Reif für die Insel
Zypern übernimmt im neuen Jahr den Vorsitz im Rat der Europäischen Union, mit dem sich die 27 Mitgliedsstaaten halbjährlich abwechseln. Damit ist dem Inselstaat mit seinen nur rund 1,3 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern vergönnt, was nur selten der Fall ist: Er steht im Rampenlicht. „Trotz oder vielleicht gerade wegen seiner eigenen konfliktreichen Geschichte ist er für diese Rolle in Krisenzeiten besonders gut geeignet“, urteilt der Byzantinist Prof. Dr. Michael Grünbart, der als geschäftsführender Direktor das Institut für Interdisziplinäre Zypern-Studien an der Universität Münster leitet. Diese sei ein guter Ort, um sich über den unterschätzten Teamplayer zu informieren. Deutschlandweit gibt es nur an der hiesigen Hochschule ein Institut für Zypernstudien – und das bereits seit 1996. Zur Übergabe der Ratspräsidentschaft von Dänemark an Zypern in Berlin am 18. Dezember ist auch eine Delegation aus Münster zu Gast.
Es lohnt sich, den Blick auf die Insel zu lenken – auch aus akademischer Sicht. „Unsere Szene ist international breit gefächert und gut vernetzt“, erläutert Michael Grünbart, „das zeichnet die kleinen Fächer aus – wir kooperieren intensiv.“ Von den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern beispielsweise am King‘s College in London, in den Niederlanden oder in Zypern kenne er viele noch aus dem Studium. Das Institut in Münster arbeitet ohnehin fächerübergreifend: für die Dokumentation von Grabungen beispielsweise mit der Archäologie, für die Erschließung eines großen musikethnologischen Nachlasses mit der Musikwissenschaft. Aktuell entsteht eine Datenbank zum religiösen und kulturellen Erbe der Insel. „Unser neuer Geschäftsführer Dr. Thorsten Kruse reist regelmäßig nach Zypern und beschäftigt sich dort mit christlichen, muslimischen und jüdischen Gotteshäusern und Friedhöfen der gesamten Insel“, berichtet Michael Grünbart. Dafür dokumentiert er den aktuellen Zustand der historischen Stätten und zieht unter anderem alte britische Karten zurate. Derzeit werde viel diskutiert, wie man mit dem Gedenken auf Friedhöfen umgeht. „Hintergrund sind die Erfahrungen mit dem Bosnienkrieg“, erklärt Michael Grünbart. „Im Hinblick auf den Ukrainekrieg, aber auch den Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan bekommt das Thema eine traurige Aktualität.“
Ein Lichtblick in konfliktreichen Zeiten können Austausch und Verständigung sein: Die Neugriechisch-Kurse für Studierende aller Fächer seien gut besucht. Für Erasmus-Studierende aus Zypern plant das Institut eine Servicestelle. Es wäre europaweit die erste. Im Sommersemester lädt die öffentliche Ringvorlesung „The sweet land of Cyprus“ alle Interessierten dazu ein, die facettenreiche Insel kennenzulernen.
Hintergrund – das Institut:
Das Institut für Interdisziplinäre Zypern-Studien der Universität Münster untersucht seit Mitte der 1990er-Jahre Zypern als Region, von der Antike bis in die Gegenwart. Nach einer Vakanz in der Leitung wurde es dieses Jahr feierlich wiedereröffnet. Es fördert Beziehungen zwischen der Universität Zypern und wissenschaftlichen Einrichtungen in der Europäischen Union sowie wirtschaftliche und kulturelle Kontakte zwischen Zypern und den Ländern der EU, beispielsweise den jeweiligen Industrie- und Handelskammern. Finanzielle Unterstützung erhält das Institut vom zyprischen Staat. Es unterstützt fächerübergreifend die Beschäftigung mit zyprischen Forschungsthemen, baut ein Netzwerk aus Personen auf, die sich für Zypern-Studien interessieren, und stellt Informationsmaterial bereit. Zusätzlich zu akademischen Formaten richtet sich die Arbeit ausdrücklich auch an die Öffentlichkeit, etwa mit Ausstellungen, Konzerten und Theateraufführungen.
Die EU-Ratspräsidentschaft:
Die EU-Ratspräsidentschaft wechselt alle sechs Monate zwischen den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. Während dieser Zeit leitet das jeweilige Land die Ratssitzungen, organisiert die Arbeit und vertritt den Rat gegenüber anderen Institutionen. Zypern wird zum 1. Januar 2026 Dänemark ablösen, das den Vorsitz seit 1. Juli 2025 innehat.
Autorin: Brigitte Heeke
Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 8, 10. Dezember 2025.