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Münster (upm).
DFG-Generalsekretärin Heide Ahrens über Diplomatie in der Wissenschaft und mehr Achtsamkeit<address>© stock.adobe.com - royyimzy / goldmarie design</address>
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„Es wird eine Gratwanderung bleiben“

DFG-Generalsekretärin Heide Ahrens über Diplomatie in der Wissenschaft und mehr Achtsamkeit

Internationaler Austausch und Kooperationen sind für Universitäten eine Selbstverständlichkeit. Denn nur durch die Zusammenarbeit können globale Herausforderungen gelöst werden. Doch das Spannungsfeld zwischen unserer eigenen Werteordnung, wie etwa unseren Vorstellungen von Rechtsstaatlichkeit und Wissenschaftsfreiheit, und abweichenden Wertesystemen in Partnerländern wächst stetig. Im Interview mit Norbert Robers spricht Dr. Heide Ahrens, Generalsekretärin der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), über Diplomatie in der Wissenschaft.

Das Thema des Umgangs mit Wissenschaftlern aus politisch-gesellschaftlich umstrittenen Staaten oder Diktaturen hat durch den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine an Dramatik gewonnen. Andererseits wird dies für die DFG auch vor diesem Krieg schon ein Thema gewesen sein, oder?

Dr. Heide Ahrens<address>© Lorenz</address>
Dr. Heide Ahrens
© Lorenz
Die Förderung von Kooperationen mit Partnerländern, in denen die Wissenschaftsfreiheit nicht oder nur teilweise gewährleistet ist, hat die DFG in der Tat bereits lange vor dem Angriffskrieg Russlands mit Sorge beobachtet. Andererseits hat die wissenschaftliche Zusammenarbeit vielseitige, langjährige und vertrauensvolle Beziehungen der Wissenschaftler, aber auch der Partnerorganisationen bewirkt. Die Förderung der internationalen Zusammenarbeit ist eine Satzungsaufgabe der DFG, die Wissenschaftsfreiheit ist für uns ein zentrales Gut. In autoritär regierten Staaten wird jedoch gerade freies, wissenschaftliches Arbeiten und damit eine unabhängige, neugiergetriebene Erkenntnissuche durch staatliche Einflussnahme erheblich erschwert oder sogar verhindert. Leider haben in Zeiten der Pandemie weltweit staatliche Einflussnahmen auf das wissenschaftliche Arbeiten deutlich zugenommen.

War beziehungsweise ist also der kooperative Ansatz mit Blick auf Länder wie China oder Russland naiv?

Niemand geht davon aus, dass wir allein durch wissenschaftliche Kooperationen die Welt verändern können. Uns ist aber auch weiterhin an Diplomatie in der Wissenschaft gelegen, die in der internationalen Zusammenarbeit eine besondere Rolle spielt. Die globalen Herausforderungen wie der Schutz von Umwelt, Klima oder Biodiversität können nur von der Staatengemeinschaft gemeinsam bewältigt werden. Diese Fragen werden wir etwa ohne China nicht nachhaltig lösen können.

Wie bewertet denn nun die DFG konkret die Verhältnisse zu Russland und China?

Die Konsequenzen aus der Tatsache, dass der russische Präsident Wladimir Putin der Ukraine die territoriale Souveränität und nationale Identität abgesprochen hat, sind vielfältig. Wir haben uns unmittelbar nach Kriegsbeginn entschieden, die Förderung auf institutioneller Ebene vorerst auszusetzen – eine in der DFG-Geschichte beispiellose Entscheidung. So dürfen beispielsweise keine Daten oder Geräte mehr nach Russland transferiert werden. Wir hoffen allerdings sehr, dass die wissenschaftlichen Kontakte auf persönlicher Ebene Bestand haben werden. Zu China: Deutschland und China verbindet eine wertvolle, langjährige Partnerschaft in der Wissenschaft. Als Ausdruck dessen pflegt die DFG mit der Nationalen Stiftung für Naturwissenschaften aus China ein einzigartiges Joint Venture, das Chinesisch-Deutsche Zentrum. Gleichzeitig wird China zunehmend zu einem Wettbewerber und Konkurrenten mit deutlichen, nationalen Kerninteressen. Dadurch sind auch die wissenschaftlichen Kooperationen für die DFG als Forschungsförderer herausfordernder geworden, beispielsweise mit Blick auf den Datenschutz. In diesem Zusammenhang Vorkehrungen für mehr Handlungssicherheit zu treffen und damit die Awareness, die Achtsamkeit, zu stärken, halte ich für dringend erforderlich, nicht zuletzt auch um die partnerschaftliche Augenhöhe in Kooperationen zu gewährleisten.

