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Münster (upm/kk).
Ameisen tragen zur Artenvielfalt bei, indem sie beispielsweise Samen verteilen. Außerdem unterstützen sie das Gleichgewicht der Natur, indem sie Schädlinge vertilgen.<address>© Unsplash - Prabir Kashyap</address>
Ameisen tragen zur Artenvielfalt bei, indem sie beispielsweise Samen verteilen. Außerdem unterstützen sie das Gleichgewicht der Natur, indem sie Schädlinge vertilgen.
© Unsplash - Prabir Kashyap

Geoinformatiker erforschen das Navigationsverhalten von Wüstenameisen

Neue KI-Methode ermöglicht die präzise Untersuchung von Insekten in ihrer natürlichen Umgebung

Geoinformatiker der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster haben gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen der Universitäten Sheffield, Toulouse und Edinburgh eine neue Methode basierend auf Künstlicher Intelligenz (KI) entwickelt, mit der sie Insekten in ihrer natürlichen Umgebung präzise untersuchen. Die Methode wurde am Beispiel von Wüstenameisen angewandt, um zu verstehen, wie diese Insektenart in ihrer Umgebung nach Futter sucht, Orte wiedererkennt und den Weg zurück zum Nest findet.

Mithilfe eines Datensatzes von 151 Videos, in dem einzelne Ameisen vom Verlassen ihres Nestes auf der gesamten Futtersuche verfolgt wurden, hat das Forschungsteam neue Erkenntnisse über das Verhalten der Ameisen entdeckt: Die Insekten lernen sehr schnell und prägen sich die Route zurück zum Nest nach nur einer erfolgreichen Wegstrecke ein. Zudem entwickeln die Ameisen verschiedene Wegstrecken über die Zeit, was darauf hindeutet, dass die Tiere unterschiedliche Strategien zur Erkundung ihrer Umgebung verwenden. Außerdem ermöglicht die hohe Präzision des Verfahrens, sogenannte oszillierende Bewegungen der Ameisen zu untersuchen, die für das menschliche Auge nahezu unsichtbar sind. Die Studienergebnisse sind in dem Fachmagazin Science Advances veröffentlicht.

Zum Hintergrund und Methodik

Es gibt viele Theorien über das Navigationsverhalten von Wüstenameisen, die teilweise auf subjektiven und qualitativen Auswertungen beruhen, oder die bisher nur in kontrollierten Laborbedingungen nachgewiesen werden konnten. Beispielsweise wurden Ameisen in ihrer natürlichen Umgebung händisch mit Stift und Papier, oder mit Hilfe von GPS-Sensoren, die jemand präzise über der Ameise halten musste, untersucht. Die Stift- und Papier-Methodik ist fehleranfällig und häufig nicht objektiv genug, akkurate GPS-Systeme sind teuer, müssen kalibriert werden und haben eine häufig nicht ausreichende zeitliche Auflösung. Das führt dazu, dass kleine, für das menschliche Auge kaum sichtbare Bewegungsmuster, nicht erfasst werden. „Unsere Methode ist kostengünstig und benötigt nur eine frei bewegliche (Handy-)Kamera, die über die Ameisen gehalten wird. Insgesamt haben wir 1,8 Millionen Bilder ausgewertet. Durch ein Tracking-Verfahren, das auf KI basiert und einer simultanen Rekonstruktion der Umgebung – in Form eines sogenannten Panoramas –, können Tiertrajektorien, also die Verbindungslinien aller Orte, an denen die Ameisen waren, in hoher zeitlicher Auflösung auf die Rekonstruktion überlagert werden. In anderen Worten: Das Insekt kann sich frei bewegen, mit der eigenen Welt interagieren und eigene Routen in seinem natürlichen Habitat erschließen“, sagt Erstautor der Studie Lars Haalck vom Institut für Geoinformatik der Universität Münster.

Bislang gingen Experten davon aus, dass alle Ameisen sogenannte „Learning Walks“ machen, in denen sie sich während der ersten Ausflüge nur nahe ihrem Nest aufhalten und erst danach eine weitere Futtersuche anstreben. „Wir konnten zeigen, dass dies nicht für alle Ameisen in unserem Datensatz galt. Die neue Methode könnte nun genutzt werden, um Fragen zum biologischen Verhalten der Ameisen gezielt und quantifizierbar zu beantworten“, erklärt Lars Haalck.

Der große Vorteil der Methode ist, dass sie für unterschiedliche Fragestellungen und Tiere genutzt werden kann. Beispielsweise für Säugetiere, die mittels Drohnen gefilmt werden. So können unter anderem Verhaltensbiologen die präzisen Daten nutzen, um Nahrungssuche, Wanderung und Paarungsverhalten zu verstehen.

Neben biologischen Aspekten, sind die Erkenntnisse auch für die Robotik von Interesse. Aus dem Verhalten der Insekten können beispielsweise neue Navigationsalgorithmen abgeleitet werden, damit Roboter in unbekannten Regionen effizienter navigieren können. Insbesondere im Kontext des gegenwärtig grassierenden Insektensterbens sind neue Methoden, welche das Studium dieser Tiere in ihrem natürlichen Habitat ermöglichen, von großer Bedeutung. „Wir sind im Unterschied zu größeren Wirbeltieren, welche mittels teurer Hardware und komplexer Software im großen Maßstab erfasst werden, für etwaige Verhaltensmuster von Insekten nahezu unwissend. Da Insekten jedoch von unschätzbarem Wert für unser Ökosystem sind und deren Verhalten maßgeblich für die Lebensmittelproduktion und Instandhaltung unserer Flora und Fauna von Bedeutung ist, ist ein besseres Verständnis dieser Arten sehr wichtig“, betont Prof. Dr. Benjamin Risse, Leiter der Studie und der Gruppe „Computer Vision and Machine Learning Systems“ an der Universität Münster. Die neu entwickelte Methode ist ein wichtiger Schritt, um diese Forschungslücken zu schließen.

Die Studie erhielt finanzielle Unterstützung durch das Human Frontier Science Program, die Heinrich Böll Stiftung, der European Research Council, dem Marie Sklodowska-Curie Actions Programm, der Fyssen Foundation sowie der Biotechnology & Biological Sciences und Engineering & Physical Sciences Research Councils.

 

Originalpublikation

Lars Haalck et al. (2023): CATER: Combined Animal Tracking & Environment Reconstruction. Science Advances. DOI:10.1126/sciadv.adg2094

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