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Dr. Joachim Kremerskothen<address>© Uni MS - Peter Leßmann</address>
Dr. Joachim Kremerskothen
© Uni MS - Peter Leßmann

„In Deutschland sind die Vorbehalte besonders groß“

Joachim Kremerskothen über die Anwendung von Gentechnik und die Angst vor den Folgen

Die neuen Methoden der Gentechnik gelten als besonders sicher – unumstritten sind sie jedoch nicht. Christina Hoppenbrock sprach mit Dr. Joachim Kremerskothen, der in der Stabsstelle Arbeits- und Umweltschutz für biologische Sicherheit und Gentechnik zuständig ist, über Gentechnik in der Forschung und über die Vorbehalte.

 

Welche gentechnischen Anwendungsbereiche gibt es an der Universität Münster?

Die Spanne ist groß. In Laboren des Fachbereichs Biologie werden transgene Pflanzen hergestellt, mit denen unter anderem erforscht wird, wie eine Salztoleranz bei Pflanzen entsteht. Andere Beispiele sind die Erforschung der inneren Uhr bei der Taufliege und die Forschung zum Abbau von Industrie-Abfall durch Mikroorganismen. Gentechnisch veränderte Tiere, darunter Mäuse, werden in der biomedizinischen Forschung eingesetzt, um die Entstehung von Krankheiten wie Krebs oder Multiple Sklerose zu verstehen. Ein weiterer Schwerpunkt an der Universität Münster sind bildgebende Verfahren, bei denen gentechnisch veränderte Tiere oder Zellen eingesetzt werden. Mit deren Hilfe lassen sich zum Beispiel das Wachstum von Tumoren oder die Wanderung von Zellen im Körper bildlich darstellen. Diese gentechnisch hergestellten molekularen Hilfsmittel sind also gerade in der biomedizinischen Forschung extrem wertvoll.

Auch in vielen Anwendungsbereichen des Alltags ist Gentechnik längst selbstverständlich. Die grüne Gentechnik spielt in der öffentlichen Debatte jedoch eine Sonderrolle ...

Das stimmt. Aus der Medizin, um nur einen Bereich zu nennen, ist die Gentechnik längst nicht mehr wegzudenken. Gentechnisch hergestelltes Insulin ist zum Beispiel seit Jahrzehnten im Einsatz. Bei der grünen Gentechnik spielt wahrscheinlich die Angst der Bevölkerung vor unkontrollierbaren Folgen nach einer Freisetzung der gentechnisch veränderten Pflanzen eine entscheidende Rolle. Eventuell kommt dazu, dass viele Menschen die grüne Technik gedanklich mit großen Agrarkonzernen verknüpfen, deren Methoden sie als rücksichtslos wahrnehmen. In Deutschland sind die allgemeinen Vorbehalte gegen Gentechnik besonders groß, anders als beispielsweise in den Niederlanden oder auch in Frankreich.

Ist die Gentechnik denn sicher?

Mit den weiterentwickelten Methoden ist es inzwischen möglich, viel präziser bei der Veränderung der genetischen Informationen von Mikroorganismen, Tieren oder Pflanzen vorzugehen. Trotzdem können auch mit den modernen Methoden der Genomeditierung in seltenen Fällen unvorhergesehene Ereignisse passieren. Ein Risiko für den Menschen oder die Umwelt kann daher nicht komplett ausgeschlossen werden. Deshalb wird auch jede gentechnische Arbeit einer umfassenden Risikobewertung unterzogen, an denen sich die Festlegung von notwendigen Sicherheitsmaßnahmen orientiert. Wissenschaftler arbeiten parallel in sehr hohem Tempo daran, die ohnehin geringe Fehlerrate bei der Genomeditierung weiter zu minimieren. Fakt ist jedoch: Der Einsatz von Methoden zur Veränderung des Genoms eines biologischen, dynamischen Systems birgt immer ein gewisses Risiko von unerwünschten Nebeneffekten. Das ist allerdings beim Einsatz von Medikamenten zur Therapie von Erkrankungen des Menschen auch nicht anders. Um auf die grüne Gentechnik zurückzukommen: Jede Veränderung des pflanzlichen Genoms kann unter Umständen zur Entstehung unerwünschter Nebeneffekte führen. Auch konventionell gezüchtete Pflanzen können neue und unerwartete Unverträglichkeiten hervorrufen. Da in Deutschland jede Pflanzensorte, die erstmals in die Umwelt freigesetzt wird beziehungsweise neu auf den Markt kommt, vorher ein aufwendiges Prüfverfahren durchläuft, sehe ich jedoch ein sehr gut abschätzbares Restrisiko.

