
Aufbruch in ein nachhaltigeres Leben
Jede Innovation bringt uns näher ans Ziel
Die Energiewende ist mehr als ein technisches Projekt. Sie ist eine gesamtgesellschaftliche Transformation, die alle betrifft. Als Energieökonomin beobachte ich interessiert, wie Universitäten in Deutschland – auch jene in Münster – wichtige Beiträge zur Lösung dieser Herausforderung leisten. Diese Fragen beschäftigen mich auch in meiner Forschung zu nachhaltigen Energiesystemen.
Die Möglichkeiten sind vielversprechend: Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen entwickeln recycelbare, biobasierte Materialien für Batterien und ersetzen damit fossile Rohstoffe. Gleichzeitig wird erforscht, wie der Ausbau erneuerbarer Energien mit dem Schutz der Artenvielfalt vereinbar ist. Besonders beeindruckend ist die Bandbreite. Sie reicht von der Grundlagenforschung zu Quantentechnologien bis hin zu praktischen Lösungen für den Alltag. Jede Innovation bringt uns näher an eine klimaneutrale Gesellschaft. Doch die Realität zeigt auch die Komplexität der Aufgabe: Drei Millionen deutsche Haushalte leiden aktuell unter Energiearmut – sie müssen also mehr als zehn Prozent ihres Einkommens für Energie (Strom, Gas, Heizung) aufwenden. Der globale Wettbewerb um Batterietechnologien ist intensiv, und Europa riskiert, den Anschluss zu verlieren. Zudem steigt der weltweite Energiebedarf weiter an, während wir gleichzeitig die Emissionen drastisch senken müssen.
Die Zukunft der Energie liegt in unser aller Hände. Wir sind gefordert, auch alle Wissenschaftsdisziplinen – von einzelnen Forschern bis zur internationalen Ebene. Durch exzellente Forschung, nachhaltiges Campusmanagement und Nachwuchsförderung nehmen Universitäten diese Verantwortung ernst. Gemeinsam müssen wir die Weichen für eine nachhaltige, gerechte und innovative Energieversorgung stellen.
Prof. Dr. Claudia Kemfert leitet die Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt im Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und ist Professorin für Energiewirtschaft und Energiepolitik an der Leuphana Universität Lüneburg.
Die Energiewende muss fair und sicher ablaufen
Wie sieht die Energie der Zukunft aus? Die Antworten variieren je nach individuellen, unternehmerischen oder politischen Interessen. Dennoch können wir uns auf ein paar Eigenschaften einigen: fair – sie fördert die Gemeinschaft, nicht die Ungleichheit; zugänglich – für alle verfügbar und erschwinglich; sauber – die Umwelt wird nicht verschmutzt oder geschädigt; und sicher – ohne Gesundheitsrisiken für Mensch und Natur.
Um diese Ziele zu erreichen, sollte Energie nicht nur erneuerbar, sondern auch effizient, dezentral und belastbar sein. Es muss uns gelingen, die Ressourcen zu maximieren, ohne Abfall zu erzeugen. Sie sollte möglichst vor Ort erzeugt werden, und wir brauchen ein krisenfestes Energiesystem. Der Übergang muss transparent ablaufen, mit nachvollziehbaren, ethischen und partizipativen Prozessen.
Dieser scheinbare Konsens steht jedoch oft im Widerspruch zu den realen politischen und wissenschaftlichen Debatten, bei denen einige Prioritäten zugunsten anderer geopfert werden. Ein markantes Beispiel ist der Bau neuer Kernkraftwerke in Ländern mit Uranreserven. Es dauert zehn bis 20 Jahre, bis sie voll einsatzfähig sind, und sie können weitere 80 Jahre laufen. Dabei entstehen radioaktive Abfälle, die unter strengen Auflagen gelagert werden müssen, während saubere Alternativen ausgeschlossen werden.
Ist es unmöglich, alle wünschenswerten Eigenschaften zu kombinieren? Der lokale Kontext ist entscheidend. Es gibt nicht die eine Lösung, die für jede Region geeignet ist, und die beste Option von heute ist vielleicht nicht die von morgen. Wir brauchen flexible Systeme, die keine langen Amortisationszeiten haben und die die jeweilige Ressourcenverfügbarkeit, Bevölkerungsverteilung und Industrielandschaft berücksichtigen. Das ist eine schwierige Aufgabe, aber gemeinsam können wir es schaffen – bis 2050?
Dr. Bernabé Alonso-Fariñas ist Professor am Fachbereich Chemie- und Umwelttechnik der Universität Sevilla (Spanien) und Mitglied der Europäischen Plattform für nachhaltige Finanzen (2021 – 2025).
Mitentscheidend sind politische Voraussetzungen
Für das Erreichen der Klimaziele ist die Energiewende zentral. Dafür braucht es aber nicht nur neue Technologien, sondern auch politische Rahmenbedingungen. Hier leistet die ökonomische Forschung einen wichtigen Beitrag. Wir modellieren etwa Ressourcen- und Energiemärkte, um die Wirkungen politischer Maßnahmen abzuschätzen und so Entscheidungsträgern die Kosten und Nutzen verschiedener Handlungsoptionen aufzuzeigen.
Gleichzeitig analysieren wir das Verhalten von Unternehmen und Verbrauchern. Ein Ergebnis: Verhaltensinterventionen sind in mäßigem Rahmen wirksam. Die Wirkung wird durch eine gute Kombination von politischen Maßnahmen erheblich gesteigert, wie sich anhand der Bepreisung von CO₂ etwa im Kontext des europäischen Emissionshandels oder bei der Minderung der Energienachfrage von Haushalten zeigte. Eine besondere Herausforderung stellt die Bewertung der Wohlfahrtseffekte der Politikmaßnahmen dar. Ein Stromsparwettbewerb in Zusammenarbeit mit den Stadtwerken Münster führte zu dem Ergebnis, dass für die lokalen Energieprofis das Setzen von Einsparzielen gar nicht so stark wirkt.
