|
Münster (upm/bhe).
Die Kunst- und Bildwissenschaftlerin Prof. Dr. Ursula Frohne untersucht, wie zeitgenössische Kunst den Blick als Macht- und Kontrollinstrument inszeniert. Ein Beispiel dafür ist die Bushaltestelle vor dem Englischen Seminar, die der amerikanische Künstler Dennis Adams für die „Skulptur Projekte“ 1987 gestaltet hat.<address>© WWU - Peter Leßmann</address>
Die Kunst- und Bildwissenschaftlerin Prof. Dr. Ursula Frohne untersucht, wie zeitgenössische Kunst den Blick als Macht- und Kontrollinstrument inszeniert. Ein Beispiel dafür ist die Bushaltestelle vor dem Englischen Seminar, die der amerikanische Künstler Dennis Adams für die „Skulptur Projekte“ 1987 gestaltet hat.
© WWU - Peter Leßmann

Der Blick als Machtinstrument

Teil 2 der Serie „Sinn-voll“: Das Sehen ist Ursprung und Motor der Kunstgeschichte

Perspektive, Blick, Betrachtung: Schon wie Kunsthistoriker über ihr Fach sprechen zeigt, welcher der fünf Sinne essenziell für ihre Arbeit ist. „Das genaue, vergleichende Sehen ist unsere Hauptmethode“, unterstreicht Prof. Dr. Ursula Frohne, „es ist der Ursprung unseres Fachs.“ Zum Beispiel das perspektivische Malen. Im 15. Jahrhundert wurde es in der westlichen Kunst üblich, dreidimensionale Objekte auf einer zweidimensionalen Fläche so abzubilden, dass sie einen räumlichen Eindruck erwecken und somit dem menschlichen Sehen entsprechen. Auf diese Art weist das Bild über seine eigene, beschränkte Leinwand hinaus.

„Wir schauen nicht nur, wie man früher und heute malt“, betont Ursula Frohne, „sondern wir berücksichtigen die stilistische Entwicklung und den gesellschaftlichen Kontext.“ In ihrer Forschung interessiert sich die Professorin für Kunstgeschichte mit dem Schwerpunkt „Moderne“ besonders für den Einfluss von politischen, gesellschaftlichen und sozialen Entwicklungen auf die Kunst. Als Bildwissenschaftlerin bezieht sie Darstellungen aus dem Alltag ein. „Sehen ist Macht“, sagt die Kunsthistorikerin, „das hat eine lange Tradition.“ Als Beispiel nennt sie das „göttliche Auge“ in religiösen Malereien, das häufig ganze Werke überstrahlt. Die Botschaft dahinter: Die Gläubigen sollten Wohlverhalten zeigen, um am jüngsten Tag auf der richtigen Seite zu stehen.

„Das Konzept des Blicks als Macht- und Kontrollinstrument ist in unserer westlichen Kultur tief verankert, es hat sogar Zugang in die Architektur gefunden,“ erläutert die Wissenschaftlerin. Manche Gefängnisse seien beispielsweise so gebaut, dass die Zellen von einer zentralen Stelle aus jederzeit einsehbar waren – wie die Justizvollzugsanstalt an der Gartenstraße in Münster. „Das sogenannte Panoptikum mag uralt sein, ist aber bis heute wirksam, denken Sie nur mal an Überwachungskameras an öffentlichen Plätzen. Auch davon erhoffen sich die Menschen, dass Regeln eingehalten und die gesellschaftliche Ordnung gewahrt werden.“ Vorauseilend habe der Betrachter bereits verinnerlicht, dass er beobachtet wird. Die zeitgenössische Kunst greift dieses Thema regelmäßig auf. „Der amerikanische Künstler Bruce Naumann, den wir in Münster von den ,Skulptur Projekten‘ kennen, hat schon vor 40 Jahren beklemmende ,Überwachungskorridore‘ konstruiert.“ Besucher konnten ihre eigenen Videobilder live mitverfolgen. „Das macht etwas mit einem“, sagt Ursula Frohne. „Man erfährt sich daran, und dass man gesehen wird.“ Das Ganze sei mit popkulturellen Formaten wie „Big Brother“ gekippt. Rund um die Uhr verfolgten Fernsehzuschauer das Leben der Showteilnehmer. „Mittlerweile kann mit Selfies und YouTube-Clips jeder selbst zum Produzenten werden.“

