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Münster (upm).
Zu sehen ist das Gründungsteam von CARAPAX: Dr. Carolin Richter, Dr. Philipp Lemke und Dr. Anne Vortkamp (v.l.) im Innenhof des „U Parkhotels“.© Uni MS - Brigitte Heeke
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„Außeneinsatz“ 2025, Teil 8: Ein Festival fürs Gründen

Mit Anne Vortkamp vom REACH unterwegs auf der „Enschede Slush’D“

Logo der Serie mit dem Schriftzug „Außeneinsatz“ und einer Figur, deren Bewegung stilisiert dargestellt ist.<address>© Uni Münster - Linus Peikenkamp</address>
© Uni Münster - Linus Peikenkamp
Auch in den Semesterferien gibt es an der Universität Münster allerhand zu tun. Die Redakteurinnen und Redakteure der Stabsstelle Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit nutzen die vorlesungsfreie Zeit, um das eigene Büro zu verlassen und im Außeneinsatz Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Universität bei ihrer Arbeit zu begleiten, die buchstäblich unterwegs sind.

Bei der „Enschede Slush’D“ ist es mitunter gar nicht so leicht, von A nach B zu gelangen. Einerseits gibt es ohnehin an jeder Ecke etwas zu sehen: Lichtinstallationen, Regale mit „Yps“-Heften, Walkman und anderen kultigen Exponaten, Miniposter, ein Coffee-Bike … Und wer dann noch mit Dr. Anne Vortkamp unterwegs ist, sollte den einen oder anderen Extrastopp einplanen. Schon zum dritten Mal ist sie in Enschede dabei, sie kennt viele andere Start-up-Teams, aber mittlerweile auch die Investorinnen und Investoren. „Hey, Anne – wie geht’s?“, heißt es immer wieder. Meist bleibt es bei einer kurzen, aber herzlichen Begrüßung, oft stellt sie verschiedene Teilnehmer einander vor, oder es entwickeln sich längere Gespräche. Eigentlich passiert also genau das, wozu ein Start-up-Event dient: Kontakte zu knüpfen, Visitenkarten auszutauschen, einen Kaffee zusammen zu trinken oder schnell mal die eigene Idee zu erläutern. Vielleicht finden sich ja Mitstreiter, Geldgeber oder andere, die in einem ähnlichen Bereich forschen und gründen? Im Foyer des „U Parkhotels“ bietet jedenfalls eine „Matchmaking-Area“ mit vielen kleinen Tischen dafür einen Rahmen. Per App kann man sich vorab dafür verabreden.

An einem der Tische im Garten des Hotels entdeckt Anne Vortkamp einen Chemieprofessor von der Universität Twente, Dr. Frederik Wurm. „Ich habe alles von ihm gelesen. Ob ich ihn mal anspreche?“ Sie schnappt sich ihr Team und geht rüber. Sofort beginnt ein Fachgespräch, unter anderem über verschiedene Pflanzenarten, die sich mithilfe neuer biotechnologischer Methoden behandeln lassen, um sie resilienter gegen Hitze, Trockenstress und Schadbefall zu machen. Nach einem gemeinsamen Erinnerungsfoto zieht es Anne Vortkamp zur Außenbühne, einer von drei Bühnen.

Acht studentische Teams stellen hier in rasantem Tempo ihre Ideen vor – im Start-up-Jargon heißt das „pitchen“, darunter auch eines, das sich mit der Verbesserung des Bodens für die Landwirtschaft beschäftigt. Andere wollen beispielsweise die Erfassung von Vitalwerten im Gesundheitswesen verbessern, zur Sicherheit von Motorradfahrern beitragen oder den Kohlendioxid(CO2)-Abdruck bei der Produktion von Sonnencremes verringern. Alle erhalten viel Applaus. Eins der Teams wird am Abend prämiert und erhält Tickets für die größere „Slush“ in Helsinki. Anne Vortkamp hört aufmerksam zu und zückt rasch ihr Handy, um über den Publikumspreis abzustimmen. Normalerweise würde sie wie in den vergangenen Jahren selbst auf der Bühne stehen – als Moderatorin. Aber heute hat die Biologin eine andere Rolle. Als CEO ihres Start-ups „CARAPAX biotechnologies“ wirbt sie diesmal für die eigene Sache. Den Perspektivwechsel findet sie spannend, nicht nur bei der Veranstaltung. Auch im Alltag kennt sie beide Seiten des Gründens. Als „Scoutin“ hat die 45-Jährige seit 2020 mit derzeit einer halben Stelle im Gründungszentrum REACH etliche Start-ups beraten und auf den Weg gebracht. Seit 2023 wagt sie sich selbst mit einer Idee an den Markt und forscht dazu am Institut für Biologie und Biotechnologie der Pflanzen der Universität Münster.

Deshalb ist Anne Vortkamp mit Carolin Richter und Philipp Lemke bereits am Vorabend der „Enschede Slush’D“ angereist und hat einer Jury die Firmenidee präsentiert. Auf der Bühne erläuterten die Postdoktorandinnen und der Postdoktorand in wenigen Minuten, welche Vorteile es bringt, Pflanzen mit einer passgenauen chitinhaltigen Flüssigkeit zu behandeln. „Wir entwickeln Chitosane als Biostimulanzien und verstehen das als Beitrag, den Herausforderungen des Klimawandels zu begegnen“, beschreibt Anne Vortkamp die Motivation ihres Start-ups. Die Technologie dahinter sei nicht neu, räumt Anne Vortkamp ein. „Mein Doktorvater Prof. Dr. Bruno Moerschbacher, der uns als Mentor unterstützt, forscht daran seit dreißig Jahren.“ Das Team „CARAPAX biotechnologies“ brauche jedoch nur 200 Gramm des Mittels, wo bislang dreißig Kilogramm der Konkurrenzprodukte verwendet wurden. Bei diesem Pitch geht es für ihr Team um 10.000 Euro. „Wir würden das Geld als Grundstock für unsere eigene Laborausrüstung verwenden.“

