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Münster (upm/nor/anb).
Prof. Dr. Katerina Stathi forscht und lehrt seit 2018 am Germanistischen Institut der WWU.<address>© Stefanie Lippert</address>
Prof. Dr. Katerina Stathi forscht und lehrt seit 2018 am Germanistischen Institut der WWU.
© Stefanie Lippert

„Sprache hat nicht die Funktion, Gerechtigkeit abzubilden“

Interview mit der Sprachwissenschaftlerin Katerina Stathi über das Gendern

Mehrere Hundert Sprachwissenschaftler aus ganz Deutschland haben sich gegen Gendern im öffentlich-rechtlichen Rundfunk positioniert. Die „sogenannte gendergerechte Sprache“ sei ideologisch, missachte gültige Rechtschreibnormen und produziere „sozialen Unfrieden“. Zu den Unterzeichnern gehört Dr. Katerina Stathi, die seit 2018 eine Professur für deutsche Sprachwissenschaft am Germanistischen Institut der WWU innehat. André Bednarz und Norbert Robers sprachen mit der Linguistin über das Positionspapier und über die aktuelle gesellschaftliche Debatte.

Sie sprechen sich gegen die Genderpraxis im öffentlich-rechtlichen Rundfunk aus. Sind Sie also gegen Geschlechtergerechtigkeit in der Sprache?

Ich bin selbstverständlich nicht gegen Geschlechtergerechtigkeit. Aber Sprache hat nicht die Funktion, Gerechtigkeit abzubilden, sie kann nicht das Spielfeld dieser Diskussion sein. Ich habe bereits Probleme mit Begriffen wie ,geschlechtergerechte‘ und ,geschlechtersensible Sprache‘. Denn diese Begriffe implizieren – und das sollen sie wohl auch ausdrücklich –, dass diejenigen, die diese Praxis mitmachen, gerecht und sensibel sind. Das sind allerdings moralische Kategorien, die in dieser mittlerweile ideologisch geprägten Diskussion fehl am Platze sind. Ich plädiere deswegen dafür, neutrale Begriffe wie ,Gendern‘ oder ,gegenderte Sprache‘ zu verwenden.

Warum haben Sie den Aufruf unterzeichnet?

Weil er meiner Meinung entspricht und weil er wissenschaftliche Argumente in dieser Sache auf den Punkt bringt. Als ein Kollege von einer anderen Universität mir diesen Aufruf zuschickte, war für mich schnell klar, dass ich mich in dieser Frage auch öffentlich positionieren will – zumal zahlreiche namhafte und geschätzte Kollegen zu den Unterzeichnern zählen. Ich bewerte die Genderpraxis im Übrigen grundsätzlich sehr kritisch, nicht nur im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Aber dieser hat aufgrund seiner Vorbildfunktion und des Neutralitätsgebots eine besondere Verantwortung, wenn es um den Einsatz von Sprache geht.

Sie fordern in dem Aufruf eine kritische Neubewertung des Sprachgebrauchs auf ,sprachwissenschaftlicher Grundlage‘. Fehlt es bislang daran?

Ja, definitiv.  Denn die Debatte wird moralisch-ideologisch geführt.

Beispielsweise das Argument, dass Frauen in der Sprache unsichtbar sind …

Das stimmt nicht. Sie spielen auf das generische Maskulinum an. Es handelt sich dabei um die sogenannte unmarkierte Form …

… die mit der maskulinen Form identisch ist.

