
„Ansprechgesichter“ in den Gemeinden
Die ehemals großen Volkskirchen sind im Wandel. „Die Distanz zwischen den Menschen und der Kirche wächst unaufhörlich. Nicht nur mit Blick auf die Mitgliederzahlen beschleunigen sich die Abbrucherscheinungen stark – insbesondere, wenn wir so weitermachen wie bisher“, sagt Dr. Markus Toppmöller. „Es braucht einen geistgewirkten Erneuerungsprozess.“ Der katholische Theologe hat für seine Dissertation Mitglieder von ehrenamtlichen Leitungsteams in Gemeinden des Bistums Osnabrück interviewt. Das Ergebnis: „Nur durch ein aufmerksames Hören und eine aktive Gestaltung der kirchlichen Situation, besonders durch ehrenamtlich Engagierte, können zukunftsfähige Formen des Glaubenslebens gefunden werden.“
Seit 2016 bietet das Bistum Osnabrück im Rahmen der sogenannten „Kirche der Beteiligung“ Gemeinden an, zusätzlich zu den bestehenden Strukturen ehrenamtliche Teams einzusetzen. Dafür werden nach Möglichkeit auch Personen angesprochen, die aus anderen Bereichen kommen, etwa aus Vereinen. Diese werden geschult und in einem Gottesdienst bischöflich beauftragt. Anschließend entwickeln sie Ideen und Formate, um mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. Die Untersuchung identifizierte von November 2017 bis August 2018 insgesamt 59 Tätigkeiten, die daraus entstanden sind – fast die Hälfte davon mit einem sehr starken Gemeinschaftsbezug.
„Einem Team fiel die Einsamkeit von Trauernden auf den Friedhöfen auf“, nennt Markus Toppmöller ein Beispiel. „Es stellte dort Bänke und Tische auf und bot auf Wunsch Kaffee und Gespräche an.“ Das sei gut angenommen worden, sodass das ehrenamtliche Leitungsteam sich zurückziehen konnte, weil andere für dieses Projekt die weitere Verantwortung übernommen haben und es mittlerweile regelmäßig anbieten. Der Auftrag der ehrenamtlichen Gemeindeteams ist es, als „Ansprechgesichter“ für andere Menschen da zu sein und ihnen zuzuhören. „Der Unterschied zu bisherigen Formaten, etwa Pfarrgemeinderäten, ist die neue Perspektive: vom klassischen Bild der ,Pfarrfamilie‘, das in den letzten Jahrzehnten zwar seine Berechtigung hatte, aber auf manche vielleicht zu vereinnahmend wirkt, hin zu einem individualistischeren Bild, mit Blick vor allem auf die aktuellen Bedarfe der Menschen“, erläutert der Theologe. Einige Mitglieder der Teams übernehmen auch Aufgaben in der Liturgie, „nicht als Ersatz, sondern um auch hier nach dem Neuen zu schauen.“
Die Mitgliedschaft in den Teams beschränkt sich auf drei, maximal sechs Jahre. In leitfadengestützten Interviews mit 40 Ehrenamtlichen sowie einer Fragebogenerhebung, die sich darüber hinaus an Pfarrer und andere Gemeindegremien richtete, analysierte Markus Toppmöller die Arbeit von acht Teams in vier Seelsorgeeinheiten. Gezielt fragte er nach deren Motivation. „Vielen ist die Kirche vor Ort so ans Herz gewachsen, dass sie sie erhalten möchten. Gleichzeitig blicken sie nach vorne und möchten innovativ sein.“ Das sei nötig, „weil ein ,weiter so‘ nicht geht“, unterstreicht der 36-Jährige. „Gemeindeteams sind ein guter Wegbereiter dafür, dass sich die Kirche als lernende Institution verstehen muss.“
Markus Toppmöller erstellte seine Dissertation in den vergangenen Jahren parallel zu seiner beruflichen Tätigkeit. Die mit „summa cum laude“ ausgezeichnete Arbeit ist im Aschendorff-Verlag unter dem Titel „Kirchenentwicklung durch Gestaltung. Ehrenamtliche Gemeindeteams übernehmen in der Kirche vor Ort (Leitungs-)Verantwortung“ erschienen.
Autorin: Brigitte Heeke
Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 6, 1. Oktober 2025.