Das Team von CARAPAX ist heute aber auch zum Lernen hier und besucht deshalb ausgewählte „Sessions“. Um „Hidden traps after Fundraising“, also typische Fehler, geht es beispielsweise in einer kurzweiligen und lehrreichen Dreiviertelstunde auf einer kleineren Bühne im Innenraum des Hotels. Das Thema scheint viele anzusprechen. Die Session in dem in blaues Licht getauchten Raum ist gut besucht. Anne Vortkamp, Carolin Richter und Philipp Lemke ergattern drei Sitzplätze in der vorletzten Reihe. Auf der Bühne geben je zwei Investorinnen und Investoren wertvolle Tipps. Manche Ratschläge hören sich zwar in der Theorie selbstverständlich an, etwa dass es wichtig ist, die Kosten im Auge zu behalten und sich im Team frühzeitig über die Verwendung der Mittel auszutauschen. Oft genug passiere es andernfalls, dass jedes Mitglied diese für seinen Bereich „verbucht“, eher reflexartig als aus böser Absicht. Auch haben Investorinnen und Investoren durchaus ein offenes Ohr für Pleiten, Pech und Pannen. „In einem Fall habe ich erst drei Wochen vor einer Deadline erfahren, dass das Produkt bis dahin gar nicht fertig wird“, berichtet eine Geldgeberin. „Hätte das Team die Schwierigkeiten offen und rechtzeitig angesprochen, wäre es überhaupt kein Problem gewesen, zu helfen. Wir setzen uns für euch ein, darum geht es hier schließlich.“

Anschließend mischt sich das Team aus Münster wieder unters Volk. Kurze Verschnaufpause, ein langjähriger Kollege aus dem REACH bringt Eiskaffee für alle vorbei. Mit den Bechern in der Hand geht es wieder in Richtung Außenbühne, auf der weitere studentische Start-ups um die Gunst des Publikums werben. Jedes Team hat dafür zwei Minuten, auf einem Riesenmonitor neben der Bühne laufen die Sekunden als Countdown.

Anne Vortkamp wird den ganzen Tag über von mehreren Social-Media-Teams interviewt, gefilmt und fotografiert. Auch bei einem Podcast war sie heute schon zu Gast. Zwischen alledem findet sie noch einen Moment, ihren Koffer auf ihr Hotelzimmer zu bringen.

Als sie zurückkommt, sind mehrere Sicherheitskräfte mit aufmerksamen Mienen entlang der Wege zu sehen. Anne Vortkamp weiß, warum: „Anderthalb Meter hinter uns steht Prinz Constantijn der Niederlande.“ Der jüngste Sohn von Prinzessin Beatrix ist Beauftragter einer niederländischen Start-up-Organisation und nutzt die „Enschede Slush’D“ ebenfalls, um sich über Innovationen zu informieren.

Die Krönung des Tages ist für die meisten Besucher dennoch die Preisverleihung. Ein Team aus Enschede räumt die 10.000 Euro für den Top-Platz ab. Anne Vortkamp nimmt es sportlich. „Dann klappt es ein anderes Mal.“ Bei den Studierenden nimmt ein Team der Universität Twente den ersten Preis mit. Anne Vortkamp hat sich fest vorgenommen, die Veranstaltung mit Karaoke ausklingen zu lassen – dieser Teil des Abendprogramms bei der „Enschede Slush’D“ gehört für sie dazu. Für ihr Duett „Lay all your love on me“ von ABBA mit Lea Kipper erhält sie zudem reichlich Beifall...

Hintergrund:

Das Start-up „CARAPAX biotechnologies“ (ehemals „AgriBluBio“) entwickelt Pflanzenstärkungsmittel auf der Basis von Chitin, das beispielsweise in Panzern von Krabben und Insekten enthalten ist. Pflanzen bemerken, wenn sich ein Schädling nähert, und fahren daraufhin ihre eigenen Schutzmaßnahmen hoch. Indem man Pflanzenteile wie die Wurzeln in das chitinhaltige Stärkungsmittel taucht, löst man diesen Abwehrmechanismus aus. Die Pflanze ist dadurch gegen etwaige Bedrohungen besser gewappnet. Sogenannte Biostimulanzien haben in den vergangenen Jahren eine neue Produktkategorie im Agrarsektor gebildet. Sie sollen dazu beitragen, den Einsatz von Pflanzenschutz- und Düngemitteln deutlich zu reduzieren. Das Marktpotenzial gilt als vielversprechend. Das Start-up aus dem Institut für Biologie und Biotechnologie der Pflanzen hat den „Incubator Batch“ am REACH durchlaufen und erhält Fördergeld aus dem „Start-up Transfer.NRW“. Beteiligt sind Dr. Anne Vortkamp, Dr. Philipp Lemke, Dr. Carolin Richter und Prof. Dr. Bruno Moerschbacher (Mentor) vom Institut für Biologie und Biotechnologie der Pflanzen der Universität Münster.

Die „Enschede Slush’D“ ist ein Event, das vom REACH – EUREGIO Start-up Center der Universität und Fachhochschule Münster gemeinsam mit „Novel-T“ – dem Pendant des REACH der Universität Twente – organisiert wird. 800 Gäste nahmen dieses Jahr daran teil, darunter mehr als 300 Gründerinnen und Gründer sowie über 100 Investorinnen und Investoren.

Autorin: Brigitte Heeke

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