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Münster (upm/ch).
Prof. Michiji Konuma hat die „Erklärung für die Zukunft“ mit angestoßen, die nun in Münster unterzeichnet wurde.<address>© DPG - MünsterView</address>
Prof. Michiji Konuma hat die „Erklärung für die Zukunft“ mit angestoßen, die nun in Münster unterzeichnet wurde.
© DPG - MünsterView

„Die Erklärung wird in Japan auch als ‚Münster-Deklaration‘ in Erinnerung bleiben“

Prof. Michiji Konuma hat die „Erklärung für die Zukunft“ mit initiiert – ein Interview

Michiji Konuma, emeritierter Professor für theoretische Physik der Keio-Universität in Tokyo und ehemaliger Präsident der Japanischen Physikalischen Gesellschaft, ist ein ehemaliges Ratsmitglied von „Pugwash“. Diese internationale Organisation von Wissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern setzt sich für eine faktenbasierte Politik ein und warnt vor den Gefahren von Massenvernichtungswaffen. Durch öffentliche Auftritte mit Prof. Koji Hashimoto, der die japanische Version des Kinofilms „Oppenheimer“ wissenschaftlich editierte, hat Michiji Konuma nach dem Filmstart 2024 in Japan eine öffentliche Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Verantwortung von Wissenschaft initiiert. Zugleich hat er die „Erklärung für die Zukunft“ mit angestoßen, die nun in Münster unterzeichnet wurde. Im Interview mit Christina Hoppenbrock gibt er Einblicke in die Beweggründe für sein Engagement.

Was motiviert Sie, mit 94 Jahren die Anstrengungen öffentlicher Vorträge und Podiumsdiskussionen auf sich zu nehmen?

Junge japanische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler müssen viel Zeit und Energie investieren, um ihre Karrieren voranzubringen. Ihnen bleiben nur wenige Jahre nach der Promotion, in denen sie sich auf befristeten Stellen beweisen müssen. Sie sind sehr auf ihre Forschung fokussiert. Da bleibt wenig Platz für politisches Engagement; ich empfinde diese Generation als politisch sehr still. Allerdings habe ich auch gemerkt: Wenn sich ein Anlass bietet – beispielsweise unsere öffentlichen Diskussionen anlässlich des Films ‚Oppenheimer‘ – dann diskutieren auch die jungen Leute aktiv mit.

Die ‚Erklärung für die Zukunft‘ ist nicht der erste Aufruf aus der Wissenschaft, verantwortungsvoll und im Sinne des Weltfriedens zu handeln. Was unterscheidet sie von vorherigen Erklärungen?

Früher haben wenige, führende Wissenschaftler unterzeichnet. Beispiele sind das Russel-Einstein-Manifest von 1955, in dem die Abschaffung von Atomwaffen und Krieg gefordert wurde, oder die Göttinger Erklärung von 1957, die eine umfassende Aufklärung der deutschen Bevölkerung über die Gefahren von Atomwaffen anmahnte. Bei der ‚Erklärung für die Zukunft‘ ist es jetzt das erste Mal in der Geschichte, dass eine breite Masse dahintersteht – rund 80.000 Mitglieder der deutschen und der japanischen physikalischen Gesellschaften, repräsentiert durch die Unterschriften der beiden Präsidenten.

Als die Amerikaner 1945 die beiden Atombomben über Hiroshima und Nagasaki abwarfen, waren Sie 14 Jahre alt. Wie haben Sie die Situation erlebt?

Zu der Zeit habe ich kaum etwas davon mitbekommen. Wir lebten im Osten Japans, in einem Bergdorf etwa 100 Kilometer entfernt von Tokio. Japan war im Zweiten Weltkrieg, es gab Tag und Nacht heftige Luftangriffe durch die USA. Die japanische Bevölkerung hatte nur sehr eingeschränkten Zugang zu Nachrichten. Nach den Bombenabwürfen über Hiroshima und Nagasaki wusste die Regierung in Tokio zwar durch Untersuchungen der Universitäten Tokyo und Kyoto schnell, dass es sich um atomare Waffen gehandelt hatte. Die Bevölkerung durfte das allerdings nicht erfahren. Auch die amerikanischen Besatzer hatten später kein Interesse daran, dass die Wahrheit ans Licht kommt und Kritik provoziert. Erst nach dem Ende der amerikanischen Besatzung im Jahr 1952 hat die Bevölkerung das Ausmaß der verheerenden Katastrophe erfahren. Das bekannte Fotomagazin ‚Asahigraph‘ berichtete damals erstmals umfassend. Auch ich habe mir die Ausgabe gekauft, und mir wurde klar, was passiert war.

Ein einschneidendes Ereignis war auch der Wasserstoffbombentest durch die USA über dem Bikini-Atoll im Pazifik im Jahr 1954.

