitins jeweils eine Acetylgruppe in Form von Essigsäure abgespalten. "Dadurch entsteht eine freie positive Ladung am Molekül, was in der Natur selten vorkommt." Chitosan verdanke ihr seine hohe biologische Reaktivität. Diese werde noch dadurch gesteigert, dass sich die Ladungen in den langen Glucosamin-Ketten abwechselnd an entgegengesetzten Positionen befinden.

Das Problem dabei: Die Ladungsverteilung ist nicht homogen und nicht jede Molekülkette gleich lang. "Chitosan besteht aus einem Gemisch aus unterschiedlich langen Polymerketten, die unterschiedlich viele positive Ladungen tragen", erklärt Bruno Moerschbacher. Seit Jahren arbeiten die Biotechnologen zusammen mit Chemikern daran, Chitosan-Moleküle definierter Länge herzustellen und darunter die biologisch wirksamsten aufzuspüren. Beim Pflanzenschutz mit Erfolg: Die Menge an Chitosan konnte von anfangs unbrauchbar hohen 40 Kilogramm pro Hektar auf verschwindend geringe vier Gramm gesenkt werden. "Damit wird die Sache für Landwirte in Entwicklungsländern erschwinglich, zumal das Ausgangsprodukt Chitosan billig ist." Dieses beziehen die Münsteraner von einem indischen Unternehmen, das es per Natronlauge aus dem Chitin der Krabbenschalen, einem Abfallprodukt, gewinnt. Um reinere Chargen und Zuckerketten definierter Länge zu erhalten, versucht das Labor seit einigen Jahren, auf biotechnologischem Weg unabhängig von den Krabbenschalen zu werden. "Dazu übertragen wir unter anderem Gene für chitinsynthetisierende Enzyme aus Rhizobien genannten Bakterien in Coli-Bakterien, die dann das gewünschte Chitosan in größeren Mengen produzieren." Ein weiterer Versuchsansatz gilt der Chitin-Produktion durch Kieselalgen.

Bereits heute ist Chitosan in Ländern wie Indien als Sprühverband im Einsatz.
Prof. Bruno Moerschbacher

Der Humanmedizin eröffnen Chitosan-Produkte ebenfalls interessante Perspektiven. Damit ist aber nicht deren angebliche, vielfach in der Werbung angepriesene Eigenschaft als "Fettblocker" gemeint. Zwar vermag Chitosan Fette zu binden, aber "in unserem Darm funktioniert das nachweislich nicht", stellt Bruno Moerschbacher klar. Ganz anders sieht das beim Thema Wundheilung aus. Bereits jetzt ist Chitosan in Ländern wie Indien als Sprühverband im Einsatz. Wundauflagen, die die US-Army schon lange bei starken Blutungen verwendet, enthalten schon seit Längerem Chitosan. Dieses besondere Material ist hautverträglich, wirkt antimikrobiell und erzeugt zusätzlich einen durchsichtigen Wundverschluss. "Gerade bei oberflächlichen Verbrennungen oder Verbrühungen, wie sie beispielsweise an Kochstellen in Indien häufiger vorkommen, bleibt die Wunde durch Chitosan sauber und heilt ohne Narben ab", berichtet Bruno Moerschbacher. Es ist also kein Wunder, dass Dermatologen die Einsatzmöglichkeiten des biochemischen Multitalents weiter untersuchen werden.

Dieser Artikel ist in der Juli-Ausgabe der Uni-Zeitung wissen|leben erschienen. Autor: Thomas Krämer

Links zu dieser Meldung