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Münster (upm/ch).
Dr. Charlotte Teschers entwickelte eine neue Methode, um komplexe, fluorierte Zucker herzustellen.© privat
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„Es war viel Mühe, bis ich die Reaktionen kontrollieren konnte“

Charlotte Teschers entwickelte eine automatisierte Herstellungsmethode für „Glykomimetika“

Ein Projekt, eine Forscherin und fünf Jahre intensiver Arbeit: Dr. Charlotte Teschers hat im Rahmen ihrer Doktorarbeit bei Prof. Dr. Ryan Gilmour am Organisch-Chemischen Institut eine neue Methode entwickelt, um komplexe, fluorierte Zucker herzustellen. Dazu setzte sie eine spezielle Maschine ein, die Kohlenhydrate automatisiert produziert – einen „Glyconeer“. Warum die Zuckerketten so wichtig sind und ihre Herstellung trotz der Maschine so kompliziert ist, darüber sprach Charlotte Teschers, die inzwischen am „Technion – Technologisches Institut für Israel“ in Haifa forscht, mit Christina Hoppenbrock.

 

Kohlenhydrate bringt man mit Cornflakes und Pasta in Verbindung. Was ist für Chemiker so spannend an Kohlenhydraten?

Diese Zuckerketten, die wir auch Glykane nennen, sind unglaublich vielseitig – vielleicht sogar die vielseitigste Molekülklasse. Kurze Zuckerverbindungen sind Energielieferanten. Lange Glykane können strukturgebend sein – ein Beispiel ist die Zellulose in Pflanzen. Was in der Öffentlichkeit weniger bekannt ist: Kohlenhydrate haben im Organismus weitere Aufgaben. Beispielsweise kommen ganz verschiedene Zucker in Verbindung mit Proteinen auf der Oberfläche von Zellen vor. Sie spielen unter anderem eine Rolle bei der Erkennung von Zellen durch die Immunabwehr. Über die Funktion der Kohlenhydrate im Körper weiß man aber noch längst nicht alles, und vieles ist schwer zu erforschen. Glykane werden zur Molekülmarkierung und damit zur Sichtbarmachung biochemischer Prozesse in lebenden Zellen eingesetzt, aber auch als Arzneimittel. Andere Glykane sind Kandidaten für mögliche neue Wirkstoffe.

Was ist das Besondere an „Ihren“ Glykanen?

Die von uns erstmals automatisiert hergestellten Glykane werden ,Glykomimetika‘ genannt – darin steckt der Begriff ,Mimese‘, also eine Tarnung durch Nachahmung der Umwelt. Die Glykomimetika sehen fast genauso aus wie natürliche Zucker und verhalten sich chemisch betrachtet auch so. Doch sie sind besonders stabil und gehen weniger unerwünschte Reaktionen ein als natürliche Zucker. Unser Trick ist: Wir bauen ein Fluoratom ein. Während das Original schlecht zu untersuchen ist, weil es zerfällt, können wir mithilfe der ,biomimetischen‘ Variante Informationen sammeln: An welcher Stelle bindet der Zucker an ein Protein? Wie funktioniert diese Bindung im Detail? Der fluorierte Zucker ist einer Strukturanalyse viel zugänglicher. Außerdem benötigt man stabile Glykane, wenn man sie zur Markierung oder als Wirkstoffe einsetzen möchte.

Warum ist die Automatisierung in der Grundlagenforschung überhaupt interessant? Sie wollen doch keine großen Mengen an Substanzen herstellen ...

Es ist eine Fehlannahme, dass wir durch die Automatisierung große Mengen herstellen. Im Gegenteil, auf konventionellem Weg, also mit klassischer Synthese, können wir ungefähr die zehnfache Menge in der gleichen Zeit herstellen.

Der Grund der Automatisierung ist also nicht, dass man viel von den einzelnen Zuckern benötigt?

Genau. Das Gerät hilft uns vielmehr dabei, viele unterschiedliche neue Zucker herzustellen. Man kann durch theoretische Überlegungen ungefähr vorhersagen, welchen Zucker man für einen bestimmten Zweck benötigt. Aber das genaue Muster ist meistens nicht bekannt – und durch diverse kleine Unterschiede in einer Zuckerkette gibt es unzählige infrage kommende Varianten. Ich kann mithilfe des Geräts eine sogenannte Bibliothek dieser Varianten innerhalb von etwa einer Woche aufbauen. Die klassische Synthese einer einzigen dieser Zuckerstrukturen würde bedeutend länger dauern als die Herstellung der gesamten Bibliothek in der Automatisierung. Die Glykane der Bibliothek kann man auf ihre Wirkung hin prüfen. Wenn man dann weiß, welche Variante die passende ist, kann man sie im Folgenden auf klassischem Weg herstellen.

Aber der „Glyconeer“ ist keine neue Erfindung – warum war Ihre Arbeit eine solch große Herausforderung?

Der Schein trügt, leider ist das Problem der Kohlenhydrat-Herstellung noch längst nicht gelöst. Obwohl es das automatisierte Verfahren schon seit etwa zwanzig Jahren gibt, arbeiten nicht viele Forschungsgruppen damit – außer der Gruppe von Ryan Gilmour sind es weltweit vielleicht eine gute Handvoll, und das Unternehmen, das das Gerät vertreibt, baut es nur auf Anfrage. Besonders der große Bereich der Glykomimetika, mit dem ich mich beschäftigt habe, ist nicht gut untersucht. DNA beispielsweise kann man leicht automatisiert herstellen, man gibt die nötigen Bausteine zusammen und eine Maschine erledigt den Rest. Bei Glykanen ist das nicht so einfach: Ein Problem ist, dass bei jeder Reaktion immer mindestens zwei verschiedene Varianten des Produkts entstehen können – mit winzigen Unterschieden in der Struktur, aber entscheidenden Unterschieden, was die Funktion und Wirksamkeit des Moleküls angeht. Es war viel Mühe, bis ich die Reaktionen so kontrollieren konnte, dass nur die gewünschte Variante entsteht.

Wer profitiert von dem von Ihnen entwickelten Verfahren?

All diejenigen, die auf dem Gebiet der Glykane forschen, haben nun ein größeres Spielfeld, auf dem sie sich austoben können. Wir hoffen zudem, dass auch diejenigen, die bislang noch nicht damit arbeiten, profitieren. Denn die Glykomimetika sind aufgrund ihrer chemischen Eigenschaften deutlich einfacher zu handhaben und viel besser in lebenden Zellen einzusetzen als die Zucker ohne Fluoratome. Für den Einsatz in der biomedizinischen Forschung ist das ein interessanter Aspekt.

 

 

Originalveröffentlichung:

Charlotte S. Teschers, Ryan Gilmour (2022): Fluorine-Directed Automated Mannoside Assembly. Angewandte Chemie International Edition; DOI: 10.1002/anie.202213304

 

Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 8, 21. Dezember 2022.

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