Damals war ich Physikstudent. Im Gegensatz zu 1945 gab es danach in japanischen und internationalen Zeitungen eine intensive Berichterstattung. Denn die Besatzungen verschiedener japanischer Fischerboote, die auf hoher See unterwegs waren, wurden durch den radioaktiven Niederschlag kontaminiert. Besonders schlimm traf es die Besatzung der ‚Lucky Dragon V‘ – die gesamte Crew erkrankte schwer. Ein Fischer starb ein halbes Jahr nach der Heimkehr an den Folgen, viele andere starben später an Krebs. Japanische Wissenschaftler identifizierten sehr schnell radioaktive Strahlung als Ursache der mysteriösen Erkrankung.

Waren dies die entscheidenden Ereignisse für Sie, um sich für nukleare Abrüstung einzusetzen?

Mein ‚Erwachen‘ fand 1957 statt. In diesem Jahr gab es zwei wichtige Ereignisse. Ich wurde zum Mitglied des ‚Special Committee for Nuclear Physics‘ des Wissenschaftsrats von Japan gewählt. Diese Aufgabe brachte es mit sich, dass ich mich intensiv mit dem Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft auseinandergesetzt habe. Außerdem fand 1957 die erste Pugwash-Konferenz statt. Einer der Gründer der Pugwash-Konferenzen war der Kernphysiker Józef Rotblat, der 1995 gemeinsam mit Pugwash den Friedensnobelpreis erhielt. Rotblat hatte die Daten der Japaner zum radioaktiven Niederschlag des Bikini-Atoll-Tests analysiert und entdeckt, dass es sich um eine neuartige Wasserstoffbombe mit einer verheerenden Vernichtungskraft gehandelt haben musste. Die Sprengkraft, die erstmals durch einen dreistufigen Mechanismus (‚Fission/Fusion/Fission‘) erreicht worden war, war 1000 Mal stärker als die der Bomben von Hiroshima und Nagasaki. Ich habe Józef Rotblat in Tokyo kennengelernt, einen Monat nach der ersten Tagung von Wissenschaftlern im kanadischen Pugwash, bei der es um Fragen der globalen Sicherheit ging. Er hat uns von der Konferenz berichtet. Ich war sehr beeindruckt und wurde daraufhin 1957 Mitbegründer des japanischen Ablegers der Pugwash-Bewegung.

Trotz allen Protests und Gegenbewegungen: Die Welt ist voller Atomwaffen, und es gibt derzeit eine Reihe bewaffneter Konflikte und Kriege. Fühlen Sie sich angesichts dieser Weltlage machtlos?

Ich habe mich nie machtlos gefühlt. Die Welt ändert sich permanent. Deutschland und Frankreich haben beispielsweise viele Kriege gegeneinander geführt, heute herrscht zwischen beiden Ländern Frieden. Aber natürlich gibt es auch viel Grund zur Besorgnis – von der Situation im Nahen Osten bis hin zum Krieg in der Ukraine. Und die Gefahr, dass es beispielsweise durch Missverständnisse oder unglückliche Zufälle zu einem Desaster durch den Einsatz von Atomwaffen kommt, war nie so hoch wie heute.

Was empfehlen Sie?

Die Japanische und die Deutsche Physikalische Gesellschaft sollten die ‚Erklärung für die Zukunft‘ künftig einmal im Jahr an prominenter Stelle veröffentlichen, damit sie nicht in Vergessenheit gerät. Dann werden auch die kommenden Mitglieder immer wieder aufgefordert, sich damit auseinanderzusetzen, was sie für den Frieden auf der Welt tun können.

Münster ist von Japan aus betrachtet weit weg …

Trotzdem ist es auch aus Sicht der Japanischen Physikalischen Gesellschaft ein besonderer Ort, um eine solche Deklaration zu unterzeichnen. Ich kenne die Geschichte des Dreißigjährigen Kriegs und des Westfälischen Friedens. Ich bin mir sicher, dass die ‚Erklärung für die Zukunft‘ in Japan auch als ‚Münster-Deklaration 2025‘ in Erinnerung bleiben wird.

 

 

Terminhinweis: Bei der öffentlichen Abschlussveranstaltung zum Quantenjahr am 15. November nimmt Prof. Michiji Konuma auf Einladung von Organisator Prof. Stefan Heusler (Universität Münster) an einer Podiumsdiskussion zum Thema Wissenschaftsdiplomatie teil. Die Diskussion schließt an einen Vortrag von Prof. Götz Neuneck zum Thema Wissenschaftsdiplomatie an („Science Diplomacy and the work of physicists for Peace and disarmament: The Pugwash Conferences on Science and World Affairs“; Halle Münsterland, Roter Saal, 16 Uhr; weitere Informationen zum Abschlussprogramm unter https://www.quantum100.de/).

 

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