NRW zeichnet Dogus Darici mit Landeslehrpreis aus
Ein grauer Dezembervormittag in Münster. Um 10.05 Uhr füllt sich der Hörsaal des Instituts für Physiologische Chemie und Pathobiochemie in der Waldeyerstraße. Ein vielstimmiges Gemurmel liegt in der Luft: Die Studierenden verabreden sich auf einem der Weihnachtsmärkte, sprechen sich für die nächste Veranstaltung ab und tauschen Tipps für neue und angesagte Serien aus. Vorne bereitet sich Dr. Dogus Darici auf die Vorlesung „Grundlagen der Anatomie und Embryologie” vor. Punkt 10.15 Uhr beginnt er, während einzelne Studierende noch einen Platz suchen. Dogus Darici legt los: „Guten Morgen zusammen! Schön, dass Sie da sind. Heute starten wir mit dem Thema Verdauung.“
Was in den kommenden 90 Minuten geschieht, ist weit mehr als die Vermittlung von Fakten. Dogus Darici versteht Lehre als „Beziehungsgeschehen“. „Gute Lehre beginnt damit, die Perspektive der Studierenden einzunehmen“, sagt er. Statt klassischer Frontalvorlesungen prägen dialogische Formate seinen Stil: Einstiegsfragen, Live-Abstimmungen per QR-Code, kurze Diskussionen und klinisch orientierte Fallbeispiele. Komplexe neuroanatomische und embryologische Zusammenhänge werden nicht nur erklärt, sondern gemeinsam erarbeitet. „Ich versuche wahrzunehmen: Was können sie schon, und wo brauchen sie Unterstützung? Ich möchte die Studierenden herausfordern anstatt sie zu überfordern.“
Der Mediziner, der nach Stationen in Gießen und Berlin im Jahr 2020 nach Münster wechselte, setzt auf eine evidenz- und kompetenzorientierte Lehre. Anstatt sich auf spontane Eingebungen oder reine Erfahrung zu verlassen, stützt er sich auf Erkenntnisse der Lehr-Lern-Forschung. Diese beschäftigt sich beispielsweise mit Fragen wie: Wann ist der beste Zeitpunkt, um Inhalte zu wiederholen? Wie lässt sich die Aufmerksamkeitsspanne sinnvoll nutzen? Und wie viel neues Wissen kann das Arbeitsgedächtnis aufnehmen, ohne überfordert zu werden? Evidenzbasierte Lehre bedeutet für ihn, Formate und Methoden gezielt an solchen Befunden auszurichten, und nicht, möglichst viel Stoff in kürzester Zeit durchzupauken. „Wir Lehrenden kennen den Stoff seit Jahren. Die eigentliche Aufgabe besteht darin, die Perspektive zu wechseln, sich in Studierende ohne Vorwissen hineinzuversetzen und ihre kognitive Belastung im Blick zu behalten. Das gelingt nicht mit 60 Folien am Stück“, sagt Dogus Darici.
Die eigentliche Aufgabe besteht darin, die Perspektive zu wechseln, sich in Studierende ohne Vorwissen hineinzuversetzen und ihre kognitive Belastung im Blick zu behalten.
Die Studierende sollen nicht nur Fakten aufnehmen, sondern auch fachliche Kompetenzen und die Fähigkeit ihr Handeln zu reflektieren entwickeln. Als Fachberater erlebt Dogus Darici immer wieder, dass viele Studierende mit Herausforderungen zu kämpfen haben, beispielsweise bei Prüfungen oder beim Mitkommen im Semesterverlauf. „Oft liegt es daran, dass sie wenige Veranstaltungen besucht haben. Die Gründe dafür sind vielfältig: familiäre Verpflichtungen, Sprachbarrieren oder Isolation. Diese Aspekte müssen wir als Dozentinnen und Dozenten stärker berücksichtigen“, betont der 35-Jährige.
Die Innovationskraft von Dogus Darici zeigt sich unter anderem in der Verbindung von Analogem und Digitalem. Hybrid übertragene Vorlesungen, digitale Abstimmungstools, problemorientiertes Lernen und viel Praxisbezug sind für ihn keine modischen Extras, sondern Werkzeuge, um Studierende aktiv einzubinden. Gleichzeitig bleibt sein Unterricht persönlich. Der Dozent sucht Blickkontakt, reagiert spontan auf Fragen und passt sein Tempo den Studierenden an.
Bei den Studierenden kommt all das gut an. „Dogus Darici hat ein Talent dafür, komplizierte Themen so zu erklären, dass man sie wirklich versteht. Und er hat ein Gespür dafür, ob wir die Inhalte verstanden haben oder nicht“, meint Lina, die im ersten Semester studiert. „Er sorgt für eine ruhige Lernatmosphäre und schafft es, unsere Aufmerksamkeit immer wieder zu fokussieren, wenn sie abdriftet“, ergänzt ihr Kommilitone Florian. „Ihm ist wichtig, dass wir die Anatomie nicht einfach auswendig lernen, sondern verstehen. Das ist ein deutlicher Unterschied zu anderen Dozenten.“ Die besondere Wertschätzung zeigt sich auch darin, dass die Studierenden der Universität Münster ihn mehrfach zum „besten Lehrer des Jahres in der Vorklinik“ kürten.
Dogus Darici geht es um mehr als die reine Vermittlung von Inhalten. Er möchte, dass Studierende lernen, ihr Wissen anzuwenden und Zusammenhänge zu erkennen. Er versteht Evaluationen nicht als Kontrolle, sondern als Dialog. Regelmäßiges Feedback fließt direkt in die Weiterentwicklung seiner Veranstaltungen ein. Dass diese Haltung nun mit dem Landeslehrpreis 2025 des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen gewürdigt wird, ist für ihn weniger Ziel als Bestärkung. Lehre ist für ihn ein dynamischer Prozess. Ein permanentes Lernen auf beiden Seiten.
Kurz vor zwölf Uhr verändert sich das Licht im Hörsaal. Die ersten Sonnenstrahlen brechen durch die Wolkendecke und fallen durch die hohen Fenster. Die letzte Live-Abstimmung flackert über die Leinwand, die Vorlesung endet um 12 Uhr. Der Saal leert sich, vorne bildet sich eine kleine Menschentraube. Rund zwanzig Studierende stellen Fragen und bitten um Einordnung. Dogus Darici hört zu, erklärt erneut – ruhig, klar und geduldig. Er nimmt sich für jeden Einzelnen Zeit, geht individuell auf Verständnisfragen ein und schafft so eine Atmosphäre, in der Lernen wirklich möglich wird.
Kurzvita
Dr. Dogus Darici wurde am 29. April 1990 in Kars (Türkei) geboren und studierte Humanmedizin an der Justus-Liebig-Universität Gießen, an der Linköpings Universität in Schweden sowie an der Universität Zürich in der Schweiz. 2018 erhielt er seine Approbation bei der Ärztekammer Berlin und promovierte an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Ergänzend studierte er von 2013 bis 2022 Psychologie an der „FernUniversität“ Hagen. Von 2021 bis 2024 absolvierte er ein Postgraduiertenstudium „Master of Medical Education (MME)“ an der Universität Heidelberg, und 2024 war er als „Visiting Scholar“ an der Harvard Graduate School of Education tätig. Seit 2024 ist Dogus Darici wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Anatomie und Molekulare Neurobiologie der Universität Münster, habilitierte sich dort, und ist zudem als Lehrkoordinator engagiert.