
„Wir sollten den Effekt der Debatten nicht überschätzen“
„Wir sind die Guten – die da oben kümmern sich nicht um eure Interessen.“ Die gängige Erzählung populistischer Parteien scheint in einigen Teilen der Bevölkerung zu zünden. Expertinnen und Experten befürchten, dass derartige Aussagen den Bundestagswahlkampf maßgeblich beeinflussen könnten. Im zweiten Teil der Serie zur Bundestagswahl erklärt Politikwissenschaftler Prof. Dr. Oliver Treib im Interview mit Linus Peikenkamp, mit welchen Maßnahmen Politikerinnen und Politiker dagegenhalten.
Welche Strategien politischer Akteure gegen Populisten nehmen Sie wahr?
Es gibt zahlreiche Ansätze, die immer wieder in der öffentlichen Diskussion auftauchen. Eine große Rolle spielt beispielsweise die sogenannte wehrhafte Demokratie, also jene rechtlichen Maßnahmen, die sich gegen Demokratiefeinde richten – Parteiverbote zum Beispiel. Zudem dient die oft zitierte Brandmauer als Selbstverpflichtung, sich gegen Rechtsextremismus zu wehren. Obendrein versuchen einige Parteien, sich von der populistischen Rhetorik anderer abzugrenzen. Erst im Dezember haben daher mehrere von ihnen eine Vereinbarung zu einem fairen Wahlkampf beschlossen.
Hat dieses Abkommen denn Wirkung gezeigt?
Über die Wirksamkeit lässt sich durchaus streiten, da zwei große Parteien – die AfD und das BSW – dem Pakt nicht beigetreten sind. Dennoch halte ich es für einen wichtigen Appell, sich zu einem sachlichen Wahlkampf zu verpflichten und sich nicht der Rhetorik von Parteien wie der AfD anzugleichen. Und man sieht, dass sich die Parteien bemühen, diesem Versprechen gerecht zu werden: Sie kommunizieren zwar hart in der Sache – und das ist auch gut so –, aber keinesfalls unsachlich.
Sie erwähnten bereits die Brandmauer. Ist das nur eine leere Formel, oder wird die Idee, die dahintersteckt, auch in die Tat umgesetzt?
Es handelt sich dabei um eine Strategie, bestimmte Parteien nicht an die Schalthebel der Macht kommen zu lassen. Demnach sollen Angehörige dieser Parteien keine Ämter wie Präsidien oder Ausschussvorsitze bekleiden und Koalitionen sind mit ihnen ausgeschlossen. Ein ähnliches Vorgehen beobachtet man beispielsweise beim französischen ‚cordon sanitaire‘, einem von mehreren Parteien gebildeten ,Sperrgürtel‘, um die Zusammenarbeit mit bestimmten Gegnern auszuschließen. Damit sind aber einige Risiken verbunden, die unter Umständen dazu führen können, dass der Ausschluss politisch nach hinten losgeht.
Parteien wie die AfD können sich dadurch als Opfer einer politischen Kampagne stilisieren, die unter Umständen weitere Wählerinnen und Wähler in ihre Richtung mobilisiert. Erst vor kurzem hat AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel die Brandmauer als ‚undemokratisch‘ bezeichnet – das findet bei einigen Menschen Anklang. Zusätzlich basiert die öffentliche Wahrnehmung der Brandmauer auch darauf, klar und deutlich herauszustellen, dass die ausgeschlossene Partei tatsächlich undemokratisch ist. Das ist bei der AfD nicht so einfach, da sie – anders als etwa die PiS in Polen oder Orbán in Ungarn – keine Neigung zeigt, den Rechtsstaat abzubauen. Sie bekennt sich auch zu einem Ausbau von demokratischen Verfahren wie Volksentscheiden. Im Kern verlässt die AfD den Boden des Grundgesetzes vor allem durch ihre radikale Ausländer- und Islamfeindlichkeit. Sieht man sich die aktuelle Diskussion zu Migration in Deutschland an, so drängt sich allerdings der Verdacht auf, dass viele Menschen darin womöglich gar keinen so dramatischen Bruch mit demokratischen Prinzipien sehen.
Vor etwa zwei Wochen hat CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz im Bundestag einen Entwurf für das sogenannte Zustrombegrenzungsgesetz vorgelegt und dabei die Stimmen der AfD in Kauf genommen. Ist die Brandmauer damit gefallen?
