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Münster (upm/ch).
Privatdozent Dr. Saeed Amirjalayer (v. l.), Prof. Dr. Harald Fuchs und Privatdozent Dr. Harry Mönig am Rasterkraftmikroskop im CeNTech. Mit dem Gerät lassen sich unterschiedliche Atome identifizieren.<address>© Münster University - Peter Leßmann</address>
Privatdozent Dr. Saeed Amirjalayer (v. l.), Prof. Dr. Harald Fuchs und Privatdozent Dr. Harry Mönig am Rasterkraftmikroskop im CeNTech. Mit dem Gerät lassen sich unterschiedliche Atome identifizieren.
© Münster University - Peter Leßmann

Wo die Disziplinen verschwimmen

Die traditionell getrennten Fächer Chemie und Physik sind in der Nanotechnologie miteinander verzahnt

Der Grenzbereich zwischen Physik und Chemie liegt irgendwo im ganz Kleinen, im Nanobereich. Dort, wo Moleküle miteinander reagieren und die Gesetze der Quantenmechanik gelten. Diesen Bereich macht der Physiker Dr. Harry Mönig im Center for Nanotechnology (CeNTech) sichtbar: mit einem Rasterkraftmikroskop und einer eigens von ihm und einem münsterschen Team perfektionierten Technik. Dabei tastet eine atomar feine Mess-Spitze aus Kupfer die Probenoberfläche ab; ein Sauerstoffatom an der Spitze verhindert unerwünschte Wechselwirkungen. Mit dieser Methode lassen sich Moleküle, ihre Strukturen und Netzwerke sowie die Wechselwirkungen zwischen den Molekülen analysieren. Selbst unterschiedliche Atome können die Physiker identifizieren.

„Wir untersuchen zum Beispiel Metalloxid-Oberflächen, die in der Katalyse-Chemie extrem wichtig sind. Wir wollen im Detail verstehen, wo und wie chemische Reaktionen dort auf atomarer Ebene ablaufen“, berichtet Harry Mönig, der in verschiedenen Forschungsprojekten zur Oberflächenchemie mit Chemikern zusammenarbeitet. Er war an einer Untersuchung beteiligt, mit der sogenannte Einzelatom-Katalysatoren mit atomarer Auflösung charakterisiert und auf ihre elektrochemischen Eigenschaften hin untersucht werden können. Katalysatoren spielen bei zahllosen chemischen Reaktionen eine zentrale Rolle. Sie ermöglichen unter anderem in Brennstoffzellen die Umwandlung von chemischer Energie in Strom. In welchem Fach forscht Harry Mönig denn nun – in der Chemie oder der Physik? „Das kann ich nicht sagen“, antwortet er.

Zu den Pionieren an der Grenze zwischen Chemie und Physik gehört der Physiker Prof. Dr. Harald Fuchs, Leiter der Arbeitsgruppe Nano- und Grenzflächenphysik der Universität Münster und wissenschaftlicher Direktor am CeNTech. Der Seniorprofessor gestaltete ab Mitte der 1980er-Jahre die sich damals anbahnenden ersten Kooperationen zwischen Chemie- und Physikarbeitsgruppen im Bereich der Nanowissenschaften in Europa mit – zunächst als Gruppenleiter in der BASF. Dort etablierte er in Pionierarbeit die Rastertunnelmikroskopie, um molekulare Systeme zu untersuchen – eine der weltweit ersten Anwendungen der damals neuen Methode. Auch an der Universität Münster, an der er seit 1993 lehrt und forscht, kooperiert er eng mit mehreren Arbeitsgruppen aus der Chemie, darunter vor allem die Gruppen der Professoren Dr. Gerhard Erker, Dr. Armido Studer und Dr. Frank Glorius.

„Wir arbeiten insbesondere im Bereich der chemischen Oberflächenreaktionen. Wir können chemische Verbindungen erzeugen und sichtbar machen, die mit klassischen Verfahren im Reagenzglas oder in der Gasphase nicht herstellbar sind“, berichtet Harald Fuchs. „Mit unseren physikalischen Verfahren und neuen theoretischen Methoden können wir dem Verlauf derartiger Reaktionen gewissermaßen ‚zusehen‘ und selbige im Detail verstehen. So können wir neue Entwicklungswege für die Synthese und neuartige funktionale Eigenschaften aufzeigen.“ Beispiele seien die Herstellung von bestimmten ansonsten kompliziert zu synthetisierenden Polymeren oder die energiesparende Aktivierung von – häufig reaktionsträgen – Kohlenstoff-Wasserstoff-Bindungen. „Auch die Erzeugung von organometallischen Verbindungen, die in der Lage sind, ohne weitere äußere Beeinflussung die atomare Struktur von bestimmten Oberflächen gezielt umzubauen, ist möglich“, schildert Harald Fuchs.

Chemie oder Physik? Vielleicht kann man tatsächlich keine klare Grenze ziehen. Zu dem Schluss kommt jedenfalls Physikochemiker Dr. Saeed Amirjalayer. Auch sein Steckenpferd sind Prozesse, die im Nanobereich ablaufen – und die Frage, wie sich diese Prozesse steuern lassen. Ihn interessiert, wie man Funktionsmaterialien an- und ausschalten kann. Wann ist ein Molekül katalytisch aktiv und wann nicht? Wann leuchtet es, wann nicht? Wie kann man eine molekulare Maschine so steuern, dass sie Wirkstoff gezielt abgibt? Saeed Amirjalayer entwickelt theoretische Methoden und wendet diese an, um molekulare Prozesse in den sogenannten responsiven Funktionsmaterialien am Computer zu simulieren. Dabei steht er im engen Austausch mit Experimentatoren beider Disziplinen, er arbeitet auch mit Harald Fuchs und Harry Mönig seit Jahren zusammen. „Wir haben in einem interdisziplinären Team gezeigt, dass sich die chemischen Eigenschaften – und somit die chemische Reaktivität – eines Moleküls ändern kann, wenn man an ihm zieht. In diesem Fall wirken die physikalischen Zugkräfte ähnlich wie ein Katalysator.“ Saeed Amirjalayer unterstreicht: „Diese Ergebnisse verdeutlichen nochmal, dass es für die meisten Fragen keine klare Grenze zwischen Chemie und Physik gibt und daher eine engere Zusammenarbeit zwischen den Disziplinen entscheidend ist.“

 

Hintergrund:

An der Universität Münster forschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den Natur- und Lebenswissenschaften im Bereich der Nanowissenschaften gemeinsam. Das Center for Nanotechnology (CeNTech), eine gemeinsame Einrichtung der Universität und der Stadt Münster, bietet mit Büro- und Laborflächen die Infrastruktur für die Zusammenarbeit zwischen Angehörigen der Fakultäten Chemie und Pharmazie, Physik, Biologie und Medizin. Auch im Center for Soft Nanoscience (SoN) der Universität Münster wird diese interdisziplinäre Zusammenarbeit sichtbar. Dort sind 28 Arbeitsgruppen aus den Natur- und Lebenswissenschaften untergebracht.

 

Autorin: Christina Hoppenbrock

Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 3, 3. Mai 2023.

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