Richtig. Fakt ist aber auch, dass diese Form immer dann zur Verfügung steht und benutzt wird, wenn das Geschlecht irrelevant ist. Das ist ja das Kernproblem: dass die Befürworter der Genderpraxis das grammatische mit dem biologischen Geschlecht vermengen. Das ist schlicht falsch. Wenn ich beispielsweise sage, dass ich morgen zum Arzt gehe, dann möchte ich meinem Gegenüber bewusst keine weiteren Informationen geben, etwa über das Alter, die Größe, die Haarfarbe, die Nationalität, die Fachrichtung oder eben über das Geschlecht des Arztes. Es geht mir ausschließlich um den Beruf, um den Berufsstand. Und deswegen sage ich: Ja, es stimmt, dass Frauen in diesem Fall unsichtbar sind – aber ausschließlich aus dem Grund, dass es gar nicht um das Geschlecht des Arztes geht. In diesen Fällen, in denen das Geschlecht also irrelevant ist, bedienen sich die Sprachen der kürzesten Formen – weil in der Kommunikation Ökonomie wichtig ist. Außerdem ist Sprache grundsätzlich unterspezifiziert. Das heißt, dass wir in der Kommunikation sehr viele Details auslassen. Die Pragmatik, also der Kontext und unser Weltwissen, reichern die Bedeutung in einer konkreten Gesprächssituation an.

Was bedeutet das konkret?

Das lässt sich auf die Formel bringen: je mehr Bedeutung, desto mehr Form. Das beste Beispiel dafür ist der Plural. Formen in der Mehrzahl sind immer länger als Formen im Singular. Wenn das Geschlecht also unwichtig ist, tendiert die Sprache zur kürzesten Form. Wenn man es aber braucht oder hervorheben möchte, dann bietet das Deutsche die Möglichkeit, etwa die Endung ,-in‘ zu verwenden. Wer also das Geschlecht betonen will, dass er also zu einer Ärztin geht, der hat eine entsprechende sprachliche Option. Jeder Sprecher kann entscheiden, welche und wie viele Informationen relevant sind.

Sind sich die Sprachwissenschaftler in dieser Bewertung einig?

Nein. Der Standpunkt, dass das generische Maskulinum Frauen unsichtbar macht, kommt aus der feministischen Linguistik und wird von den Befürwortern des Genderns vertreten.

Wobei man den Eindruck haben kann, dass sich immer mehr Menschen unabhängig von der wissenschaftlichen Bewertung für eine Abkehr vom generischen Maskulinum entscheiden.

Das nehme ich anders wahr. Diese Praxis gibt es in bestimmten Kreisen, etwa in manchen Medien, der Politik und in akademischen Gruppen. Aber wenn Sie den Menschen auf der Straße zuhören, dann ist das generische Maskulinum nach wie vor der Normalfall. Ich kenne auch viele Kolleginnen und Kollegen aus meinem beruflichen Umfeld, die genervt sind, dass man von ihnen erwartet, diese oder jene Form zu verwenden. Das gilt ebenfalls für viele Studierende.

Wie stehen Sie zu dem Vorwurf, dass diejenigen, die diese Praxis ablehnen, rückwärtsgewandt und konservativ sind?

Das trifft mich nicht, weil ich allein aus der Sprache heraus argumentiere. Die Begriffe, die Sie gerade verwendet haben, haben doch damit gar nichts zu tun – ich empfinde sie deswegen als unfair und unsachlich. Und es ist geradezu traurig, dass einige Nachwuchswissenschaftler offenbar aus Angst vor einer derartigen Stigmatisierung und aus Sorge um ihre berufliche Zukunft sich nicht trauen, ihre Meinung zu sagen.

Aber müssen nicht alle Menschen mit Sprachwandel zurechtkommen?

Natürlich. Aber bei der Gendersprache handelt sich eben nicht um Sprachwandel, bei dem auf natürliche Weise neue und sprachlich ,korrekte‘ Formen entstehen. Bei der Gendersprache handelt es sich dagegen um Vorgaben beziehungsweise Anordnungen. Das sieht man, wenn man über den Tellerrand schaut und andere Sprachen betrachtet. So wird beispielsweise versucht, im Neugriechischen das Gendern durchzusetzen. Sogar die Verfechter müssen zugeben, dass die vorgeschlagenen Formen weder strukturell möglich noch aussprechbar sind. Ein positives Beispiel für natürlichen Sprachwandel in diesem Zusammenhang ist der Begriff ,Gästin‘. Warum? Weil es sich um einen Analogieprozess handelt. Der Begriff ,Gast‘ ist bezüglich des Geschlechts unmarkiert, andererseits aber grammatisch ein Maskulinum. Deswegen assoziieren viele Sprecher diesen Begriff ausschließlich mit Männern und bilden von sich aus den Begriff ,Gästin‘ nach dem Muster ,Rat – Rätin‘ oder ,Arzt – Ärztin‘.

