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Münster (upm).
Vor drei Jahren, am 11. März 2020, erklärte die Weltgesundheitsorganisation WHO den Coronaausbruch zur Pandemie.<address>© unsplash.com - Fusion Medical Animation</address>
Vor drei Jahren, am 11. März 2020, erklärte die Weltgesundheitsorganisation WHO den Coronaausbruch zur Pandemie.
© unsplash.com - Fusion Medical Animation

„Ich hoffe, dass man die Krisenpläne auf dem neuesten Stand hält“

Vor drei Jahren nahm die Coronapandemie ihren Lauf – Virologe Stephan Ludwig im Gespräch

Die ersten Infektionen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 wurden Ende 2019 registriert, zunächst als „mysteriöse Lungenkrankeit“ in China. Vor genau drei Jahren, am 11. März 2020, erklärte die Weltgesundheitsorganisation WHO den Ausbruch zur Pandemie. Prof. Dr. Stephan Ludwig, Direktor des Instituts für Virologie der Universität Münster, blickt im Gespräch mit Christina Hoppenbrock auf diese turbulente Zeit zurück, beleuchtet die Entwicklungen in der Forschung und bewertet die Gefahr kommender Pandemien.

 

Prof. Dr. Stephan Ludwig erforscht seit drei Jahren SARS-CoV-2.<address>© WWU - Michael Möller</address>
Prof. Dr. Stephan Ludwig erforscht seit drei Jahren SARS-CoV-2.
© WWU - Michael Möller
Die Maskenpflicht im ÖPNV und die Isolierungspflichten für Corona-Infizierte sind in NRW vor einigen Wochen ausgelaufen. Ist die Pandemie nun vorbei?

Covid-19 ist immer noch eine weltweit auftretende Infektionserkrankung. Aber die pandemische Lage hat sich entspannt, unter anderem, weil hierzulande viele Menschen geimpft sind oder die Infektion bereits durchlaufen haben. Die Pandemie ist in eine Endemie übergegangen. SARS-CoV-2 wird uns erhalten bleiben, aber wir müssen nicht mehr von größeren Problemen ausgehen.

Wenn Sie gute drei Jahre zurückdenken, an die ersten Nachrichten über den Ausbruch einer neuen Infektionskrankheit in China und an die Wochen danach – wann und wodurch wurde Ihnen die Tragweite bewusst?

Im Januar 2020 – als es den ersten Fall in Deutschland gab, der sehr schnell unter Kontrolle gebracht wurde – ging ich davon aus, dass wir nur wenige Monate mit dieser Krankheit zu tun haben würden. Diese Einschätzung hat sich schnell geändert. Zum einen habe ich hier am Universitätsklinikum Münster erlebt, wie die erste Welle von Coronapatienten behandelt wurden und was das bedeutet. Die Ausbruchszahlen stiegen bald unkontrollierbar, man konnte die Infektionswege nicht mehr gut nachverfolgen. Im März 2020 folgte das Drama im italienischen Bergamo …

… bei dem innerhalb weniger Wochen 4500 Menschen starben.

Spätestens zu diesem Zeitpunkt war mir die massive Tragweite bewusst.

Fürchten Sie noch böse Überraschungen durch andere Virusvarianten?

Nein. Das Virus ist evolutionär betrachtet in die Enge geraten und kann keine fundamentalen Veränderungen mehr durchmachen. In der Bevölkerung gibt es inzwischen eine grundlegende Immunität, die auch gegen neue Varianten einen gewissen Schutz bietet. Und die Menschen, die in den Kliniken arbeiten, wissen mittlerweile sehr genau, wie man schwere Fälle erfolgreich behandelt. Daher sind Infizierte im Krankenhaus sehr gut versorgt.

Wie sieht es mit den möglichen Langzeitfolgen aus?

