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Münster (upm/jh).
Jessica Oertel sitzt an einer Festzeltgarnitur zwischen vielen Grundschulkindern und schaut fröhlich in die Kamera.© Uni MS - Julia Harth
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„Außeneinsatz“ 2025, Teil 4: Dem Zufall auf der Spur

Jessica Oertel leitet die Kinder- und Jugend-Uni Q.UNI der Universität Münster

Logo der Serie mit dem Schriftzug „Außeneinsatz“ und einer Figur, deren Bewegung stilisiert dargestellt ist.<address>© Uni MS - Linus Peikenkamp</address>
© Uni MS - Linus Peikenkamp
Auch in den Semesterferien gibt es an der Universität Münster allerhand zu tun. Die Redakteurinnen und Redakteure der Stabsstelle Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit nutzen die vorlesungsfreie Zeit, um das eigene Büro zu verlassen und im Außeneinsatz Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Universität bei ihrer Arbeit zu begleiten, die buchstäblich unterwegs sind.

Wenn Jessica Oertel sich auf den Weg zu einem „Außeneinsatz“ macht, überlässt sie nichts dem Zufall. Dabei wird es heute genau darum gehen: um Zufälle. Elf kleine und große Plastikkisten mit allerlei Dingen hat die Projektleiterin der Kinder- und Jugend-Uni Q.UNI am Vortag in ihrem Büro im zweiten Stock an der Robert-Koch-Straße 40 vorbereitet, fein säuberlich beschriftet und sortiert. Um kurz nach halb neun am Morgen ist das Team komplett. Drei Studierende begleiten sie zum Ferienprogramm an der Gievenbecker Wartburg-Grundschule und helfen dabei, Kleister, Malkittel, Papierrollen, Plastikschälchen, Bastel- und weiteres Experimentiermaterial mit den Kisten in den Fahrstuhl und anschließend in den grauen Caddy auf dem Parkplatz zu wuchten.

Die Stimmung ist gut, die Fahrt kurz. „Ihr übernehmt eigentlich gleich die zentrale Rolle bei der Durchführung“, sagt Jessica Oertel zu den Studierenden und lacht. Lukas Degroot und Daniela Klümper sind studentische Hilfskräfte, Katharina Schindewolf absolviert ihr Berufsfeldpraktikum im Q.UNI-Team. Alle drei studieren auf Lehramt in verschiedenen Semestern. Jessica Oertel koordiniert ihren Einsatz und wird an diesem Vormittag als Verantwortliche eher im Hintergrund agieren. Vor Ort warten bereits einige Kinder aufgeregt mit ihren Eltern, als die vier die Kisten auf den Schulhof tragen. Der Förderverein hat ein dreistündiges Experimentierprogramm gebucht. Passend zu Beginn verziehen sich die Regenwolken. Der große Pavillon, unter dem zwei Festzeltgarnituren aufgebaut sind, dient fortan zum Schutz vor der Sonne und nicht mehr vor Regen.

Seit vielen Jahren gibt es in diesem Sommer erstmals kein „Q.UNI Camp“ im Schlossgarten. Stattdessen macht sich das Team unter dem neuen Namen „Q.UNI unterwegs“ regelmäßig auf den Weg zu dieser besonders jungen Universitäts-„Zielgruppe“ zwischen vier und 20 Jahren und fördert damit den Wissenstransfer der Hochschule in die Region. Ziel der Kinder- und Jugend-Uni Münster ist es, von klein auf durch verschiedene Mitmachangebote Interesse und Neugier für wissenschaftliche Phänomene zu wecken. Seit 2022 ist das Projekt der Arbeitsstelle Forschungstransfer (AFO) zugeordnet. „Zwei- bis dreimal pro Woche sind wir zurzeit unterwegs, zum Beispiel in Schulen, Kindergärten oder auf Stadtfesten“, erzählt Jessica Oertel. Unterstützt wird sie von Dr. Anna-Lena Erpenbach als stellvertretende Projektleiterin sowie von insgesamt drei studentischen Hilfskräften und sechs Berufsfeldpraktikantinnen und -praktikanten. Für jedes Alter und jeden Rahmen gibt es das passende Programm, beispielsweise Workshops, Experimente, einen Knobeltisch, Exponate oder Werkstätten.

„Heute experimentieren wir mit fraktaler Malerei“, kündigt Lukas Degroot derweil an, und blickt in 20 fragende Kindergesichter. „Und wir bauen einen Roboter, der Bilder malen kann.“ Freude bei den Sieben- bis Zehnjährigen, die fröhlich ihre Eltern verabschieden. Was es mit der fraktalen Malerei auf sich hat, dürfen die Grundschulkinder selbst herausfinden. Das Q.UNI-Team hat Bilder von geometrischen Mustern (Fraktalen) aus der Natur mitgebracht – Eiskristalle, Blitze und Nahaufnahmen von Blättern beispielsweise – und die Jungen und Mädchen sollen erklären, wo sie solche Strukturen und Muster schon mal gesehen haben. Sie bekommen rechteckige bunte Schälchen, in die Jessica Oertel Tapetenkleister gefüllt hat. Mit Pipetten dürfen die Kinder kleine Kleckse aus Seidenmalfarbe auftupfen. „Der Kleister ist zähflüssiger als die Farbe, deshalb bildet die flüssige Farbe tolle Muster, die an Blitze, Bäume oder Pflanzen erinnern“, erklärt sie. Wie die Strukturen aussehen, entscheidet der Zufall. „Und wie können wir dieses Kunstwerk mit nach Hause nehmen?“, fragt Lukas Degroot, während er mit Papier in der Hand wedelt. Die Antwort ist klar. Die Kinder drücken das Papier vorsichtig auf die Schale und warten, bis es leicht eingeweicht ist. „Und nun vorsichtig abziehen.“ Zum Vorschein kommen bunt gemusterte Kleisterbilder, die nur noch trocknen müssen.