Die DFG-Forschungsgruppe „Digitale Mittelstadt der Zukunft“ an der Universität Münster untersucht, wie digitale Technologien Planungsprozesse erleichtern, die Kommunikation zwischen Kommunen und Bürgern verbessern und so die Akzeptanz neuer Maßnahmen erhöhen können. Zudem sind sie zentral im Lastmanagement, gerade angesichts zunehmend dezentraler und dynamischer Stromerzeugung. Intelligente Stromzähler und flexible Preise können die Nachfrageseite in Echtzeit beeinflussen, den Verbrauch besser verteilen und so Netzengpässe vermeiden. Dazu müssen aber Entscheidungsbefugnisse an KI übertragen werden. Ob und unter welchen Umständen die Stromkunden dazu bereit sind, schauen wir uns derzeit an.
Dr. Andreas Löschel ist Professor für Umwelt- und Ressourcenökonomik und Nachhaltigkeit an der Ruhr-Universität Bochum.
Warum Wasserstoff ein wichtiger Faktor ist
Die Wende hin zu einem kohlenstofffreien Energiesystem ist im Gange – wenn auch mit erheblichen Unterschieden zwischen den Regionen und Sektoren. Weltweit werden fossile Energieträger durch saubere Energien ersetzt, allerdings in einem geringeren Maße als nötig, um die Dekarbonisierungsziele für 2050 (EU und USA) oder 2060 (China) zu erreichen.
Die zunehmende Elektrifizierung und die weitere Durchdringung des Energiemixes mit erneuerbaren Energien ist ein Rückgrat der Energiewende. Photovoltaik und Batterien sind hierbei entscheidend. Diese Entwicklungen führen auch dazu, dass die Elektrifizierung des Verkehrs in einem guten Tempo voranschreitet. Tatsächlich etablieren sich Photovoltaik und Elektrofahrzeuge in China viel schneller als erwartet. Die Windenergie ist eine weitere grundlegende Komponente für das dekarbonisierte Energiesystem.
Etwa 85 Prozent des Energiebedarfs könnten durch saubere und erneuerbare Energiequellen gedeckt werden. Die schwer abschaltbaren oder schwer zu elektrifizierenden Sektoren wie Eisen- und Stahlindustrie, Zement, Schwerlastverkehr bergen jedoch eine besondere Herausforderung für die Energiewende. Für diese 15 Prozent gilt Wasserstoff als geeignete Lösung, da es sich um einen kohlenstofffreien Brennstoff mit einem sehr hohen Heizwert handelt. Wasserstoff kann durch verschiedene Verfahren und Technologien hergestellt werden, wobei die Elektrolyse von Wasser eine der wichtigsten ist. Die bekannten Nachteile von Wasserstoff als Gas, insbesondere die geringe Dichte, führen zu Erschwernissen bei Transport und Lagerung. Aber die Möglichkeit, eine Reihe von umweltfreundlichen Derivaten herzustellen, macht Wasserstoff zu einem wichtigen Faktor für die Energiewende.
Prof. Alfredo Iranzo Paricio von der Universität Sevilla (Spanien) ist wissenschaftlicher Leiter des „Ulysseus-Innovation Hub on Sustainable Energy, Transport, Mobility for Smart Cities“.
Die Verbraucher müssen flexibel bleiben
Unsere Energieversorgung befindet sich im Umbruch. Erneuerbare Energien sind mit einem Anteil von über 50 Prozent am Bruttostrombedarf mittlerweile systemsetzend. Der günstige Kostendurchschnitt für die Erzeugung einer Kilowattstunde Strom bei Wind- und Sonnenenergie führt dazu, dass neue Energieinvestitionen wachsend in diese Technologien fließen. Nach Angaben der Internationalen Agentur für Erneuerbare Energien waren es im Jahr 2024 global bereits über 90 Prozent.
Deutschland hat sich verpflichtet, bis spätestens zum Jahr 2045 klimaneutral zu werden. Bis 2030 sollen deshalb 80 Prozent des Stroms und 50 Prozent der Wärme aus erneuerbaren Energien stammen. In den letzten Jahren wurden enorme Fortschritte beim Erneuerbaren-Ausbau beim Strom erzielt, vor allem Wind und Photovoltaik stellen immer neue Rekorde auf. Die Ziele für 2030 sind in Reichweite. Auf dem Weg zur klimaneutralen Zukunft muss nun das Energiesystem insgesamt in den Blick geraten, das bisher von fossilen und atomaren Großkraftwerken geprägt war.
Erzeugung und Verbrauch müssen in Echtzeit synchronisiert werden. Hier kommen die flexibel steuerbaren Erneuerbaren ins Spiel – Bioenergie, Wasserkraft und Geothermie –, die dann ins Netz einspeisen, wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint. Ergänzt werden sie durch Kraft-Wärme-Kopplung, Speicher und Sektorenkopplungstechnologien.
Auch die Verbraucherseite muss flexibel bleiben. Dynamische Stromtarife und variable Netzentgelte fördern die effiziente Verwendung von PV-Anlage, Heimspeicher, E-Auto, Wärmepumpe und anderen Stromverbrauchern im Haushalt. Dies koordiniert eine intelligente Steuereinheit (Smart Meter), deren Masseneinbau nun voranzubringen ist. Damit kommen wir dem Energiesystem der Zukunft einer verlässlichen und nachhaltigen Energieversorgung näher.
Dr. Simone Peter ist Präsidentin des Bundesverbands Erneuerbare Energie e.V.
Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 5, 16. Juli 2025.