Alles, was mit Long Covid zu tun hat, übersehen wir noch nicht gut. Das Bild ist momentan sehr diffus, weil es so viele unterschiedliche Symptome gibt, beispielsweise Abgeschlagenheit, Kurzatmigkeit oder Konzentrationsstörungen. Es wird intensiv erforscht, aber es wird noch einige Zeit dauern, bis man genau versteht, was im Körper passiert und wie man Long Covid behandeln kann.

Inwieweit haben die vergangenen Jahre die Forschung in Ihrem Bereich beeinflusst?

Die Einschränkungen haben dazu geführt, dass wir unsere Labore nicht mit der üblichen Besetzung belegen durften. Aber da unsere Forschung systemrelevant ist, konnten wir zumindest auch während der Lockdowns arbeiten. Wir haben zu Beginn der Pandemie mit der SARS-CoV-2-Forschung losgelegt. Es gab umfangreiche Förderungen, beispielsweise von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und mehreren Ministerien. Es war natürlich gut, schnell Geld zu erhalten, aber wir mussten uns auch gründlich überlegen, ob wir die Projekte langfristig zum Erfolg führen können. Denn die Finanzierungen waren nur kurzfristig, und das bedeutet oft, dass angefangene Projekte später brachliegen und neu eingestellte Mitarbeiter wieder entlassen werden müssen.

Was war der größte Forschungserfolg Ihrer Gruppe?

Wir arbeiten an neuen Strategien, um Viren, die die Atemwege befallen, zu bekämpfen – unser Schwerpunkt war vor Corona die Grippe. Anfang der 2000er Jahre hatten wir eine in der Fachwelt kontrovers diskutierte Idee: Unser Wirkstoff greift nicht das Virus selbst an, sondern wirkt an der Zelle, die das Virus zur Vermehrung benötigt. Während der Pandemie konnten wir zeigen, dass der Ansatz, der bei Influenzaviren hilft, auch bei SARS-CoV-2 wirksam ist. Den entsprechenden Wirkstoff hat das gemeinsam mit Kollegen aus Tübingen und Gießen gegründete Start-up ‚Atriva Therapeutics‘ weiterentwickelt und er hat nun die klinischen Studien der Phase II erfolgreich durchlaufen. Damit gibt es jetzt die Basis, um ein neues Medikament zu entwickeln. Im Hinblick auf die Coronakrise ist es jetzt natürlich zu spät, aber der Ansatz kann in Zukunft gegen verschiedene virale Erreger helfen. Aus akademischer Perspektive haben wir unser Ziel erreicht: Die ursprünglich umstrittene Hypothese hat sich tatsächlich als klinisch wirksamer Ansatz erwiesen.

Hat die Pandemie grundsätzlich etwas Positives mit sich gebracht?

Schön war der Zusammenhalt in der wissenschaftlichen Community: Die NRW-Virologen haben sich wöchentlich per Videokonferenz getroffen, wir haben uns weltweit mit Fachkollegen ausgetauscht und es haben sich neue Netzwerke gebildet. Jeder hat an das Vorankommen im Sinne der Sache gedacht und nicht an persönliche Befindlichkeiten. Es gab große gegenseitige Unterstützung und Vertrauen zum Wohle des Erkenntnisgewinns.

Als im Jahr 2009 die sogenannte Schweinegrippe grassierte, eine Form der saisonalen Grippe, warnten Sie und andere Experten vor den möglichen Gefahren einer Pandemie. Die Warnung, so schien es, wurde zumindest in Teilen der Bevölkerung nicht ernst genommen, und Millionen von Impfdosen verfielen. Sind die Menschen durch Corona eher bereit, auf den Rat aus der Wissenschaft zu hören?

