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Münster (upm/ap).
Am 10. Dezember ist der Tag der Tierrechte.<address>© HaywireMedia - stockadobe.com</address>
Am 10. Dezember ist der Tag der Tierrechte.
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„Der Umgang mit Tieren wird politisch neu diskutiert“

Tag der Tierrechte: Politikwissenschaftlerin Svenja Ahlhaus über politische und gesellschaftliche Entwicklungen

Den Tag der Menschenrechte gibt es seit 1984, seit 1998 ist der 10. Dezember zudem der Internationale Tag der Tierrechte. Die Politikwissenschaftlerin Prof. Dr. Svenja Ahlhaus von der Universität Münster erläutert im Interview mit Anke Poppen die Bedeutung von Tierrechten und schildert, wie Tiere politisch repräsentiert werden können.

Was ist der Unterschied zwischen Tierschutz und Tierrechten?

Bei Tierschutz geht es darum, Tierleiden zu vermeiden oder zu verringern, etwa bei der Haltung von Nutztieren. Es wird nicht grundsätzlich infrage gestellt, dass Menschen Tiere für sich nutzen. Der Fokus liegt auf Regulation, zum Beispiel: Wie groß ist der Stall? Tierrechte greifen weiter: Hier geht es um individuelle Rechtsansprüche wie den grundlegenden Schutz vor Gewalt oder einer Tötung. Damit sind Tierrechte radikaler und stellen unseren Umgang mit Tieren grundsätzlich auf den Prüfstand.

Sind damit Tierrechte, wie der Begriff nahelegt, vor Gericht einklag- und durchsetzbar?

Tierrechte können einerseits moralische Rechte und andererseits juridische Rechte bezeichnen. Mit dem Tag der Tierrechte ist die Forderung nach einklagbaren Rechten verbunden. Die Überzeugung, dass Tieren moralische Rechte zustehen, also etwa ihre Empfindungsfähigkeit berücksichtigt wird, ist inzwischen weit verbreitet. Rechtliche Ansprüche von Tieren sind dagegen noch wenig entwickelt. In Deutschland steht Tierschutz als Staatsziel im Grundgesetz, Tiere gelten aber nicht selbst als rechtsfähig. Anders ist es beispielsweise in Ecuador, wo Tiere im letzten Jahr als Rechtssubjekte anerkannt wurden.

Politikwissenschaftlerin Prof. Dr. Svenja Ahlhaus<address>© privat</address>
Politikwissenschaftlerin Prof. Dr. Svenja Ahlhaus
© privat

Ohnehin scheint es bei der politischen Repräsentation von Tieren mehr Bewegung zu geben ...

Seit einigen Jahren gibt es eine neue Diskussion über den Umgang mit Tieren in Demokratien. Bis heute ist die Annahme verbreitet, dass Tiere nicht politisch repräsentiert werden können. Natürlich können Tiere nicht selbst für sich sprechen und ihre politische Vertretung nicht selbst wählen. In der politischen Theorie setzt sich ein breiteres Verständnis von Repräsentation durch, das etwa die informelle Ernennung von Repräsentantinnen und Repräsentanten durch Dritte oder die Idee der selbst ernannten Repräsentanten einschließt. Auch bei der Repräsentation von Menschen haben wir es übrigens mit einem komplexen Zusammenspiel politischer Institutionen zu tun.

Wie kann die politische Repräsentation von Tieren denn konkret aussehen?

Tierschutzparteien gibt es schon lange, ohne dass sie bislang eine bedeutende Rolle im politischen System gespielt haben. Seit dem letzten Sommer haben wir in Deutschland eine Bundestierschutzbeauftragte. Diese Einrichtung auf Bundesebene steht für einen institutionellen Wandel: Erstmals gibt es eine Institution, die sich als ,Stimme der Tiere‘ versteht. Drittens setzen sich diverse Nicht-Regierungsorganisationen für die Rechte und Interessen von Tieren ein. Zusammen repräsentieren diese Akteure bereits Tiere. Aber es gibt noch viel Luft nach oben, die effektive politische Repräsentation von Tieren steht erst am Anfang. Daher werden auch weitreichendere Vorschläge diskutiert, wie etwa reservierte Sitze im Parlament für Vertreterinnen und Vertreter von Tieren.

Wie kam es zu diesem ‚political turn‘ im Mensch-Tier-Verhältnis, und was bedeutet das genau?

Der ,political turn‘ steht für einen neuen, politischeren Blick auf Mensch-Tier-Verhältnisse. Schon seit dem 19. Jahrhundert wird in der Tierethik diskutiert, wie Tiere vor unnötigem Leid geschützt werden können. Jetzt stehen genuin politische Fragen im Zentrum: Kann man sagen, dass Tiere regiert werden? Können Tiere kooperieren? Politische Grundbegriffe wie Freiheit, Gerechtigkeit oder Ausbeutung werden auf Mensch-Tier-Verhältnisse übertragen. Eine Frage ist etwa, ob Tieren abhängig von ihrer Beziehung zu Menschen unterschiedliche Rechte zustehen. Haustiere hätten in diesem Fall andere Rechte als Wildtiere, weil sie in einer anderen Beziehung zu Menschen stehen.

Welchen Zusammenhang sehen Sie zwischen der Bedeutung von Tierrechten und der sich verschärfenden Klimakrise?

Es wächst das Bewusstsein dafür, dass unsere Art des Umgangs mit Tieren nicht nachhaltig ist. Forderungen nach besserem Umweltschutz verbinden sich jetzt häufig mit Forderungen nach durchsetzbaren Tierrechten. In Ecuador wurden Tierrechte zum Beispiel im Rahmen einer breiteren Idee von ,Rechten der Natur‘ eingeführt, die auch Rechte von Flüssen umfassen. In vielen Staaten gibt es neben ,Klimaklagen‘ strategische Klagen im Namen von Tieren. Das funktioniert aber nur, wenn Dritte im Namen von Tieren klagen dürfen. In Deutschland gibt es nur in einigen Bundesländern das Verbandsklagerecht für Tierschutzorganisationen. Weil Tiere in Parlamenten nicht ausreichend vertreten werden, sind Gerichte wichtige Orte der politischen Auseinandersetzung.

Wird die politische Repräsentation von Tieren in Zukunft mehr Gewicht bekommen?

Das ist schwierig zu beantworten. Auf der einen Seite steigt das Problembewusstsein, andererseits verschwindet der Tieraspekt angesichts der Polykrise etwas aus der Öffentlichkeit. Viele ändern ihr Konsum- und Ernährungsverhalten, andere fühlen sich durch Forderungen nach Tierrechten eingeschränkt. Diese Kontroverse rührt an unser politisches Selbstverständnis: Wie wollen wir miteinander umgehen und gehören Tiere zu diesem Wir? Aus politikwissenschaftlicher Sicht sind besonders kollektive Prozesse relevant: Wie werden verbindliche Entscheidungen über unseren Umgang mit Tieren getroffen, in welchen Institutionen, und wer wird dabei gehört? Tierpolitik betrifft grenzüberschreitende Fragen und kann nicht innerhalb von Einzelstaaten abgehandelt werden. All das bietet Stoff für weitere Forschung.

 

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