Mit Tat und Rat für die Kinder
Mit Tat und Rat für Kinder
Die erste universitätseigene Kita feiert ihr zweijähriges Bestehen
Hilde ist schon viel rumgekommen. Sie saß an Abendbrottischen im Münsterland, durchstreifte die englische Metropole London, fuhr Wolkenkratzer in New York City hinauf und lag am Strand auf den Bahamas. Wäre Hilde ein normaler Vogel – ein Symbol der Freiheit und Grenzenlosigkeit –, so wäre der Nachrichtenwert nicht allzu groß. Doch Hildes große Mobilität ist nicht selbstverständlich. Denn sie ist eine Handpuppe, die in der ersten unieigenen Kita am münsterschen Schlossplatz zu Hause ist.
Im August 2023 nahm die „Kita am Schlossplatz“ ihren Betrieb auf, verantwortlich ist der freie Träger „edducare“. Zuvor hatten sich die Universitätsleitung, der Bau- und Liegenschaftsbetrieb NRW und die Stadt Münster darauf verständigt, auf dem Grundstück Ecke Schlossplatz/Lazarettstraße eine Kindertagesstätte zu bauen. Sie sollte vor allem Kindern von Unibeschäftigten offenstehen, darüber hinaus Kindern aus der Stadt einen Ort bieten, an dem sie lernen können und gut aufgehoben sind. Die zurückliegenden zwei Jahre waren für alle Beteiligten lehrreich, nicht nur für die weltläufige Hilde.
Die Kita
Ausgehend von einer großen und offenen Eingangshalle mit beeindruckender Treppe, hat die „Kita am Schlossplatz“ keine klassischen Gruppen-, sondern sogenannte Bildungsräume. In diesen Räumen steht ein einzelnes Thema im Mittelpunkt. So gibt es unter anderem das „Schloss des Feuers“, das im Zeichen von Konstruktion und Mathematik steht, oder das „Schloss des Geistes“, ein Atelier, in dem es um Kunst und Kreativität geht. Die Kinder erfahren im Morgenkreis, an dem auch Hilde teilnimmt, was in welchem Raum passiert. Anschließend können sie frei entscheiden, wo sie den Tag verbringen wollen. Nur wenig passiert in der Kita in festen Gruppen, die es dennoch gibt: drei Krippengruppen sowie altershomogene Gruppen von zwei bis drei Jahren, vier bis fünf Jahren und die Gruppe der Vorschulkinder.
Den Kindern wird einiges geboten. Neben einem weitläufigen Außenbereich mit Rutschen, Sandkästen, Gerüsten und einer großen Rasenfläche gibt es einen Sportraum, zwei Schlafräume, die erwähnten Bildungsräume sowie den Forscherraum, der die Nähe zur Universität besonders deutlich macht. Er ist der einzige Raum, den die Kinder nicht ohne Aufsicht betreten dürfen. In den Regalen steht so manches, das man auch in Laboren der Uni findet: beispielsweise Mikroskope, Reagenzgläser und Schutzbrillen, aber auch eine Schlangenhaut, eine Werkbank und viele andere Materialien, die sich für Untersuchungen bestens eignen.
