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Münster (upm)
Auf dem Bild ist ein illustriertes Auge zu sehen, das von zwei Händen umrahmt wird.<address>© stock.adobe.com - fidaolga</address>
Dank moderner digitaler optischer Geräte ist heute weit mehr über die Ursachen und Klassifikationen von Augenkrankheiten bekannt, als früher. Somit gelingt es, viel früher Diagnosen zu stellen.
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"Belastungen für die Patienten werden immer geringer"

Klinikdirektorin Nicole Eter beschreibt die Fortschritte und Herausforderungen in der Augenheilkunde

Als eine der ersten münsterschen Universitätskliniken wurde die Augenklinik am 1. Oktober 1924 eröffnet – erster Direktor war Aurel von Szily. Norbert Robers sprach mit der Lehrstuhlinhaberin für Augenheilkunde an der Medizinischen Fakultät der Universität Münster und Leiterin der Klinik für Augenheilkunde, Prof. Dr. Nicole Eter, über Fortschritte in der Forschung, den Einfluss von künstlicher Intelligenz und die Herausforderungen einer alternden Gesellschaft.

Wissen und Fortschritt, so liest man oft, wachsen in der Medizin exponentiell. Gilt dies auch für die Augenheilkunde?
Definitiv – das Fach hat sehr vom Fortschritt der Digitalisierung profitiert. Dank moderner digitaler optischer Geräte wissen wir heute weit mehr über die Ursachen und Klassifikationen von Krankheiten. Somit gelingt es, viel früher Diagnosen zu stellen, Subklassifikationen zu treffen und engere Therapieüberwachungen durchzuführen. Die Fortentwicklungen, etwa in den OP-Mikroskopen sowie bei den Phako- und Vitrektomiemaschinen erlauben immer sicherere Operationen. Die immer feineren Instrumente lassen zudem viele minimalinvasive Eingriffe zu. Schließlich entwickeln sich die Gentherapie und Zellersatz-Therapie rasant weiter. So ist beispielsweise die erste Gentherapie für eine Gruppe von erblichen Augenerkrankungen bereits etabliert.

Porträtfoto von Prof. Dr. Nicole Eter<address>© © UKM - Witte/Wattendorff</address>
Prof. Dr. Nicole Eter
© © UKM - Witte/Wattendorff
Nehmen wir nur die letzten 30 Jahre: Welche Entwicklungen in diesen drei Dekaden halten Sie für besonders wichtig?
Neben der Weiterentwicklung optischer Geräte durch hochauflösende digitale Unterstützung ist insbesondere die Entwicklung der optischen Kohärenztomographie bahnbrechend für die Diagnostik vieler Netzhauterkrankungen geworden. Heute sind wir in der Lage, viele Krankheitsbilder schon in Frühstadien zu erkennen. In den vergangenen zehn Jahren hat uns die künstliche Intelligenz dabei geholfen, viele Bildinformationen automatisiert auszuwerten. Die Glaukom- und Hornhautchirurgie sind zwei weitere Felder, auf denen es deutliche Fortschritte gegeben hat. Unter anderem mit dem Ergebnis, dass wir die Patienten immer früher entlassen können und die Belastungen für sie immer geringer werden.

Und auf welchen Forschungsgebieten sehen Sie noch Lücken?
Beim Sehvorgang handelt es sich um eine Verschaltung vom Auge über den Sehnerven bis hin zum Gehirn. Dafür sind viele ineinandergreifende Prozesse notwendig, die auf viele Subtypen von Zellen zurückzuführen sind. Der Sehnerv ist ein zentraler Nerv, dessen Regeneration bei einer Verletzung oder sonstigem Schaden noch nicht wiederhergestellt werden kann, gleiches gilt für die Neuroretina. Auf all diesen Gebieten gibt es noch viel Forschungspotenzial. Gleiches gilt für das künstliche Sehen mit sogenannten Retinachips, die in der Lage sind, Seheindrücke aufzunehmen und an das Gehirn weiterzuleiten.

