
Exzellente Perspektiven
Den Blickwinkel zu ändern, um auf neue Ideen zu kommen – das ist nicht nur im Alltag hilfreich, sondern auch in der mathematischen Forschung. „Der Perspektivwechsel und die Kombination von unterschiedlichen Methoden führen uns zu neuen, mitunter überraschenden Wegen, um grundlegende mathematische Probleme zu lösen“, sagt Prof. Dr. Thomas Nikolaus, der mit Prof. Dr. Mario Ohlberger Sprecher des Exzellenzclusters „Mathematik Münster: Dynamik – Geometrie – Struktur“ ist.
Die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus verschiedenen mathematischen Teilgebieten bildet den Kern des Forschungsverbunds. Dieser Ansatz überzeugte auch die Exzellenzkommission von Bund und Ländern, die vor wenigen Tagen entschied, dass „Mathematik Münster“ ab dem 1. Januar 2026 für weitere sieben Jahre Exzellenzförderung erhält.
„Die Mathematik ist heute so extrem spezialisiert, dass der Austausch zwischen Teildisziplinen oft schwieriger ist als mit benachbarten Wissenschaften wie Physik oder Informatik. Zu Beginn gemeinsamer Projekte müssen häufig erst einmal grundlegende Konzepte erklärt werden“, sagt Mario Ohlberger. Dass sich der Aufwand lohnt, zeigen zahlreiche international beachtete Forschungsergebnisse aus der ersten Förderphase des Clusters.
Die Mathematikerinnen und Mathematiker haben nun den sogenannten integrativen Ansatz weiterentwickelt und aktuelle Herausforderungen identifiziert, die sie in zehn vernetzten Forschungsachsen in der nächsten Förderperiode bearbeiten wollen. Die Fragestellungen decken die gesamte Breite der Mathematik ab: von grundlegender theoretischer Forschung – etwa zu abstrakten Invarianten oder Verbindungen zwischen Arithmetik und Topologie – über die Analyse nichtlinearer Operatoren und Räume bis hin zu anwendungsnahen Themen. Zu letzteren zählen beispielsweise mathematische Modelle in der Biologie und Medizin sowie datengetriebene Verfahren – und damit die mathematischen Grundlagen der künstlichen Intelligenz.
Auch die beiden Mathematik-Cluster in Bonn und Berlin werden weiter gefördert. „Das ist ein wichtiges Zeichen dafür, dass die mathematische Grundlagenforschung in Deutschland wertgeschätzt und der gesellschaftliche Nutzen gesehen wird“, sagt Mario Ohlberger. Denn die Mathematik liefere wichtige Fundamente auch für andere Wissenschaften und Technologien. Der Austausch mit solchen Bereichen soll zukünftig durch gezielte Programme verstärkt werden.
Ein wesentlicher Anteil des Fördergelds – 40 Millionen Euro sind beantragt – wird in Köpfe investiert. „Viele unserer Arbeitsgruppen gehören weltweit zur Spitze ihres Fachs. In den vergangenen Jahren sind bereits weitere Spitzenforscherinnen und -forscher zu uns gekommen. Wir wollen diese dynamische Entwicklung fortsetzen und Münster weiterhin zu einem Hotspot für exzellente Wissenschaft machen. Auch unsere Master-, Promotions- und Postdocprogramme sollen ein Magnet für die besten Mathe-Talente sein“, sagt Thomas Nikolaus. Außerdem werden Forschungssemester, Konferenzen und Gastaufenthalte finanziert, um den Austausch der 200 Cluster-Mitglieder untereinander und mit Partnerinnen und Partnern zu fördern.
Der Mathematik-Standort Münster wird künftig noch bessere Bedingungen für die Zusammenarbeit bieten: Anfang 2027 wird das neue Forschungsgebäude „Centre for Mathematics Münster“ (CMM) eröffnet. „Fruchtbare Kooperationen entstehen oft durch zufällige Begegnungen“, sagt Mario Ohlberger. Die Architektur des Forschungsbaus sei konsequent darauf ausgerichtet, diese spontanen Interaktionen zu ermöglichen. Das Design mit einem großen Atrium, Lichthöfen mit Interaktionsflächen, verschiebbaren Trennwänden und Tafeln vor transparenten Bürowänden schafft viel Luft und Licht für Perspektivwechsel und neue mathematische Impulse.
Autorin: Victoria Liesche
Im Gegensatz zu „Mathematik Münster“ erhält der seit 2007 geförderte Exzellenzcluster „Religion und Politik“ keine weitere Förderung. Der Cluster hat international beachtete Forschungsarbeiten hervorgebracht, und die interdisziplinäre Religionsforschung bleibt ein starkes Profilmerkmal der Universität Münster. Die Forschung wird auf dem Campus der Theologien und Religionswissenschaften fortgeführt, der 2026 eröffnet werden wird.
Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 4, 12. Juni 2025.