Das Konzept
„Wir verfolgen eine Pädagogik der Offenheit“, sagt Interimsleiterin Nora Stumpe, „doch bilden wir dank unserer Kinderverantwortlichen und einiger Gruppenangebote auch eine Brücke für die Kinder, die etwas mehr Sicherheit brauchen.“ Grundsätzlich gilt: Jedes Kind darf und soll seinen eigenen Interessen und Neigungen nachgehen. „Wir wollen immer mit den Kindern entscheiden, nicht für sie“, erklärt Nora Stumpe. Die Kita arbeitet in Anlehnung an die Reggio-Pädagogik sowie die Bindungstheorie von John Bowlby und verfolgt einen der Kernsätze von Maria Montessori: „Hilf mir, es selbst zu tun.“
Die Kita soll laut „educcare“ wie ein zweites Zuhause für die Kinder sowie ein elementarer Bildungsort sein, zudem die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ermöglichen. „Der vergangene Winter hat uns als Einrichtung aber viel abverlangt“, erinnert sich Nora Stumpe. Ein Wechsel in der Kitaleitung, eine heftige Grippewelle und die ohnehin angespannte Personalsituation führten dazu, dass einzelne Gruppen an einigen Tagen geschlossen bleiben mussten – eine Notbetreuung konnte in dieser Zeit leider nicht immer gewährleistet werden. „Das war für Familien, Kinder und auch für unser Team eine belastende Phase. Umso dankbarer bin ich für das große Verständnis und die Geduld, die uns in dieser Zeit entgegengebracht wurden.“ Eine intensive Aufarbeitung der Phase und Weiterentwicklungen hätten aber zu einer deutlichen Verbesserung geführt. „Mich freut es, dass wir heute wieder das bieten können, was uns am wichtigsten ist: Verlässlichkeit, Vertrauen und eine Kita, in der Kinder sich wohl und sicher fühlen dürfen.“
Ohnehin spricht die derzeitige Leiterin mit Begeisterung von ihrer Arbeit und der Kita. Mehrmals unterstreicht sie, dass Bildung im Alltag stattfinden solle. „Bei uns gibt es weder Schablonenarbeit noch zeichnen wir den Kindern einfach etwas vor, das sie abmalen sollen. Denn dadurch entstünde ein Vergleichsdruck, der hinderlich ist. Lieber schauen wir mit den Kindern, wie sie sich ihren Interessen nähern können.“
Der Beirat
Auf Beschluss des Rektorats begleitet seit Mai ein Kitabeirat die Einrichtung. Er soll die Verbindung zwischen der wissenschaftlichen Arbeit der Universität und der pädagogischen Praxis der Kindertagesstätte stärken. „Dazu gehört unter anderem, dass der Beirat wissenschaftliche Erkenntnisse und Studien aus den Bildungs- und Sozialwissenschaften erörtert, pädagogische Konzepte weiterentwickelt und Weiterbildungsangebote vermittelt“, erklärt Prof. Dr. Karin Böllert, die als Erziehungswissenschaftlerin im Beirat den Bereich Forschung und Lehre vertritt. Darüber hinaus soll der Beirat universitäre Forschungsprojekte im Bereich der frühkindlichen Bildung unterstützen, indem er Anknüpfungspunkte für die Wissenschaft identifiziert und Möglichkeiten für praxisnahe Einblicke vermittelt. „Von einer Transferperspektive von Wissenschaft und Praxis können beide Seiten profitieren“, unterstreicht Karin Böllert.
Eine zentrale Perspektive im Kitabeirat nimmt Dr. Sophie Stockhinger ein. Sie ist Mutter zweier Kita-Kinder und kennt die Sorgen und Nöte, aber auch die Freuden der Eltern und Kinder. Zudem ist sie Mitarbeiterin im Dekanat der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Uni und Vorsitzende des Elternbeirats. „Wir sind die erste Anlaufstelle für die Eltern, wenn es Themen und Herausforderungen gibt und klären sie entweder mit der Kitaleitung oder bringen sie in den Kitabeirat ein“, schildert sie.
Drei- bis viermal im Jahr wird der Beirat tagen und verschiedene Perspektiven und Expertisen bündeln: aus der Kita, aus dem Elternbeirat, der Wissenschaft, dem Rektorat und dem Servicebüro Familie der Uni. „Die Zusammensetzung ermöglicht es, dass sowohl die Kitaleitung als auch die Eltern die Herausforderungen benennen können“, unterstreicht Karin Böllert. Dadurch sei es möglich, die Kita einvernehmlich weiterzuentwickeln.