In der Wissenschaft wird oft auf das Zusammenspiel verschiedener Disziplinen geschworen. Gil das auch für die Augenheilkunde?
Das Auge ist das Fenster zum Blick in den Körper. Viele systemische Erkrankungen kann man bereits am Auge diagnostizieren, beispielsweise Diabetes, Bluthochdruck und Rheuma. Daher ist eine gute Zusammenarbeit mit internistischen Disziplinen von enormer Bedeutung. Zudem haben viele neurologische Erkrankungen Auswirkungen auf das Auge. Schließlich ist auch die Zusammenarbeit mit der Neonatologie, Dermatologie oder Geburtshilfe für uns tägliche Normalität.

In wieweit hat die Medizintechnik im Laufe der Jahrzehnte die Arbeit der Ärzte „ersetzt“?
Die Entwicklung der Medizintechnik und die Weiterentwicklung der diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten in der Augenheilkunde sind untrennbar miteinander vereint. Nach der Radiologie ist die Augenheilkunde das Fach mit der zweithäufigsten Bildgebung. Erst durch eine Weiterentwicklung der Medizintechnik in puncto auflösende optische Systeme und Digitalisierung sowie dem Einsatz von künstlicher Intelligenz wurden die Untersuchungsgeräte perfektioniert. So haben wir Augenärzte Einblick in Strukturen bekommen, die wir früher nicht sehen und entsprechend diagnostizieren konnten.

Die künstliche Intelligenz wird also auch in Zukunft die Augenheilkunde verändern?
Künstliche Intelligenz ist bereits heute ein Teil vieler optischer Diagnostikgeräte, um die großen Mengen an Bildern auszuwerten und Verlaufsbetrachtungen zu erleichtern. So können neben den qualitativen Bilddaten quantitative ,Metadaten‘ erfasst werden, die für solche Auswertungen herangezogen werden. Damit gelingt es, kleinste Details etwa am Augenhintergrund oder am Sehnerv zu vermessen und dem Arzt bei der Therapieentscheidung zu helfen. Mithilfe von neuen KI-Systemen in sogenannten Funduskameras können wir heute bereits eine Einschätzung über einen normalen oder einen krankhaft veränderten Augenhintergrund geben. In Ländern mit schlechter augenärztlicher Versorgung kann dies übrigens oft in Screenings eingesetzt werden und einen Augenarzt ersetzen. Im Deutschland kommen solche Systeme wenig zum Tragen, da die augenärztliche Versorgung mit über 8.000 Augenärzten für 82 Millionen Menschen sehr gut ist.

Unsere Gesellschaft wird immer älter, dadurch wächst die Zahl der von altersbedingten Augenkrankheiten betroffenen Menschen. Nehmen Sie das als Herausforderung oder als Problem wahr?
Dies stellt eine Herausforderung dar und könnte sich sogar zu einem Problem entwickeln, wenn es uns nicht gelingt, Therapieformen etwa bei der feuchten, altersabhängigen Makuladegeneration zu finden, die länger als die bisherigen Therapieformen wirken. Es muss uns auch gelingen, die Patienten in die Überwachung ihrer Erkrankungen aktiv einzubeziehen; beispielsweise mit dem Einsatz von Selbsttonometern, mit denen die Patienten ihren Augeninnendruck messen können.

All das klingt komplex und mühsam. Was reizt Sie denn an Ihrem Beruf?
Durch Sehen erleben wir unsere Welt, haben wir ,Bilder vor Augen‘ und nehmen unsere Umwelt und Mitmenschen war. Erst das Sehen ermöglicht es uns, in Bildern zu träumen. Ohne das Sehen würde uns eines der wichtigsten Sinne fehlen. Die Erforschung des Organs Auge und das Zusammenspiel mit dem Gehirn zur Erzeugung von Bildern hat mich daher schon immer begeistert. Ich empfinde es als faszinierend, durch neue Methoden immer tiefere Details der Augenstrukturen kennenzulernen und Erkrankungen therapieren zu können. Und was mich in meiner Forschung motiviert? Es sind vor allem die glücklichen Gesichter von Patienten, die nach einer Augenerkrankung wieder sehen können. Nicht ohne Grund gibt es das Sprichwort:  Voir, c'est vivre – sehen ist leben.

Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 3, 7. Mai 2025.

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