Apropos Aufwand: In Ihrer Funktion als Beauftragter für biologische Sicherheit begleiten und unterstützen Sie die sichere Durchführung von allen gentechnischen Arbeiten in den Laboren der Universität ...

Meine Kolleginnen und ich beraten und unterstützen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schon im Vorfeld der geplanten Arbeiten und später zum Beispiel bei der Dokumentation der Experimente mit den neuen Organismen. Gesetzlich vorgeschrieben ist auch unsere Kontrollaufgabe in den Laboren. Aber unser Team sieht sich nicht als verlängerter Arm der Behörden, sondern vor allem als Berater. Der rechtliche Rahmen für gentechnische Arbeiten ist in Deutschland komplex und wird durch die Behörden streng überwacht. Ein ähnlich striktes Gentechnikgesetz wie in Deutschland gibt es in anderen Ländern nicht. Das kann zum Beispiel ein Problem für internationale Wissenschaftler sein, die an der Universität Münster in verantwortlicher Position gentechnische Arbeiten durchführen wollen. Wir unterstützen sie dabei, dass sie sich im deutschen ‚Gesetzes-Dschungel‘ zurechtfinden.

 

Gentechnik-Sicherheit an der Universität Münster

An der Universität Münster und am UKM gibt es rund 100 gentechnische Anlagen, für deren Betrieb der Kanzler der Universität hauptverantwortlich ist. Die dort stattfindenden Versuche mit gentechnisch veränderten Organismen (GVO) sind durch das deutsche Gentechnikgesetz reglementiert und müssen vor Beginn der Versuche von der Bezirksregierung Düsseldorf zugelassen werden. Die Bezirksregierung Münster ist für die Überwachung der Anlagen und der gentechnischen Arbeiten darin zuständig. Auch innerhalb der Universität Münster gibt es eine prüfende Instanz: Die Beauftragten für Biologische Sicherheit (BBS) der Stabsstelle Arbeits- und Umweltschutz unter der Leitung von Kornelia Hilla gehen regelmäßig in die Labore und gleichen ab, ob die rechtlichen Vorgaben eingehalten werden. Sie unterstützen und beraten die Forschungsteams, beispielsweise bei der Planung von Projekten oder notwendigen Baumaßnahmen. Die Projektleiter in den Arbeitsgruppen sind dafür verantwortlich, die Experimente zu planen, durchzuführen und zu prüfen. An der Universität Münster gibt es gentechnische Anlagen, die in drei der vier biologischen Sicherheitsstufen S1 bis S4 eingestuft werden:

Von den gentechnischen Arbeiten in S1-Laboren geht bei sachgerechtem Umgang mit den Organismen keine Gefahr aus.In den S2-Laboren bestehen potenzielle Gefahren durch die gentechnisch hergestellten Organismen für Menschen, Tiere und Umwelt; hier werden zum Beispiel Bakterien gentechnisch verändert, die Erkrankungen bei Menschen hervorrufen können.Im einzigen S3-Labor der Universität wird unter anderem an gentechnisch veränderten Grippeviren geforscht, die für den Menschen ein Gesundheitsrisiko darstellen. Entsprechend hoch sind die Sicherheitsmaßnahmen.

Unabhängig von der Sicherheitsstufe gilt, dass gentechnisch veränderte Organismen nicht unbeabsichtigt in die Umwelt gelangen dürfen.

 

Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 2, 4. April 2024.

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