Ehrenamtliche unterstützen Vatikan-Forschung
Beim Auswerten von Dokumenten aus dem Vatikanischen Geheimarchiv erhalten der renommierte Kirchenhistoriker der Universität Münster, Prof. Dr. Hubert Wolf, und sein Team ungewöhnliche Unterstützung: Rund ein Dutzend Senioren hilft ehrenamtlich den Mitarbeitern des Projekts "Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte von Eugenio Pacelli". Das Team gehört zum Seminar für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte der Katholisch-Theologischen Fakultät und bereitet etwa 17.000 Dokumente für eine Online-Edition vor. Das 2008 begonnene Vorhaben zu den Nuntiaturberichten von Eugenio Pacelli wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert. Es ist auf zwölf Jahre angelegt. Pacelli (1876-1958), der spätere Papst Pius XII., schrieb beziehungsweise empfing die Berichte in den Jahren 1917 bis 1929 als päpstlicher Gesandter in München und Berlin.
Die Idee, Senioren als Ehrenamtliche in das Projekt einzubinden, entstand nach Worten von Hubert Wolf im Vorfeld des "Alternativtags", den die Universität im Juni 2011 für "Studierende über 50" angeboten hatte. Der Kirchenhistoriker hatte vor rund 500 Senioren einen Vortrag über seine Forschungen in Rom gehalten. Sein Team stellte anschließend das Projekt vor und stieß auf großes Interesse.
Die Senioren bringen für ihre außergewöhnliche Aufgabe beste Voraussetzungen mit: "Sie sind motiviert, interessieren sich für Kirchengeschichte, können gut alte Handschriften lesen und verstehen Latein, Italienisch oder Französisch", berichtet Projektleiter Hubert Wolf. Hinzu kommt: "Nach dem Ausscheiden aus dem Berufsleben können sie ihre Kompetenzen weiter einbringen und selbst Neues lernen." So vertiefe eine Seniorin ihre Italienischkenntnisse. Anderen mache es Freude, schwierige fremdsprachliche Handschriften zu entziffern oder den Umgang mit Compter, E-Mail und Co. zu lernen.
Nach einer Einarbeitungsphase arbeiten die Senioren größtenteils von zu Hause aus. Sie erhalten per E-Mail Bilddateien der Dokumente aus den Vatikanischen Archiven, die sie abschreiben und zurückschicken, damit sie in die Projektdatenbank eingespielt werden können. Außerdem unterstützen sie das Team um Hubert Wolf beim Korrekturlesen der abgeschriebenen Dokumente. "So wird ein generationenübergreifender Dialog zwischen den jungen Wissenschaftlern und den erfahrenen Senioren gepflegt", meint Hubert Wolf.
Eugenio Pacellis Nuntiaturberichte aus den Jahren 1917 bis 1929 sind nach Angaben des Kirchenhistorikers der wichtigste zusammenhängende Quellenbestand zum deutschen Katholizismus der Weimarer Zeit. Der päpstliche Gesandte habe aber nicht nur über die Lage der katholischen Kirche geschrieben, sondern auch über die Politik und die gesellschaftlichen Entwicklungen in Deutschland und Europa. Pius XII. sei vor allem umstritten, weil er die Ermordung der europäischen Juden nicht öffentlich und ausdrücklich angeklagt habe. "In den Nuntiaturberichten sind schon erste Prägungen zu erkennen, die dieses Verhalten erklären helfen, etwa seine Selbstverpflichtung auf Unparteilichkeit und die Angst vor einem neuen Kulturkampf", erklärt Hubert Wolf.
Die Nuntiaturberichte sind seit Februar 2003 beziehungsweise September 2006 im Vatikanischen Geheimarchiv für die Forschung zugänglich. Sie sollen in Zusammenarbeit mit dem Vatikanischen Geheimarchiv und dem Deutschen Historischen Institut in Rom komplett mit Anlagen erfasst, kritisch ediert, kommentiert, ausgewertet und im Internet der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Die Dokumente aus den Jahren 1917 und 1918 sind bereits auf der Projekthomepage www.pacelli-edition.de einsehbar.