Die Dimension der Coronakrise hat die Menschen so beeindruckt, dass sie zumindest in den nächsten Jahren eher auf die Wissenschaft hören werden. Die ‚Schweinegrippe‘ war zwar eine Pandemie, zum Glück jedoch nicht so aggressiv. Aber ich würde nicht sagen, dass es eine Überreaktion war, so viel Impfstoff herzustellen, denn es hätte anders kommen können – wir haben einfach großes Glück gehabt. Es war wie eine Übung mit einem wenig gefährlichen Erreger. Leider gerät so etwas schnell in Vergessenheit, und die Pandemiepläne, die damals gemacht wurden, lagen zu lange in der Schublade und waren nicht mehr auf dem aktuellen Stand. Ich hoffe, dass man die Vorsorge künftig ernst nimmt und die Krisenpläne auf dem neuesten Stand hält.

Unter Vögeln grassiert der „Vogelgrippe“-Erreger H5N1 besorgniserregend. Von Vögeln kann er nur bei engem Kontakt auf Säugetiere übertragen werden. Vor Kurzem hat sich der Erreger in Spanien auf einer Nerzfarm jedoch dem Anschein nach erstmals von Nerz zu Nerz, also von Säugetier zu Säugetier, verbreitet; Experten sind alarmiert. Wird H5N1 das neue Corona?

H5N1 ist eine massive Pandemie bei Vögeln. Das Virus ist in den frühen 2000er-Jahren immer mal wieder sporadisch auf den Menschen übergesprungen und hat Menschen getötet, aber immer nur nach sehr engem Kontakt zwischen Menschen und Vögeln. Darüber hinaus hat das Virus es bislang nicht geschafft. Insofern muss man das, was jetzt bei den Nerzen passiert ist, genau im Auge halten.  

Die schiere Menge von H5N1-Virus auf der Welt macht die Entstehung von neuen Varianten jederzeit möglich. In dieser Hinsicht ist die Gefahr größer als je zuvor. Das heißt, es ist möglich, dass das Virus auch eine Pandemie beim Menschen verursacht.

Das klingt bedrohlich.

Es geht nicht um Panikmache. Aber man muss aufseiten der Forschung gewappnet sein. In den nächsten Jahren werden wir sehr viel weniger Geld für die Infektionsforschung haben als während der Coronakrise. Eigentlich müsste man die Forschung intensivieren, denn die nächste Pandemie wird kommen. Man weiß nicht wann und mit welchem Erreger. Aber vielleicht kommt sie schneller, als uns lieb ist. Der Klimawandel, die größer werdende Weltbevölkerung, die steigende Mobilität und das Vordringen des Menschen in immer neue Gebiete spielen dabei eine Rolle.

Welche Erreger kommen sonst noch für die nächste Pandemie infrage?

Man kann die Art der Erreger abschätzen: Influenzaviren und Coronaviren sind heiße Kandidaten. Und die Übertragung wird über Aerosole vonstattengehen. Solche Erreger bekommt man nicht einfach unter Kontrolle. Außerdem wird es ein Erreger sein, der erst vor Kurzem vom Tier auf den Menschen übertragen wurde. Daher müssen wir die Zoonosen in den Blick nehmen – genau das machen wir hier an der Universität Münster als Teil der Nationalen Forschungsplattform für Zoonosen.

 

 

 

Anlässlich des Stichtags 11. März 2020 – drei Jahre Coronapandemie – gibt es zwei weitere Beiträge:

Eine Mitarbeiterin der Universität Münster berichtet im Video über die Langzeitfolgen einer Coronainfektion. Sie beschreibt, wie sich ihr Arbeitsalltag verändert hat und wie sie die WWU und ihr Team am Fachbereich Chemie und Pharmazie dabei unterstützt haben. Das Video ist auf MyWWU zugangsbeschränkt zu sehen.

Bei Instagram berichtet eine Studentin, die an der WWU Deutsch und Musik im Master of Education studiert, über die Auswirkungen von Long Covid auf ihr Leben und ihr Studium. Im Videointerview erzählt sie über verständnisvolle Dozierende und Mitstudierende und über die von ihr mitgegründete Selbsthilfegruppe.

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