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Münster (upm).
Das Foto zeigt Prof. Dr. Levent Tezcan und Prof. Dr. Mouhanad Khorchide (v.l.) beim Pressegespräch, vor einem grünen Hintergrund mit dem Schriftzug &quot;Universität Münster&quot;.<address>© Uni MS - Johannes Wulf</address>
Prof. Dr. Levent Tezcan und Prof. Dr. Mouhanad Khorchide (v.l.) stellten die Studienergebnisse vor.
© Uni MS - Johannes Wulf

20 Prozent der Muslime verspüren Ressentiments

Forschungsteam legt Studie vor: Kränkungen und mangelhafte Integration können Radikalisierung befördern

Wer sich mit Fragen zur Radikalisierung befasst, stößt immer wieder auf den Begriff des „Ressentiments“. Doch wie ist dieser Begriff in diesem Kontext genau gemeint? Ein Forschungsteam der Universität Münster ist dieser Frage in einem vierjährigen Projekt ausführlich wissenschaftlich nachgegangen. Ein Ergebnis lautet: Sich zurückgewiesen und gekränkt zu fühlen, kann einer von mehreren Faktoren sein, die zu einer Radikalisierung beitragen. Ein Team des Zentrums für Islamische Theologie (ZIT) und aus der Soziologie hat erstmals untersucht, unter welchen Umständen Gefühle der Zurückweisung oder Kränkung zu Ressentiments führen und inwieweit diese wiederum eine Radikalisierung von Muslimen begünstigen können. Zentrales Ergebnis: Rund ein Fünftel der 1.887 befragten Muslime verspürt Ressentiments, die in Kombination mit anderen Faktoren eine Radikalisierung begünstigen können. Die Autorinnen und Autoren warnen jedoch davor, diesen rund 20 Prozent der Muslime pauschal eine mögliche Radikalisierung zu unterstellen. „Nicht jeder Radikale verspürt ein Ressentiment“, betonen sie. „Und nicht jeder Mensch mit einem Ressentiment muss in die Radikalisierung abgleiten oder gar Extremist werden. Dennoch zeigen die Ergebnisse eine gefährliche Nähe zu religiös motivierten Ansprachen von Islamisten, die gezielt Menschen mit Ressentiments ansprechen, um sie gegen die deutsche Gesellschaft zu mobilisieren, und deren Thesen wie Brücken vom Ressentiment zur Radikalisierung fungieren können.“

ZIT-Leiter Prof. Dr. Mouhanad Khorchide spricht sich mit Blick auf das Ergebnis dafür aus, „Maßnahmen auszubauen und gezielt zu fördern, die Muslime in ihrer Zugehörigkeit zur Gesellschaft bestärken und positiv sowie identitätsstiftend wirken“. Dazu zähle beispielsweise der weitere Ausbau von Räumen, in denen Muslime Anerkennung und Teilhabe erfahren – etwa durch die Stärkung des islamischen Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen. „Ebenso wichtig ist die gezielte Förderung von Projekten in den sozialen Medien, die konstruktive Erzählungen über das Zusammenleben von Muslimen und Nicht-Muslimen in einer pluralen Gesellschaft verbreiten. „Innerislamisch liegt eine wichtige Aufgabe bei den Moscheegemeinden: Sie sollten positive lebensweltliche Erfahrungen von Musliminnen und Muslimen sichtbar machen und die Chancen betonen, die das Leben in Deutschland bietet. So kann sich langfristig eine positive Grundhaltung gegenüber der Gesamtgesellschaft entwickeln, die Ressentiments entgegenwirkt.“

Als Ressentiment bezeichnen die Wissenschaftler die Verfestigung eines Gefühls der Kränkung, das negative soziale Erfahrungen in den Mittelpunkt stellt und positive Erfahrungen hingegen entwertet. Kränkungsgefühle dieser Art können langfristig zu negativen Einstellungen gegenüber dem sozialen Umfeld beitragen. Ein positives Selbstbild könne in diesen Fällen oft nur noch durch Abwertung derjenigen aufgebaut werden, von denen man sich herabgesetzt fühlt. Verfestigen sich derartige Gefühle der Unterlegenheit, führen sie nicht selten zu einer Haltung der fortgesetzten Selbstbehauptung und Empörung. Gleichzeitig gehen sie oft mit einem Mangel an Selbstkritik und Lernbereitschaft einher. Über vier Jahre hinweg untersuchte das Projektteam, inwieweit „ressentimentale Affektlagen“ einen Nährboden für eine Polarisierung und Radikalisierung unter Musliminnen und Muslimen in Deutschland bilden können. In drei qualitativen Teilprojekten führten die Experten mehr als 160 leitfadengestützte Interviews in türkisch- und arabischstämmigen Milieus.

