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Münster (upm/nor)
Nach der Siegerehrung - v.l.: Klaus Hansen, Geschäftsführer Odgers Berndtson, Marianne Ravenstein, Prorektorin der WWU Münster, Anna Haarmann, Mark Mertgen, stellv. Chefredakteur "Focus Money"© Bernd Roselieb
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Rektorin Ursula Nelles räumt ihren Chefsessel - für einen Tag

Die 18-jährige Schülerin Anna Haarmann wird am kommenden Donnerstag die Universität Münster leiten

Im Berufsleben von Prof. Dr. Ursula Nelles ist der Donnerstag durchaus ein besonderer Tag. Denn trotz aller Routine und Erfahrung: Das fünfköpfige Rektorat, das sich einmal wöchentlich trifft, ist das wichtigste Gremium der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) - in dieser Runde fallen die wichtigsten Personal-, Bau- und Investitions-Entscheidungen der viertgrößten deutschen Hochschule. So wird es auch am kommenden Donnerstag sein. Und wie üblich nimmt auch die Rektorin an der um neun Uhr beginnenden Tagung teil. Ein normaler Tag? Ganz im Gegenteil.

Denn anders als sonst wird sich Ursula Nelles an diesem 30. September einigermaßen entspannt zurücklehnen und sich auf die juristische Oberaufsicht beschränken können. Anna Haarmann wird ihr nicht nur die Leitung dieser Sitzung abnehmen, sie wird auch alle weiteren Rektorinnen-Termine des Tages übernehmen: Die 18-jährige Schülerin des münsterschen Mariengymnasiums ist eine der Siegerinnen des Wettbewerbs "Chef für 1 Tag", an dem neben der WWU sieben weitere deutsche Unternehmen teilgenommen haben. Von acht Uhr morgens bis in den Abend hinein wird die 18-jährige Gymnasiastin Sitzungen dirigieren, einen neuen Professor willkommen heißen, Gäste empfangen und Interviews geben. "Ich ahne, was auf mich zukommt", betonte Anna Haarmann, nachdem sie zuvor von ihren Mitschülerinnen und ihrer Lehrerin Piroschka Haenlein minutenlang gefeiert worden war. "Ich habe natürlich großen Respekt vor diesem Tag. Aber ich freue mich auch darauf. Ich bin, ehrlich gesagt, hin und weg."
"Chef für 1 Tag" ist eine Initiative des Fach-Magazins "Focus Money", der Unternehmensberatung "Odgers Berndtson" und acht deutscher Unternehmen (u.a. Edeka, Gardena und Signal Iduna) - in diesem Jahr nimmt die WWU als einzige deutsche Hochschule teil. Rund 200 Schulklassen aus ganz Deutschland hatten sich für die Teilnahme beworben, acht kamen durch und durften jeweils in Klassenstärke am vergangenen Wochenende an einem "Casting" im Frankfurter Luxus-Hotel "Kempinski Gravenbruch" teilnehmen.

Die Marien-Schülerinnen hatten bereits mit ihrer Bewerbung ihren großen Ehrgeiz und ihre Kreativität unter Beweis gestellt. Fast acht Minuten lang dauerte der selbst gedrehte Film, in dem sich die Schülerinnen des Grundkurses Sozialwissenschaften der Stufe 13 mal als Zicken-Kurs, mal als altbackener Streber-Kurs und schließlich als ganz normale Schulklasse darstellten. "Allein die Dreharbeiten waren die Mühe wert", unterstrich Kurschefin Piroschka Haenlein, die sich bereits zum zweiten Mal mit einer ihrer Klassen bei der Aktion beworben hatte. "Wir haben manchmal Tränen gelacht." Der Lohn: Bei der Wahl der besten Bewerbungen kamen die Marienschülerinnen auf Platz zwei.

