
Neugier ist ihr Motor
Eine große öffentliche Diskussionsveranstaltung im Paul-Gerhardt-Haus hatte Hannelore Wiesenack-Hauß mitorganisiert, es hätte um politische Mitbestimmung gehen sollen. Das war im Frühjahr 2021. Die Pandemie machte ihr jedoch einen dicken Strich durch die Rechnung, die Veranstaltung fiel aus. Die Richterin im Ruhestand sah sich gezwungenermaßen nach einer alternativen Beschäftigung um und fand sie an der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster. Sie schrieb sich für ein Studium im Alter ein. Neugier ist ihre Motivation. „Außerdem möchte ich im Alter nicht dösig werden“, unterstreicht die 91-Jährige. In letzter Minute habe sie sich für das Sommersemester 2021 angemeldet, ist mit Begeisterung dabei und freut sich, dass alles so gut geklappt hat.
Viermal die Woche wird sie auch im nächsten Semester in einem der Hörsäle die Vorlesungen verfolgen. Wie es sich für Münster gehört, fährt sie meist mit dem Rad zur Uni. Das Studium im Alter bietet zwar viele Freiheiten, sich einen bunt gemischten Stundenplan zusammenzustellen. Hannelore Wiesenack-Hauß achtet aber darauf, ein in sich geschlossenes Programm zu haben. Einen Schwerpunkt legt sie auf die Geologie und die politische Geographie. Zudem belegt sie Veranstaltungen zur Kolonialgeschichte. In eine Vorlesung über die Geschichte des römischen Rechts hat sie es bisher noch nicht geschafft. „Es war zu voll“, bedauert sie, „und ich möchte den jüngeren Studierenden keinen Platz wegnehmen.“ Obwohl sie lieber im Hörsaal dabei ist, nimmt sie manchmal auch von ihrem heimischen Rechner aus teil, sofern die Veranstaltung auch online übertragen wird.
Zu den Vorlesungen liest Hannelore Wiesenack-Hauß die wichtigste Literatur. Für „Humangeographie“ kann sie die Bücher ihrer Enkelin nutzen. „Sie hat die Vorlesung letztes Jahr belegt“, schmunzelt die pensionierte Richterin, die zwei erwachsene Kinder hat. Bis 1996 arbeitete sie am Landessozialgericht Essen. Mit ihrem zweiten Mann zog sie nach Münster und engagierte sich in der Lokalpolitik, in verschiedenen Bürgerinitiativen und als Ratsfrau für die Unabhängige Wählergemeinschaft (UWG). Besonders Formate zur Bürgerbeteiligung liegen ihr am Herzen. Ihr Bücherregal im Arbeitszimmer verrät, dass sie über ihr Studium und ihr politisches Engagement hinaus viele Romane liest. „Einmal in der Woche arbeite ich in einem Literaturkreis“, erläutert sie. „Dort sind alle über 80 Jahre alt. Wir nehmen uns alle 14 Tage ein neues Buch vor, im Moment lesen wir ,Neuleben‘ von Katharina Fuchs.“
Wenn Hannelore Wiesenack-Hauß das Jurastudium in ihrer Berliner Heimat vor vielen Jahren mit heute vergleicht, fällt ihr vor allem eine andere Atmosphäre auf. „Heute sind die Professoren lockerer als früher – sowohl äußerlich als auch in ihrer Art, wie sie mit den Studierenden umgehen.“ Ungewohnt war für sie zu Beginn auch die Länge der Veranstaltungen. Früher habe eine Vorlesung nur 45 Minuten gedauert. „Heute ist es das Doppelte – daran musste ich mich erst gewöhnen.“
Studium im Alter
Das „Studium im Alter“ ist ein wissenschaftliches Weiterbildungsangebot für wissbegierige Personen im mittleren und höheren Erwachsenenalter. Unabhängig vom Schulabschluss und ohne Bindung an Studien- und Prüfungsordnungen können die Teilnehmer als Gasthörer universitäre Lehrveranstaltungen besuchen, die die Dozenten für das „Studium im Alter“ freigegeben haben. Einen akademischen Abschluss können sie nicht erwerben. Das „Studium im Alter“ erlaubt eine an den individuellen Interessen orientierte, flexible Gestaltung. 1.300 Studierende im Alter waren im Sommersemester an der WWU eingeschrieben, darunter genauso viele Frauen wie Männer. Das Durchschnittsalter beträgt gut 66 Jahre. „Es gibt aber kein Höchst- oder Mindestalter“, betont Dr. Veronika Jüttemann von der Kontaktstelle Studium im Alter (StudiA). Die beliebtesten Fächer bei den Studierenden im Alter sind die evangelische und katholische Theologie sowie Geschichte und Kunstgeschichte. Eine Ringvorlesung beleuchtet jedes Semester ein anderes Thema aus verschiedenen fachlichen Blickwinkeln, im Wintersemester geht es um „Vertrauen“. Welche Seminare oder Vorlesungen darüber hinaus für ein Studium im Alter infrage kommen, geht aus dem Vorlesungsverzeichnis hervor, das online auf den Seiten der Universität sowie in gedruckter Form in Buchhandlungen in der Region erhältlich ist. Pro Semester fällt eine Gebühr von derzeit 125 Euro an. Eine Anmeldung für das Wintersemester ist ab sofort bis Ende September möglich.
Zur Semester-Eröffnung lädt die Kontaktstelle StudiA am 25. September (Montag) ab 10 Uhr alle Interessierten in den Hörsaal H1 am Schlossplatz 46 ein. Passend zum aktuellen Wissenschaftsjahr „Unser Universium“ hält Prof. Dr. Harald Hiesinger vom Institut für Planetologie einen öffentlichen Vortrag über „Planetenforschung – Kontext und Perspektiven für die Erde“.