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Münster (upm/kk).
<address>© WWU - Robert Matzke</address>
© WWU - Robert Matzke

Akademische Freiheit in Gefahr

Russland, China, Syrien: Wie die WWU mit „schwierigen“ Partnerländern und Diktaturen umgeht

Die globalen Herausforderungen unserer Zeit wie beispielsweise der Klimawandel, Kriege oder die Coronapandemie kann kein Land im Alleingang lösen. Wissenschaftliche Kooperationen und Allianzen sind für den Umgang mit diesen Problemen unerlässlich und bilden die Grundlage für faktenbasierte Erkenntnisse sowie für eine auswärtige Kultur- und Bildungspolitik. Für die meisten Universitäten ist die internationale Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen rund um den Globus daher eine Notwendigkeit sowie in aller Regel schon lange eine Selbstverständlichkeit. Allein die Universität Münster ist derzeit an über 550 Partnerschaftsabkommen beteiligt.

Doch nicht erst der Krieg in der Ukraine hat gezeigt, dass kritische, unabhängige Universitäten durch autokratische und diktatorische Führungen ernsthaft bedroht sind – auch Myanmar, der Iran, Afghanistan und Syrien zeugen davon. Mit der Folge: Wissenschaftliche Kooperationen sind in Gefahr oder rechtlich sogar untersagt. So hat etwa die Bundesregierung die Wissenschaftsbeziehungen zu Russland seit dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine eingefroren.

Ob es um Fragen der allgemeinen Sicherheitslage, der Rechtsstaatlichkeit oder der politischen Einflussnahme auf den Wissenschaftsbetrieb geht, die Zeiten wachsender Instabilitäten nehmen weltweit zu. „Forschung und Bildung sind wichtige Säulen für die Völkerverständigung und Demokratie. Daher plädieren wir im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten dafür, keine generellen Verbote auszusprechen. Im Gegenteil: Kooperationen mit einzelnen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sollten so lange es geht fortgeführt werden – egal wie schwierig die jeweilige Situation ist“, betont Prof. Dr. Michael Quante, Prorektor für Internationales, Transfer und Nachhaltigkeit der Universität Münster. So hat die WWU die Kooperation zu Brasilien auch unter der rechtspopulistischen Regierung von Jair Bolsonaro aufrechterhalten.

Im jüngst veröffentlichten „Academic Freedom Index“ der Universitäten Erlangen-Nürnberg und Göteborg beschreiben die Autoren, dass die akademische Freiheit für mehr als 50 Prozent der Weltbevölkerung auf dem Rückzug ist. Der Index umfasst unter anderem Indikatoren zur Freiheit der Forschung, Lehre und des akademischen Austausches sowie zur institutionellen Autonomie der Universitäten. In 22 Ländern hat sich demnach die Lage verschlechtert – etwa in Russland, Indien, China und der Türkei. „Mit wem unsere Forscher zusammenarbeiten, liegt letztlich in ihrer eigenen Verantwortung. Sie sollten ein Problembewusstsein dafür entwickeln, mit welchen Partnern Kooperationen wichtig und richtig sowie ethisch vertretbar sind“, erläutert Michael Quante. Bei vielen rechtlichen Fragen, zum Beispiel zum Umgang mit sicherheitsrelevanter Forschung, berät und unterstützt die Universität Münster ihre Beschäftigten.

In einer Welt mit etwa 200 Staaten und deren unterschiedlichen kulturellen Identitäten, Rechtsordnungen und Wertevorstellungen müssen die Politik und die Wissenschaft realistische Beziehungen pflegen. Wie dies gelingen kann, fragen sich viele Wissenschaftler hierzulande, denn jeder Fall ist unterschiedlich – statische „one-size-fits-all“-Ansätze helfen nicht weiter. „Im Sinne einer globalen Verantwortungsgemeinschaft plädieren wir für eine differenzierte Herangehensweise und eine Abwägung von Chancen und Risiken internationaler Wissenschaftskooperationen“, betont Christian Strowa vom „Kompetenzzentrum Internationale Wissenschaftskooperationen“ (KIWi) im Deutschen Akademischen Austauschdienst.

„Science Diplomacy“, zu Deutsch Wissenschaftsdiplomatie, lautet das Gebot der Stunde, um Probleme gemeinsam anzugehen und konstruktive internationale Partnerschaften aufzubauen und fortzuführen – auch oder gerade unter politisch widrigen Verhältnissen. „Sonst wird weder ein Vertrauensaufbau noch eine Wiederannährung gelingen“, meint Michael Quante.

Autorin: Kathrin Kottke

Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 2, 29. März 2023.

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