Russland oder China sind für viele Beobachter eindeutige Fälle. Welche Empfehlungen oder Regeln hat die DFG für Länder wie beispielsweise Katar, Nordkorea oder die Türkei, bei denen es sich ebenfalls um Diktaturen beziehungsweise nicht unbedingt um lupenreine Demokratien handelt?

Die DFG schließt Kooperationsabkommen mit dem Ziel gemeinsamer Ausschreibungen mit jenen Ländern ab, mit denen es gemeinsame Standards gibt. Mit solchen Abkommen werden natürlich auch bestimmte Rahmenbedingungen festgehalten. Hierfür ist das sogenannte WEAVE-Abkommen zwischen der DFG und weiteren Forschungsförderorganisationen in Europa über eine Zusammenarbeit bei der Begutachtung und Förderung von bi- bis trilateralen grenzüberschreitenden Forschungsprojekten ein schönes Beispiel. Mit vielen Ländern dieser Welt haben wir jedoch keine Abkommen, in erster Linie, weil es hierfür aus der Wissenschaft wenig Bedarf gibt.

Aber auch das schließt nicht aus, dass einzelne Wissenschaftler aus Deutschland mit Kollegen in Katar oder Nordkorea kooperieren?

Das stimmt. Für Kooperationen mit Partnern in Ländern, die einem anderen politischen Wertesystem unterliegen, empfehlen wir, besondere Aufmerksamkeit auf die Wahrung schutzbedürftiger Interessen zu richten. Jede und jeder Einzelne sollte sehr genau hinschauen, mit wem er oder sie kooperiert und Daten teilt. Wir räumen der allgemeinen Sensibilisierung und der Risikoverringerung in allen Kooperationen einen hohen Stellenwert ein.

Andererseits, das sagen zumindest die Befürworter, sei der Kontakt zur Zivilgesellschaft gerade in solchen Staaten sehr wichtig.

Das sehen wir auch so. Nehmen wir den Iran. Eine äußerst schwierige Situation. Die Wiederherstellung der wissenschaftlichen Kontakte nach den leider nur kurzzeitig sich andeutenden politischen Veränderungen 2015 war sehr mühsam. So sehr wir uns auch mit den öffentlichen Protesten, die gegen das iranische Regime gerichtet sind, persönlich solidarisieren – mit einer öffentlichen Positionierung würden wir die zarten Pflänzchen der Zusammenarbeit in der Wissenschaft dauerhaft unmöglich machen und unsere Partner vor Ort womöglich gefährden.

Es ist und bleibt also auch in der Wissenschaft bei der vielzitierten Gratwanderung?

So ist es. Die Kontakte, die sich durch die Wissenschaft ergeben, sind oft hilfreich und von großem Wert – gerade auch für Wissenschaftler aus den von Ihnen beispielhaft genannten Ländern. Die ursprüngliche Hoffnung, dadurch mittelfristig zu einem gesellschaftlichen oder politischen Wandel beizutragen, hat sich leider nur teilweise realisiert. Nichtsdestotrotz halten wissenschaftliche Kooperationen Informationskanäle in beide Richtungen offen. Es ist daher unsere Linie, unsere Kontakte solange wie möglich aufrechtzuerhalten. Das wird auf absehbare Zeit eine Gratwanderung bleiben.

 

Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 2, 29. März 2023.

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