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Münster (upm/ch).
Prof. Dr. Christian Weinheimer arbeitet als Astroteilchenphysiker am Institut für Kernphysik.<address>© Uni MS - MünsterView</address>
Prof. Dr. Christian Weinheimer arbeitet als Astroteilchenphysiker am Institut für Kernphysik.
© Uni MS - MünsterView

„Wissenschaftliche Neugierde ist meine Triebfeder“

Christian Weinheimer ist auf der Suche nach Dunkler Materie und der Masse von Neutrinos

Sein Beruf als Hochschulprofessor hat ein bisschen was von einem Fußballtrainer, findet Christian Weinheimer. Wie ein Coach, der aus seiner Mannschaft das Beste herausholt, unterstützt und motiviert er die jungen Leute in seinem Team. In der AG Weinheimer geht es natürlich nicht um sportliche Höchstleistungen, sondern darum, in der weltweiten Forschung vorne mitzuspielen. „Ich bin sehr stolz auf meine Mannschaft“, unterstreicht der Astroteilchenphysiker. Bislang sind 33 Doktorinnen und Doktoren aus der Arbeitsgruppe hervorgegangen. Viele davon haben eine akademische Karriere eingeschlagen. Manche sind schon selbst Professorin oder Professor und leiten ihr eigenes Team.

Bereits während seiner Diplom- und Doktorarbeit war Christian Weinheimer auf der Spur der Neutrinomasse. Als einer der Gründungsväter ist er seit mehr als 20 Jahren am „Karlsruhe Tritium Neutrino Experiment“ (KATRIN) am Karlsruher Institut für Technologie maßgeblich beteiligt. Dieses internationale Großprojekt untersucht, welche Masse Neutrinos haben – bislang ist nur bekannt, dass sie extrem klein ist.

Seine zweite große Forschungsfrage ist die Suche nach Dunkler Materie. Die münstersche Gruppe ist ein sehr sichtbarer Teil einer internationalen Kollaboration. Mit dem Großexperiment „XENONnT“ suchen die Experten im italienischen Nationallabor Gran Sasso tief in einem Berg in den Abruzzen nach den Teilchen der Dunklen Materie. „Wir wissen, dass Dunkle Materie zwar ungefähr 80 Prozent der Materie im Universum ausmacht, aber nicht, woraus sie genau besteht“, erklärt Christian Weinheimer. Seine Lieblingsteilchen, die Neutrinos, sind ein kleiner Teil davon, aber der Hauptteil besteht aus einer neuen Sorte von Teilchen, vermuten die Physiker.

Beide Experimente verschieben die Grenzen des Wissens und setzen Technik ein, die nirgendwo zu kaufen ist. Wer seine Abschlussarbeit bei Christian Weinheimer schreiben möchte, sollte daher die Bereitschaft mitbringen, neue Wege zu gehen und zu tüfteln. Einige der in den Experimenten eingesetzten Apparaturen und Technologien sind „Made in Münster“ – Pionierarbeit, die für den einen oder anderen Weltrekord steht, konzipiert und gebaut am Institut für Kernphysik. Aber nicht nur die Apparaturen, auch diverse von den Münsteranern entwickelten Analyse- und Messmethoden verbessern die Empfindlichkeit der Experimente deutlich, darauf ist Christian Weinheimer besonders stolz. Teils finden sie inzwischen auch in anderen Experimenten Anwendung, zum Beispiel am Forschungszentrum GSI/FAIR in Darmstadt und bei der Entwicklung neuer Detektoren in der Medizintechnik.

„Wissenschaftliche Neugierde ist meine Triebfeder, Kreativität mein Rezept“, betont Christian Weinheimer, der 2004 nach Stationen in Mainz, am CERN und in Bonn einem Ruf an die Universität Münster folgte. Seine Gruppe hat für das XENONnT-Experiment zwei kryogene Destillationsanlagen konzipiert und gebaut, die Spuren der Edelgase Krypton und Radon aus dem Gas Xenon entfernen können. Bestimmte radioaktive Isotope dieser Gase verursachen Signale, die die Messungen empfindlich stören können. Für das Nachfolge-Experiment will das Team die Reduktion der Edelgas-Isotope noch einmal deutlich verbessern und Methoden entwickeln, um die übrigbleibenden extrem geringen Spuren der Gase messen zu können. Eine Konzentration von nur einem Radon-Atom unter 100 Mol Xenon zu erreichen ist das Ziel – das ist weit jenseits dessen, was als chemisch rein gilt, und ist nach heutigem Stand unmöglich. Dafür erhielt Christian Weinheimer einen „ERC Advanced Grant“ des Europäischen Forschungsrats. Zu seinen neuesten Projekten zählt ein mithilfe von Kollegen aus der Nanophysik mikrostrukturierter Elektron-Detektor, um ein durch Radonzerfälle verursachtes Störsignal beim KATRIN-Experiment zu entfernen.

Christian Weinheimers erstes Studienfach war die Mathematik. Erst später machte er sein zweites Fach Physik zum ersten. Damals ging es um die Quantenphysik, und die fasziniert ihn bis heute. Seine Liebe zur Mathematik ist gleichwohl geblieben. „Die Fähigkeit, analytisch zu denken und komplexe Systeme mathematisch zu beschreiben, hilft mir als Experimentalphysiker enorm“, sagt der Vater dreier erwachsener Kinder.

Neben Forschung, Lehre, internationalen Gremienaktivitäten und anderen Aufgaben schlüpft der Hochschullehrer, der ursprünglich wie seine Eltern Lehrer werden wollte, manchmal in eine andere Rolle: Mit seiner Frau engagiert er sich ehrenamtlich in einer evangelischen Kirchengemeinde in Münster. „Dabei kümmere ich mich vor allem um technische Dinge, manchmal bin ich eine Art Hausmeister. Wenn handwerkliches Geschick oder technisches Verständnis gefragt sind oder einfach nur Tische zu schleppen sind, bekomme ich das hin“, sagt Christian Weinheimer und lacht. „Mich erdet das – bei diesen Gelegenheiten bin ich mal nicht der Professor.“

Christliche Werte sind ihm wichtig, und er kann sie gut auf seinen Beruf übertragen. Es geht darum, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen, Multiplikator zu sein, Studierende und Doktoranden auf einem entscheidenden Stück ihres Lebensweges zu stärken – und daneben der Natur noch das eine oder andere Geheimnis zu entlocken.

Autorin: Christina Hoppenbrock

 

Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 1, 31. Januar 2024.

 

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