Kann man den Gebrauch des sogenannten Gender-Gaps oder des Sternchens nicht auch als Formen des natürlichen Sprachwandels verstehen?

Nein, sicher nicht. Diese Elemente betreffen die Schreibung und sind dem Schriftsystem fremd. Dabei handelt es sich nicht um Sprachwandel, sondern eindeutig um Sprachpolitik.

Aber lässt sich Sprachpolitik so eindeutig von normalem Sprachwandel unterscheiden?

Natürlicher Sprachwandel ist nicht abrupt, er braucht Zeit. Und Sprachwandel wird nicht verordnet – genau das ist aber bei der Genderpraxis der Fall. Es ist natürlich nicht ausgeschlossen, dass eine solche Anordnung auf lange Sicht von den Menschen akzeptiert wird und es so zum Sprachwandel kommt.

Der wohl am meisten akzeptierte Begriff ist mittlerweile ,Studierende‘. Was halten Sie von dieser Variante, also auch von Wörtern wie ,Teilnehmende‘ oder ,Mitarbeitende‘?

Ich halte vor allem bei der Verwendung des Singulars von diesen Partizipialformen nichts, weil es in der Einzahl nach wie vor eine Unterscheidung zwischen der männlichen und der weiblichen Form gibt. Es gibt die Formen ,ein Student‘ und ,eine Studentin‘ – warum sollte ich also im Singular von ,ein Studierender‘ sprechen? Der ideologisch geprägte Ansatz, unter allen Umständen die maskuline Form vermeiden zu wollen, zeigt sich auch bei dem Begriff ,der Einwohnende‘. Die Partizipialformen sind möglich für Verben, die einen Vorgang bezeichnen (wie ,teilnehmen‘), aber nicht einen Zustand (wie ,wohnen‘). Man sieht vielmehr an diesem Beispiel, welch absurden Züge es annimmt, wenn ich um jeden Preis möglichst alle Begriffe, die auf ,-er‘ enden, austauschen will.

Aber bei dem Begriff ,Studierende‘ funktioniert es doch.

Ja, aber eben nur im Plural, bei dem die Genusunterscheidung aufgehoben ist.

Welche Rolle spielt bei dieser Diskussion denn der Rat für deutsche Rechtschreibung, der immerhin für sich in Anspruch nimmt, die ,maßgebende Instanz für die deutsche Rechtschreibung‘ zu sein?

Fakt ist, dass der Rat die von Ihnen genannten Formen nicht angenommen hat. Das bedeutet, dass sie nicht der amtlichen Rechtschreibung entsprechen. Es handelt sich also eindeutig um Rechtschreibfehler. Deswegen empfinde ich es auch als sehr kritisch, dass man einerseits allen Studierenden und Schülern jeden Kommafehler anstreicht, aber Gendersternchen und ähnliches durchsetzen möchte. Und es stimmt mich zudem bedenklich, dass wissenschaftliche Argumente ausgerechnet an vielen Bildungsinstitutionen keine Rolle mehr spielen.

Sicher haben auch Sie keine Glaskugel, mit deren Hilfe Sie die Zukunft vorhersagen können. Aber vielleicht wagen Sie eine Prognose: Wie wird die Diskussion über Gendersprache ausgehen?

Das ist schwer zu prognostizieren. Ich halte es aber für sehr unwahrscheinlich, dass sich das Gendern als Prinzip durchsetzt, weil es erstens nicht der Mehrheitsmeinung in der Bevölkerung entspricht und weil es zweitens vielen Prinzipien natürlicher Sprache widerspricht.

  

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