Wir schauen heute mehr auf Displays als auf die Realität.
Prof. Dr. Ursula Frohne
Andere Menschen zu beobachten war wohl immer schon ein dankbares Motiv. „Der italienische Maler Francesco Hayez zeigte im 19. Jahrhundert die biblische ,Susanna im Bade‘ so, dass die Betrachter die Schulter der jungen Frau sahen“, beschreibt Ursula Frohne. „Sie bemerkt das und schaut sich um. Alfred Hitchcock wählte 1960 die gleiche voyeuristische Perspektive in seinem Film ,Psycho‘ und verstärkte diese Anspielung, indem als Requisite ein ,Susanna‘-Gemälde zu sehen ist.“ Die Kunsthistorikerin untersucht diesen Zusammenhang zwischen dem fremden Blick und physischer Gewalt. „Es gibt viele Werke, die das ,Erkanntwerden‘ aufgreifen, etwa die Selbstporträts der amerikanischen Fotografin Cindy Sherman, in denen sie klischeehaft bestimmte Frauentypen inszeniert.“

In jüngster Zeit gab es der Bildwissenschaftlerin zufolge gravierende Veränderungen im Sehen. „Die allgegenwärtige Werbung, aber auch Filme und die Verfügbarkeit von Fotos haben die visuelle Kultur massiv erweitert.“ Seit den 1990er-Jahren spreche man von einem „iconic/visual turn“, die Wende vom Wort zum Bild. „Anfang der 1990er ist die Fachrichtung Bildwissenschaft entstanden – als eine Reaktion auf eine zunehmend von Bildern beherrschte Alltagskultur.“ Dabei sei das Sehen auch von den technischen Geräten geprägt: „War es seit dem 19. Jahrhundert die Fotografie, die eine neue visuelle Kultur geprägt hat, so schauen wir heute mehr auf Displays als auf die Realität.“ Künftig werde das Sehen immer häufiger von Maschinen übernommen, wodurch neue Herausforderungen für die Bildforschung entstehen, so Ursula Frohne. „Maschinen sehen aber anders als Menschen und nur, was vorher in das System gefüttert wurde.“

Welcher menschliche Sinn gerade gesellschaftlich Konjunktur hat, das hängt Ursula Frohne zufolge vom medialen und kulturellen Funktionswandel in der Produktion und Rezeption von Bildern ab und wird stets neu verhandelt. „Es ist spannend zu schauen, wie es weitergeht. Vielleicht bekommen wir bald einen ,acustic turn‘, zumindest scheint sich dieser Trend im Mediengebrauch der jungen Generation mit ihren Sprachnachrichten und dem Boom von Podcasts im Moment anzudeuten.“ Ob es die Gestaltung von Werbeplakaten ist oder das Ablesen von Machtverhältnissen an Details der Stadtarchitektur: Ihre Studierenden möchte sie genau dafür sensibilisieren, künstlerische und Alltagsphänomene mit geschultem Blick zu erfassen und die politische Bedeutung der Erzeugung von Sichtbarkeit und Unsichtbarmachung in der visuellen Kultur zu erkennen.

Autorin: Brigitte Heeke

 

Die Serie „Sinn-voll“:

<address>© WWU - Designservice</address>
© WWU - Designservice
Sehen, hören, tasten, schmecken und riechen: Die fünf Sinne sind im Alltag wichtig, aber sie spielen auch in der Wissenschaft eine zentrale Rolle. Zum einen dienen sie als Mittel zur Erkenntnis, andererseits sind sie mitunter Gegenstand der Forschung. Wir stellen Ihnen in dieser Serie einige Orte an der Universität vor, an denen Sinneseindrücke im Mittelpunkt stehen.

 

Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 3, 3. Mai 2023.

Links zu dieser Meldung