Das Wochenende war nicht minder anstrengend. Um sieben Uhr morgens saßen die Schülerinnen bereits am Samstag im Bus, gegen 14 Uhr stand in Frankfurt die erste Prüfung auf dem Programm. Ein Intelligenztest der besonderen Art: Binnen fünf Minuten mussten sie und die anderen Klassen aus 37 Reihen mit jeweils fünf Wörtern den jeweils einzig richtigen Begriff herausfinden. Diese anfangs mutmaßlich leichte Übung (Neso, Osen, Nase, Sane, Enos) entwickelte sich im letzten Drittel zu einer nahezu unmöglichen Herausforderung. Es folgten Einzelgespräche, eine simulierte und besonders knifflige Geschäftssituation und vieles mehr - vor allem aber nutzten die rund 220 Schülerinnen und Schüler immer wieder die Gelegenheit, sich gegenseitig nach ihren beruflichen Ambitionen und Studien-Tipps abzufragen und die geballte Kompetenz der Vertreter der acht deutschen Top-Unternehmen "abzuschöpfen".

Etwa die der Vizechefin der WWU, Dr. Marianne Ravenstein. Die in erster Linie für studentische Angelegenheiten verantwortliche Prorektorin war in nahezu jeder freien Minuten geradezu umschwärmt: Nach den zwei Tagen hatte sie - gefühlt - fast jede und jeden der 220 Schülerinnen und Schüler individuell beraten. Ihre drei Kern-Tipps lauteten: 1. Informieren Sie sich genau über die Studienbedingungen am gewünschten Studienort. 2. Orientieren Sie sich bei der Wahl des Studienfachs nicht allein danach, was derzeit am Arbeitsmarkt gefragt ist - entscheiden Sie vor allem nach eigenem Interesse. 3. Genießen Sie das Studenten-Leben.

Nach der simulierten Geschäftssitzung stand fest: Die Entscheidung in der 13. Klasse der Marienschule fällt zwischen Rahel Krüger und Anna Haarmann. Ihre Mitschülerinnen Christine John, Aud Kühle und Lea Schurmann überraschte das weniger. "Sie hätten es beide verdient", betonten sie. "Sie sind engagiert und übernehmen schon heute Verantwortung, etwa als Klassensprecherin. Selbstbewusst sind sie auch - wir gönnen es ihnen."

In einem anderen Raum kämpften parallel dazu 18 Auszubildende um den Sieg. Erstmals hatten es die Organisatoren in diesem Jahr ermöglicht, dass auch mehrere Auszubildende aus jedem Unternehmen an der Besten-Auswahl teilnehmen konnten - zu den gleichen Bedingungen wie die Schüler. Und mit einem außerordentlich lohnenswerten "Gewinn": Der Sieger, Felix Kaul vom Kempinski Hotel, wird einen Tag lang Regisseur einer Frankfurter "Tatort"-Folge sein.

Was viele nicht wissen: Die Universität Münster ist nicht nur eine der größten deutschen Hochschulen, sondern als einer der größten Arbeitgeber im Münsterland auch ein großes Ausbildungs-Unternehmen. Derzeit werden rund 140 Auszubildende in 18 Ausbildungsberufen in der Verwaltung, den Geschäftszimmern und in den Werkstätten der Fachbereiche auf das Berufsleben vorbereitet.
Es war, wie bei den Schülern auch, eine hauchdünne Entscheidung: Die beiden WWU-Teilnehmer, die angehende Bürokauffrau Johanna Aschwer und der Fachinformatiker Fabian Schnase, schafften es nicht unter die letzten zwei Teilnehmer. Sie waren dennoch begeistert. "Es war ein rundum tolles Ereignis", unterstrich Johanna Aschwer. "Enttäuscht? Überhaupt nicht", fügte Fabian Schnase hinzu, "ich habe in den zwei Tagen enorm viel dazugelernt."

Eine Einschätzung, die alle Marienschülerinnen teilten. Gegen 16 Uhr kamen sie alle in gespannter Erwartung im Ballsaal zusammen, noch kannte niemand die Namen der Siegerinnen und Sieger. Eine knappe halbe Stunde später öffnete einer der Organisatoren endlich den entscheidenden Umschlag für die Marienschule und las laut vor: "Gewonnen hat ... Anna Haarmann!" Sofort sprangen alle von ihren Sitzen auf jubelten ihrer Mitschülerin zu. Nur 30 Minuten später ahnte Anna Haarmann bereits, was möglicherweise in den nächsten Tagen auf sie zukommen wird: Ein Redakteur von Radio "Antenne Münster" rief an und bat sie in Frankfurt um ihr erstes Interview.

Norbert Robers

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