„Jetzt ist kurz Pause“, kündigt Jessica Oertel an – die Kinder machen sich sofort über ihre Brotdosen her, bevor sie sich zum Spielen in alle Ecken des Schulhofs verteilen. „Die Zeit brauchen wir, um den nächsten Programmpunkt vorzubereiten.“ Auch dabei geht es wieder um das Motto des Tages: „Alles Zufall? Dem (Un)Vorhersehbaren auf der Spur“. Für verschiedene Altersgruppen vom Kindergarten bis zur Oberstufe hat das Q.UNI-Team im vergangenen halben Jahr ein Repertoire an Experimenten entwickelt – gemeinsam mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aller Fachbereiche der Universität Münster. „Naturgemäß ist die Zusammenarbeit mit Physik, Chemie, Biologie oder Mathe am stärksten, aber wir haben auch ein Programm aus Geschichte, Philosophie oder Kunst“, erklärt die 35-Jährige, die Physik, Chemie und katholische Religion auf Lehramt studiert hat und kurz vor dem Abschluss ihrer Physik-Promotion steht. Alle Experimente dieses Themenpakets machen erfahrbar, wie Zufälle in den Naturwissenschaften, in Mathematik, Geschichte oder im Alltag wirken und geben erste Einblicke in wissenschaftliches Arbeiten, wie das Pipettieren bei der fraktalen Malerei. Ist Zufall bloß Chaos, oder gibt es verborgene Muster und Regeln, die wir entdecken können? „Mit der fraktalen Malerei zeigen wir den Kindern zum Beispiel, wie aus kleinen Formen große Strukturen entstehen. Denn in der Natur steckt viel mehr Ordnung, als wir auf den ersten Blick sehen.“

Für das zweite Experiment bekommt jedes Kind einen Bausatz aus Holzscheibe, Motor, Schalter, Kabeln, Batteriefach und Papierrolle. Unter der fachkundigen und geduldigen Anleitung von Lukas Degroot und Katharina Schindewolf verbinden die Kinder den Schalter, das Batteriefach und den Motor mit den Kabeln, sodass ein Stromkreis entsteht. Jessica Oertel und Daniela Klümper haben sich währenddessen mit Heißklebepistolen ins Schulgebäude gesetzt – hier gibt es Strom. Nach und nach kommen die Kinder mit ihren fertigen Schaltkreisen und lassen sich von den Q.UNI-Mitarbeiterinnen die Roboter zusammenkleben. Mit den Holzscheiben verschließen Jessica Oertel und Daniela Klümper die Papierrollen, kleben darauf den Motor und das Batteriefach. Der Schalter und drei Halterungen für Stifte werden seitlich angeklebt. Eine kleines Metallstück am Motor sorgt für eine Unwucht, sodass der Roboter durch Vibrationen auf dem Tisch zu „laufen“ beginnt. Begeistert stecken die Kinder Filzstifte in die Halterungen und fangen laut an zu lachen, als bunte, zufällige Kritzeleien auf Papier entstehen. Verzierungen mit Wackelaugen, Aufklebern und Pfeifenreinigern machen aus dem Bausatz schließlich einen „echten“ Malroboter.

Die Zeit rennt, die ersten Eltern treffen ein, und einige kleinere Mitmachaktionen kommen gar nicht mehr zum Tragen. „Nach der quirligen und ansteckenden Begeisterung der Kinder tut es gut, wenn wir im Team gemeinsam bei einem Mittagessen durchschnaufen“, sagt Jessica Oertel und schmunzelt. Dabei ist die Arbeit noch längst nicht getan. Alle Kisten, die auf die Schnelle in der Schule zusammengepackt wurden, müssen für den nächsten Einsatz gecheckt und aufgefüllt und die Kleisterschalen ausgewaschen werden. „Am schönsten ist es, zu sehen, wie die Kinder nach Hause gehen – glücklich, weil sie etwas Neues gelernt und erfahren haben, dass sie selbst etwas bewirken können“, unterstreicht die Q.UNI-Leiterin. Auf sie wartet an diesem Nachmittag noch eine „vergleichsweise entspannte Zeit am Schreibtisch“. Für Telefonate und E-Mails ist während der Außeneinsätze verständlicherweise keine Zeit. Da bei ihr alle Fäden rund um die Kinder- und Jugend-Uni Münster zusammenlaufen, ist ihre 40-Stunden-Woche gut gefüllt. Anfragen und Buchungen beantworten, Material bestellen, die Berufsfeldpraktikantinnen und -praktikanten betreuen und begleiten, die Einsätze der studentischen Hilfskräfte koordinieren, ebenso die konzeptionelle Arbeit rund um das Mitmach- und Experimentierprogramm sowie dessen wissenschaftliche Begleitung – die Liste ist lang. „Ich kann mir keinen besseren Job vorstellen“, betont Jessica Oertel. „Er ist so schön abwechslungsreich.“

Autorin: Julia Harth

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