Das hängt von der jeweiligen Definition des Begriffs ab. Ich werte den Vorstoß als ein Signal von Herrn Merz, sich in der Migrationsdebatte klar zu positionieren. Ich halte es für falsch, die Brandmauer so zu interpretieren, dass man unabhängig vom Inhalt gegen jeden Antrag stimmt, dem die AfD zustimmt. Wir dürfen nicht vergessen, dass in der Vergangenheit bereits Mehrheiten mit der AfD zustande gekommen sind, beispielsweise für die Senkung der Grunderwerbssteuer in Thüringen.
Deutlich weitreichender und vor allem rechtlich verbindlich sind Parteiverbote, wie sie seit längerem für die AfD diskutiert werden. Für wie wahrscheinlich halten Sie einen solchen Schritt?
Für sehr unwahrscheinlich. Wenn das Verfassungsgericht jetzt zu dem Schluss käme, dass die AfD die demokratische Grundordnung beseitigen könne und die Partei verboten werden müsse, käme dieses Urteil viel zu spät. Zumal das Instrument äußerst missbrauchsanfällig ist: 2009 hat das türkische Verfassungsgericht die prokurdische Partei DTP verboten. Einige Jahre später gab der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bekannt, dass dieses Verbot rechtswidrig war. Daran erkennt man, dass Parteiverbote immer auch im Verdacht stehen, unliebsame politische Gegner loszuwerden. Außerdem: Was würde mit den Wählerinnen und Wählern verbotener Parteien passieren? Die könnten sich neu organisieren und etwa eine Anhängerpartei wählen. Das Grundproblem bliebe somit bestehen.
Was sollten demokratische Parteien also stattdessen tun, um sich erfolgreich von populistischen Akteuren zu distanzieren?
Vor allem sollten sie die Ursache für das Erstarken dieser Parteien bekämpfen. Die Politik muss Lösungen für die Probleme bieten, die den Menschen unter den Nägeln brennen. Wenn das, wie in Deutschland heute, eine vermeintlich außer Kontrolle geratene Einwanderungspolitik ist, muss man darauf Antworten finden – das muss aber nicht heißen: alle Grenzen werden dicht gemacht. Es kann auch bedeuten: mehr Anstrengungen bei der Unterbringung, Versorgung und Integration der Zugewanderten. Ein weiterer Faktor ist die Ungleichheit zwischen West- und Ostdeutschland. Viele Menschen im Osten der Republik verdienen weniger als westdeutsche Bürgerinnen und Bürger, sie fühlen sich kulturell und wirtschaftlich marginalisiert. Das Ziel von Politikerinnen und Politikern sollte sein, die Lebenssituation dieser Menschen zu verbessern.
Wir haben viel über Strategien von politischen Akteuren gesprochen, sich gegen Populismus zu wehren. Sie erforschen dahingehend auch das Verhalten der Zivilbevölkerung. Was beobachten Sie?
Das wohl am weitesten verbreitete Instrument der Bürgerinnen und Bürger sind Proteste. Erst kürzlich demonstrierte eine Viertelmillion Menschen in München gegen Rechtsextremismus. Auch Münster ist bekannt für große Protestaktionen.
Es scheint, als steige die Zahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an Protesten gegen die AfD seit Jahren an. Gleichzeitig wächst die Wählerschaft der Partei. Laufen die Proteste also ins Leere?
Angenommen, es käme zu Koalitionsverhandlungen zwischen CDU und AfD: In diesem Fall hätten die Proteste durchaus einen Einfluss. Denn die CDU weiß genau, dass ein großer Teil der Bevölkerung eine Koalition mit der AfD ablehnt. Die Effekte von Protesten sind jedoch nur schwer messbar, da wir nicht wissen, wie das öffentliche Meinungsbild ohne Proteste aussähe.
Wie beeinflussen die Diskussionen rund um die Brandmauer, Parteiverbote und Proteste die kommende Bundestagswahl?
Wir sollten den Effekt dieser Diskussionen nicht überschätzen. Sie werden die Wählerinnen und Wähler nicht in Scharen zu SPD und Grünen treiben. Am Ende werden die Themen und inhaltlichen Positionen wichtiger sein. Ich bin zudem davon überzeugt, dass sich viele Wähler bereits für eine Partei entschieden haben.