Lebensnahes Wissen zum muslimischen Glauben
Auf dem Handybildschirm verbreitet eine Kerzenflamme warmes Licht. Eine Hand greift nach einem Stift. Sie schreibt auf liniertes Papier Sätze wie: „Ich erlebe, wie Menschen sich gegenseitig abstempeln.“ So beginnt ein Video in der Rubrik „Briefe an Gott“, das auf der neuen digitalen Plattform „Muslim aktiv und weltoffen“ zu sehen ist.
Wer aufgrund seines Glaubens Diskriminierung erfährt, neigt Studien zufolge oft dazu, selbst ernannten Predigern ins Netz zu gehen, die den Islam als Abgrenzung zum westlichen Lebensstil inszenieren. „Insbesondere junge Musliminnen und Muslime finden den Zugang zu ihrer Religion vor allem über Social Media“, sagt der Leiter des Zentrums für Islamische Theologie der Universität Münster, Prof. Dr. Mouhanad Khorchide. „Das macht dem Religionsunterricht viel Konkurrenz.“ Etwa neun von zehn der gängigen Kanäle gäben simpelste Antworten ohne viele Erklärungen. „Gerade das macht sie für viele Menschen so attraktiv.“ Denn in kürzester Zeit habe man das Gefühl, sich auszukennen.
Das Problem: Zum einen fehle die Meinungsvielfalt, die Gesellschaften für das Zusammenleben und ihre Zukunft dringend brauchen. Zum anderen seien die einfachen Antworten nicht unbedingt die besten. „Wenn jemand wissen möchte, ob man ,Uno‘ spielen darf, und der hört dann ,nein, das ist westlich, ein Glücksspiel‘ – diese Behauptung ist theologisch gar nicht haltbar“, nennt der Wissenschaftler ein Beispiel. „Unser Projekt möchte zeigen, dass man ein muslimisches, frommes Leben führen und zugleich ein loyaler Bürger dieses Landes sein kann.“ Außerdem beschränke sich der islamische Glauben keinesfalls auf die Frage, ob etwas „erlaubt“ oder „verboten“ sei, betont der Religionspädagoge.
Für Mouhanad Khorchide sind die maximal 50 Sekunden kurzen Beiträge eine Herausforderung. „Wir Professoren sind es gewohnt, dass die Leute uns länger zuhören. Auf Instagram oder Tiktok würden die meisten aber schon bei einer Begrüßung weiterscrollen, weil es ihnen zu langsam erscheint. Deshalb heißt es für uns: das Wichtigste zu Beginn.“
Das Projekt des Zentrums für Islamische Theologie ist Teil eines Maßnahmenpakets „Sicherheit, Migration und Prävention“ der nordrhein-westfälischen Landesregierung, die es für einen Zeitraum von voraussichtlich zwei Jahren mit 200.000 Euro fördert. Die digitale Plattform möchte extremistischen und islamfeindlichen Narrativen in den gängigen Netzwerken etwas entgegensetzen. Sie soll vor allem junge Muslime erreichen, die auf der Suche nach Halt sind und die durch Ausgrenzung, antimuslimischen Rassismus und andere Vorbelastungen für extremistische und islamistische Einflussnahme empfänglich sein könnten.
Autorin: Brigitte Heeke
Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 7, 5. November 2025.