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Münster (upm/bhe).
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© Deemerwha studio/shutterstock

„Wir möchten die Wissenschaft beflügeln“

Jörg Lorenz über Open Science und den Umgang mit Forschungsdaten

Immer mehr und immer komplexere Forschungsdaten langfristig zugänglich, nachnutzbar und nachprüfbar zu halten, das ist die Aufgabe des Forschungsdatenmanagements (FDM). Jörg Lorenz koordiniert die digitalen Services der Universitäts- und Landesbibliothek (ULB) und erläutert im Gespräch mit Brigitte Heeke, worauf es beim FDM ankommt und warum Daten „fair“ sein sollten.

E-Books, PDFs und Online-Magazine: Alles wird immer digitaler – wie wird eine Publikation wohl in zehn Jahren aussehen?

Wissenschaftliche Veröffentlichungen werden künftig neben dem klassischen Text immer mehr zusätzliche Anteile enthalten, etwa Datensätze, Primärdaten oder Software. Alle digitalen Ressourcen wie Publikationen und Daten werden außerdem mithilfe eines „Persistent Identifier“ (PID) eindeutig gekennzeichnet sein – ähnlich wie bei den ISBN-Nummern für Bücher.

Lediglich mehr Speicherplatz zur Verfügung zu stellen reicht also nicht, um digitalen Anforderungen und Veränderungen gerecht zu werden, oder?

Das würde in der Tat zu kurz greifen. Die Universität Münster versteht Forschungsdaten als wissenschaftliches Werk mit entsprechend hoher Bedeutung. Dabei handelt es sich um alle Daten, die im Forschungsprozess gesammelt, erhoben, simuliert oder abgeleitet werden. Der wissenschaftsgerechte und verantwortungsvolle Umgang damit ist für die Gewinnung, Verbreitung und Nachvollziehbarkeit wissenschaftlicher Erkenntnisse grundlegend. Ein frühzeitig festgelegtes und umfassendes FDM inklusive Datenmanagementplan hilft dabei.

Inwiefern?

Jörg Lorenz ist stellvertretender Direktor der ULB. Der Diplom-Ingenieur für Elektrotechnik leitet in der ULB das Stabsreferat Wissenschaft und Innovation.<address>© Uni MS - Julia Harth</address>
Jörg Lorenz ist stellvertretender Direktor der ULB. Der Diplom-Ingenieur für Elektrotechnik leitet in der ULB das Stabsreferat Wissenschaft und Innovation.
© Uni MS - Julia Harth
Es soll von der Planung und Durchführung für die Generierung und Erfassung über die Verarbeitung bis hin zur Verwendung und Aufbewahrung der Forschungsdaten reichen. Gerade gründet die Universität das ,Münster Center for Open Science‘ (Mü-COS), das eng mit dem FDM verzahnt ist. Open Science adressiert ebenfalls den gesamten Forschungszyklus und soll Forschungsdaten und -ergebnisse besser zugänglich machen. Dazu zählen etwa Aspekte wie Qualität und Transparenz, Reproduzierbarkeit und Replizierbarkeit von Ergebnissen sowie Forschungskollaborationen.

Gehört das nicht ohnehin zur wissenschaftlichen Arbeit?

Open Science und FDM berühren wichtige ethische Dimensionen wissenschaftlicher Arbeit. Letztlich geht es genau darum, um eine Form der Umsetzung von guter wissenschaftlicher Praxis. Open Science hilft der Wissenschaft dabei, das Wertegerüst und die Standards, die sie sich selbst gibt, zu überprüfen.

Können Sie ein Beispiel dafür geben?

Wissenschaft soll nachvollziehbar sein. Neben der klassischen Publikation als Buch oder Fachartikel sollte es immer auch eine Veröffentlichung der gesamten erhobenen Daten geben, zum Beispiel Messdaten, Objekte aus Sammlungen oder Proben und Laborwerte. Das dient dazu, die Studie besser verstehen zu können und Ergebnisse reproduzierbar zu machen. Zudem sollen kommende Projekte nicht nur auf den publizierten Ergebnissen, sondern auf allen erhobenen Daten aufbauen können. Etwas poetischer ausgedrückt: Wir möchten die Wissenschaft beflügeln. Nach den Regeln zur ‚guten wissenschaftlichen Praxis‘ der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) sollen beispielsweise Forschungsdaten aus Projekten in der eigenen Einrichtung oder in einer fachlich einschlägigen, überregionalen Infrastruktur für mindestens zehn Jahre archiviert und möglichst offen zugänglich gemacht werden. Ausgeklammert sind natürlich Fälle, in denen es um Persönlichkeitsrechte geht, etwa bestimmte Studien aus der Medizin oder Psychologie, in denen man Betroffene schützt. Abgesehen davon müssen die Forscher in der Regel alles veröffentlichen, das ist Teil jedes Antrags bei der DFG.

Warum braucht es dafür eine zentrale Infrastruktur? Wäre es nicht auch denkbar, dass jede Arbeitsgruppe und jeder Lehrstuhl die eigenen Forschungsdaten selbst archiviert?

Die Forschungseinheiten können selbst entscheiden, auf welche Art und Weise sie das machen. Es bedeutet allerdings viel Aufwand, beispielsweise die dauerhafte Lesbarkeit der Daten technisch zu gewährleisten. Wir können vieles bündeln und so für erhebliche Entlastung sorgen, beispielsweise indem wir Daten, Software und Server auf dem aktuellsten Stand halten.

Wer einen Förderantrag für ein Forschungsprojekt plant, klopft also zunächst an Ihre Tür?

Vielleicht nicht als erstes, aber wir treffen uns am besten schon in der Antragsphase zu einem Beratungsgespräch und überlegen gemeinsam, was am besten passt. Auf Wunsch begleitet das Service Center for Data Management der ULB den Prozess oder bietet Beratung und Schulungen an. Der Antragsteller hat es bei vielen Förderlinien leichter, wenn er beim FDM einen Haken setzen kann, indem er bestätigt, dass seine Universität die benötigte Infrastruktur bereitstellt.

Wie stellt man ein gutes FDM sicher?

Etabliert haben sich die so genannten ‚FAIR‘-Prinzipien: findable (auffindbar), accessible (zugänglich), interoperable (interoperabel), also dass mit üblichen Dateiformaten gearbeitet wird, und reusable (nachnutzbar). Ziel ist es, einen offenen Austausch der Forschung zu unterstützen.

Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 7, 8. November 2023.

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