„Schule muss sich stärker gesellschaftlichen Fragen öffnen“
Unter dem Motto „Potenziale entwickeln – Schule transformieren – Zukunft gestalten“ richtet das Internationale Centrum für Begabungsforschung der Universität Münster mit weiteren Kooperationspartnern vom 18. bis 21. September den 8. Münsterschen Bildungskongress aus. Der Erziehungswissenschaftler Prof. Dr. Christian Fischer, mitverantwortlich für das Programm und die wissenschaftliche Kongressleitung, spricht im Interview mit Anke Poppen über die Ziele und Schwerpunkte.
Was sind die Hauptziele des Kongresses?
Wir wollen uns damit auseinandersetzen, wie nicht nur leistungsstarke, sondern alle Schülerinnen und Schüler ihre Potenziale und Talente voll entfalten können – Stichwort Bildungsgerechtigkeit. Dadurch sollen sie neben individueller auch gesellschaftliche Verantwortung übernehmen können. Und wir fragen nach den schulischen Rahmenbedingungen, die wir brauchen, um die Heranwachsenden für gesellschaftliche Veränderungen fit zu machen, sodass sie diese aktiv mitgestalten können.
Wie kann die Schule Heranwachsende auf solche Veränderungen vorbereiten?
Für das Lernen gibt es drei Relevanzbereiche: das reguläre Curriculum, die gesellschaftliche Bedeutung und das persönliche Interesse. Die beiden letzten Bereiche sind aktuell unterrepräsentiert, die Schule muss sich stärker gesellschaftlichen Fragen öffnen und den Interessen und Anliegen der Kinder – etwa zu Fragen der nachhaltigen Zukunftsgestaltung – mehr Raum geben. Der Fokus sollte nicht nur auf faktenbasierter Wissensvermittlung liegen, sondern verstärkt auf kritischem Denken und kreativer Problemlösung; darin liegen Zukunftskompetenzen.
Wie kann es denn gelingen, dass jede Schülerin und jeder Schüler sein Potenzial voll entfalten kann?
Statt den Blick in erster Linie auf die Defizite zu richten, müssen wir vor allem bei den Potenzialen der Schülerinnen und Schüler ansetzen; dies gilt auch für Kinder aus einem benachteiligten Umfeld. Dazu brauchen wir einen Unterricht, der stärker auf selbstreguliertes Lernen setzt und mehr Raum für eigene Ideen und Projekte gibt. Wir möchten mit wissenschaftlichen Konzepten und praktischen Beispielen dazu ermutigen.
Welche Fähigkeiten brauchen Lehrkräfte, um die Heranwachsenden optimal zu begleiten?
Zunächst eine diagnostische Kompetenz, um die jeweils individuelle Lernausgangslage zu erfassen. Neben der zentralen didaktischen und fachlichen brauchen sie eine kommunikative Kompetenz: Als Lernbegleiter und -berater fragen sie, was die Kinder und Jugendlichen können und wollen, was zu einem anderen Rollenverständnis führt. Die Lehrkraft ist keine reine Wissensvermittlerin, die Schüler sind aktive Gestalter statt Rezipienten. Diese Erweiterung der Perspektive kann ein enormes Potenzial freisetzen und stärkt die Lehrkräfte, wenn sie sehen, welche Veränderungen möglich sind, wenn sie Vertrauen in die jungen Menschen haben.
Alles schön und gut. Aber was helfen all diese Ideen, wenn es nicht genug Lehrkräfte gibt? Kann der Kongress dem Lehrermangel einen Impuls entgegensetzen?
Das ist in der Tat ein gravierendes Problem. Wir brauchen kreative Lösungen und müssen etwa das erweiterte pädagogische Personal wie Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter sowie Schulpsychologinnen und -psychologen stärker einbinden. Die Hochschulen müssen sich um gute und interessierte Studierende bemühen, wie dies zum Beispiel an der Universität Münster umgesetzt wird. Projektformate wie zum Thema Klimawandel in Deutschland bringen allen Beteiligten mehr Freude und führen zu höheren Lernerfolgen, da die Lehrkräfte nicht gegen Widerstände ankämpfen müssen. Junge Menschen lernen gerne, wenn sie entsprechende Gestaltungsmöglichkeiten haben. Schule kann Spaß machen: Dafür möchten wir mit dem Kongress ein Zeichen setzen.
Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 5, 17. Juli 2024.