Sowohl die qualitativen als auch die quantitativen Befragungen ergaben eine gemischte Gefühlslage – teils Zufriedenheit, teils Unzufriedenheit. Auf Diskriminierungs- und Kränkungserfahrungen reagiert die Mehrheit der Befragten laut der Studie differenziert. Dies betreffe vor allem die persönliche beziehungsweise situationsgebundene Ebene. Weniger gelassen und souverän reagieren die Befragten, wenn sie von pauschalen und abwertenden Urteilen gegenüber dem Islam erfahren. „Die Herausbildung einer Affektlage des Ressentiments steht damit in einem engen Zusammenhang“, erläutert der Religionssoziologe Prof. Dr. Detlef Pollack. Eine mögliche persönliche Diskriminierungserfahrung spiele in diesen Fällen keine signifikante Rolle.

Verallgemeinernde und pauschal negative Urteile gegenüber der muslimischen Gemeinschaft würden „erheblich zur Entstehung einer Affektlage des Ressentiments beitragen“. Die Ergebnisse zeigen, dass Ressentiments einen zentralen Anteil an Radikalisierungsprozessen mit und ohne Gewalt einnehmen. Weitere begünstigende Faktoren seien wenige Kontakte zu Nicht-Muslimen und religiöser Fundamentalismus.

Zur Methodik

Das Forschungsprojekt „Ressentiment als affektive Grundlage von Radikalisierung“ basiert auf mehreren eigenen oder in Auftrag gegebenen Erhebungen. Das Team der Universität Münster führte sowohl mit quantitativen Studien als auch qualitative Interviews durch. Die Umfrage unter Muslimen mit Migrationshintergrund in Deutschland erfasste sozialstrukturelle, integrationsspezifische und religiöse Faktoren, die zu einer „ungünstigen Affektlage“ beitragen können. Dazu hat das Institut für angewandte Sozialwissenschaft (infas) von Juli 2023 bis April 2024 knapp 1.900 Musliminnen und Muslime ab 18 Jahren befragt. Diese bewerteten beispielsweise folgende Aussagen auf einer Skala von eins bis sechs: „Wertvorstellungen von Leuten wie mir werden immer unwichtiger“ oder „Der Westen ist schuld daran, dass es vielen islamischen Ländern nicht gut geht“. Zudem sollten die Befragten ihre eigene Haltung charakterisieren, etwa anhand folgender Aussage: „Ich finde Kritik am Islam manchmal hilfreich, um bei mir selbst nach Fehlern zu suchen und mich zu verbessern.“

In einer der qualitativen Studien mit türkischen Probanden untersucht das Forschungsteam auf Basis von Interviews, wie Ressentiments entstehen und welche ihre prägenden Merkmale sind. Auffallend dabei ist, dass diejenigen, die auf differenzierte Weise mit ihren negativen Erfahrungen umgehen, sich auf konkrete Fälle, Personen und Orte beziehen. Eine negative Gefühlslage korrespondiert hingegen mit einem abstrakten Bild von Deutschen, das sich für Feindbildkonstruktionen eignet. Zwei weitere qualitative Teilprojekte widmen sich sowohl dem Zusammenhang als auch den Differenzen zwischen Kränkungsgefühlen, Ressentiments und Radikalisierung unter arabischstämmigen Muslimen.

Zur Forschungsgruppe gehören Prof. Dr. Mouhanad Khorchide, Prof. Dr. Detlef Pollack, Prof. Dr. Levent Tezcan, Dr. Olaf Müller, Dr. Evelyn Bokler-Völkel, Dr. Sarah Demmrich sowie Dr. Özkan Ezli. Eine Veröffentlichung der Ergebnisse ist für August 2025 geplant. Die Studie soll nicht nur die wissenschaftliche Diskussion zum Gegenstand voranbringen, sondern auch die Radikalisierungsprävention stärken.

Originalveröffentlichung: Die vollständige Studie erscheint voraussichtlich im August frei zugänglich im Springer-Verlag. (Verlagsankündigung: https://link.springer.com/book/9783658482015)

Finanzierung: Das Projekt wurde von 2021 bis 2025 in der Förderlinie „Gesellschaftliche Ursachen und Wirkungen des radikalen Islam in Deutschland und Europa“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gefördert.

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