Gleichwohl seien die Möglichkeiten begrenzt. Der Fachkräftemangel im gesamten Bereich der Kindertagesbetreuung mache auch vor der Kita am Schlossplatz nicht halt. Doch der Beirat könne gemeinsam mit den Kita-Verantwortlichen überlegen, wie die Kita als erstrebenswerter Arbeitsplatz für Fachkräfte gestaltet und erhalten werden kann.
Die Zwischenbilanz
Im zurückliegenden Kitajahr betreuten die Erzieherinnen und Erzieher 60 Kinder im Alter von sechs Monaten bis sechs Jahren. Bald schon sollen es rund 80 Kinder sein. 60 Prozent der Eltern sind an der Uni beschäftigt, die übrigen 40 Prozent haben ihre Plätze über das Kitaportal der Stadt Münster erhalten. „Unser Einzugsgebiet als betriebsnahe Kita ist groß: Die Familien wohnen mitunter in Senden, doch da die Eltern an der Uni arbeiten, betreuen wir ihre Kinder in unmittelbarer Nähe zum Arbeitsplatz“, erklärt Nora Stumpe. Prof. Dr. Maike Tietjens, Prorektorin für akademische Karriereentwicklung und Diversity, zieht nach zwei Jahren eine positive Zwischenbilanz. „Als Universität ist es uns ein zentrales Anliegen, ein Arbeitsumfeld zu schaffen, in dem wissenschaftliche Exzellenz und Familienfreundlichkeit Hand in Hand gehen.“ Die Kita am Schlossplatz sei dabei ein zentraler Bestandteil der familienfreundlichen Infrastruktur. „Insbesondere in Berufungsverhandlungen zeigt sich immer wieder, wie wichtig solche Angebote für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind.“
Nach einer Zwischenbilanz gefragt, antwortet Sophie Stockhinger vor allem mit Lob, spricht aber auch Probleme an. „Der vergangene Winter war für uns Eltern wirklich hart. Aber wir konnten gemeinsam mit der Kita gute Lösungen erarbeiten.“ Als Vorsitzende des Elternbeirats sitze sie in einem städtischen Gremium, in dem die Elternbeiräte aller münsterschen Kitas vertreten sind. „Dadurch weiß ich, wie gut wir es in der ,Kita am Schlossplatz‘ vergleichsweise haben. Wir fühlen uns dort sehr wohl.“ Schwierigkeiten vor allem politischer und struktureller Natur, die weder die Kita- noch die Unileitung einfach beseitigen könnten, gebe es gleichwohl. Davon losgelöst sei aber das hiesige Konzept sehr gut, die Beschäftigten hätten jedes einzelne Kind im Blick. Zudem sei die Nähe zur Universität bereichernd, etwa wenn die Kinder den Botanischen Garten besuchten oder Roboter programmierten.
Auch Karin Böllert ist vom eingeschlagenen Weg überzeugt. „Die Räume sind modern und gelungen, mit ihrer Idee der offenen Bildungsräume ist es eine qualitativ hochwertige Einrichtung. Die leider typischen Turbulenzen des Alltagsgeschäfts trüben manchmal den Blick dafür, was trotz allem in der Kita geleistet wird und dass sie in erster Linie ein Ort ist, an dem Kinder sich gerne aufhalten, auf den sie sich freuen und der ihnen wichtige Bildungserfahrungen eröffnet“, betont die Expertin für Sozialpädagogik.
Und Hilde? Sie ist ein gutes Beispiel dafür, wie offen, modern, flexibel und zugewandt die „Kita am Schlossplatz“ sowie ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind. Ein Buch, in dem unzählige Fotos zu finden sind, zeigt, was Hilde mit den Kindern erlebt, wenn sie den Vogel am Wochenende oder in den Ferien mit nach Hause – oder eben in den Urlaub – nehmen. „Hilde ist eine Brückenbauerin“, betont Nora Stumpe. Sie bringe die Kita und die Welt, wie die Kinder sie erleben, zusammen und ermöglicht ihnen, ihre Erfahrungen zu teilen und so zu wachsen.