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In 30 Metern Höhe bringt das Forschungsteam die Messinstallationen auf dem Turm im Lüntener Wald an.<address>© Uni MS - Johannes Wulf</address>
In 30 Metern Höhe bringt das Forschungsteam die Messinstallationen auf dem Turm im Lüntener Wald an.
© Uni MS - Johannes Wulf

Klimaforschung in luftiger Höhe

Einzigartiges Projekt liefert Daten zur Treibhausgasbilanz im Lüntener Wald

Schon von weitem sticht er hervor: der 30 Meter hohe Turm, der mit seiner imposanten Höhe und der vier Quadratmeter großen Plattform auf 160 Stufen die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Der Ausblick von dort oben ist atemberaubend und bietet einen Panoramablick über das weitläufige Waldgebiet. Doch der Turm ist nicht für Besucherinnen und Besucher des Waldes gebaut, um die schöne Aussicht zu genießen. Im Gegenteil, er ist für sie gesperrt. Die zahlreichen Messinstrumente, die sich auf der Plattform befinden, verraten zwar nicht sofort ihren Zweck, doch sie sind das Herzstück dieses besonderen Bauwerks. Dazu später mehr.

Rund 70 Kilometer westlich von Münster, direkt an der Grenze zu den Niederlanden, liegt der Lüntener Wald – ein etwa 110 Hektar großes Naturschutzgebiet auf dem Stadtgebiet von Vreden im Kreis Borken. Nur vereinzelt sind Reste der früheren Moor- und Heidelandschaft erhalten geblieben. Heute dominieren Kiefern und ein Netzwerk von tiefen Entwässerungsgräben das Bild. Doch dieser Wald steht vor einer bemerkenswerten Veränderung. Er wird fit gemacht für den Klimaschutz und soll wiedervernässt werden. Das Ziel: Schritt für Schritt soll das Gebiet in einen naturnahen Moorwald zurückverwandelt werden.

Auf die vielen Daten freuen sich schon jetzt Simon Hofert, Dr. Carsten Schaller, Nicolas Behrens und Prof. Dr. Mana Gharun (von links).<address>© Uni MS - Johannes Wulf</address>
Auf die vielen Daten freuen sich schon jetzt Simon Hofert, Dr. Carsten Schaller, Nicolas Behrens und Prof. Dr. Mana Gharun (von links).
© Uni MS - Johannes Wulf
Moor-Ökosysteme sind wahre Wunder der Natur. Sie speichern große Mengen an Kohlenstoff und fungieren somit als natürliche Kohlenstoffsenken. Wenn Moore jedoch entwässert werden, wie es im Lüntener Wald geschehen ist, bewirken sie das Gegenteil: Sie setzen Treibhausgase frei und verstärken den Klimawandel. Die „Global Peatlands Initiative“ legte 2022 erstmals eine Weltmoorkarte mit folgenden Daten vor. Täglich gehen weltweit 500.000 Hektar Moorfläche verloren und setzen zusätzliche Treibhausgase frei. In Deutschland entsprechen die Emissionen aus entwässerten Mooren etwa 53 Millionen Tonnen Kohlenstoff-Äquivalenten pro Jahr, das sind rund sieben Prozent der Gesamtemissionen. Projekte wie die Wiedervernässung im Lüntener Wald sind deshalb von großer Bedeutung. Der Erfolg hängt zudem wesentlich davon ab, wie die Öffentlichkeit informiert und beteiligt wird. „Von Beginn an entstand das Projekt in einem Co-Planungsprozess mit Behörden, Naturschutzorganisationen und lokalen Interessengruppen. Diese Beteiligung fördert den Wissenstransfer und schafft Akzeptanz, weil Entscheidungen gemeinsam getroffen und Praxisfragen früh berücksichtigt werden“, sagt Prof. Dr. Mana Gharun vom Institut für Landschaftsökologie der Uni Münster. So lasse sich Forschung schneller und nachhaltiger in die Praxis übertragen.

Ob diese Transformation tatsächlich gelingt und welche Umweltfaktoren dabei eine Rolle spielen, soll das neu eingerichtete Labor in der Natur nun herausfinden – ein gemeinsames Projekt des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe (LWL) und der Universität Münster. Seit Mai dieses Jahres ist der Turm in Betrieb und soll über viele Jahre hinweg unermüdlich Daten messen. Unter der wissenschaftlichen Leitung von Mana Gharun wurde der Turm entworfen und genau geplant, wo er stehen soll. Zudem übernimmt die Klimatologin die Installation und Auswertung der Treibhausgasflüsse. Der sogenannte „Eddy-Kovarianz-Turm“ zeichnet zunächst für sieben Jahre kontinuierlich Daten zur Treibhausgasbilanz des Waldes auf – vor, während und nach der Wiedervernässung.

Die Sensoren erfassen bis zu zehnmal pro Sekunde verschiedene Treibhausgase, etwa Kohlendioxid (CO₂) sowie Wasserdampf. Zusätzlich werden klimarelevante Variablen wie Strahlung, Luft- und Bodentemperatur, Niederschlag, Wärmeflüsse und Windgeschwindigkeit gemessen. „Durch diese präzisen Messungen, die bereits vor Beginn des Renaturierungsprozesses angesetzt wurden, können wir die Einflüsse von Klima und Umwelt auf die Treibhausgasflüsse genau nachvollziehen“, sagt Mana Gharun. „Unsere Daten ermöglichen fundierte Aussagen zur Wirksamkeit von Klimaschutzmaßnahmen.“ Dank der fortschrittlichen technischen Infrastruktur kann das Forschungsteam in Münster die Daten online abrufen und prüfen; bei Datenlücken oder Unstimmigkeiten kann es sofort reagieren und Probleme beheben.

Auch Studierende sind von Anfang an dem Vorhaben beteiligt. Sie lernen nicht nur die theoretischen Grundlagen, sondern sind auch im laufenden Betrieb in den Messaufbau, die Datenerhebung und -auswertung eingebunden, etwa im Rahmen von Abschlussarbeiten, Praktika oder als studentische Hilfskräfte. So sammeln sie praktische Erfahrungen im Naturschutz und in der Auswertung großer, hochaufgelöster Datensätze. Dabei setzen sie beispielsweise maschinelle Lernverfahren für Mustererkennung und Modellierung ein. Diese praxisnahe Ausbildung verbindet Forschung und Lehre und vermittelt Qualifikationen, die für viele Bereiche des späteren Berufslebens relevant sind – von Umweltmonitoring bis zu Forschungs- und Industrieanwendungen.

Der Turm sorgt nicht nur in der Bevölkerung für Gesprächsstoff, sondern ist auch in der Wissenschaft bereits ein Thema. „Diese Station ist mit einem globalen Netzwerk zur Beobachtung von Treibhausgasen verbunden. Über dieses Netzwerk stellen wir der Öffentlichkeit, Wissenschaftlern anderer Fachrichtungen und Politikern frei zugängliche Daten zur Verfügung“, berichtet Mana Gharun. Damit ermöglicht die Universität Münster den direkten Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Gesellschaft.

Autorin: Kathrin Kottke

 

Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 6, 1. Oktober 2025.

 

 

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