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Münster (upm/vl)
Frustrationstoleranz und Hartnäckigkeit haben sich gelohnt: Die Fachwelt feiert die Ergebnisse von Prof. Dr. Ralf Schindler (Bild) und seines Kollegen Prof. Dr. David Asperó als Meilenstein der Forschung auf dem Gebiet der Unendlichkeiten.<address>© WWU - Peter Leßmann</address>
Frustrationstoleranz und Hartnäckigkeit haben sich gelohnt: Die Fachwelt feiert die Ergebnisse von Prof. Dr. Ralf Schindler (Bild) und seines Kollegen Prof. Dr. David Asperó als Meilenstein der Forschung auf dem Gebiet der Unendlichkeiten.
© WWU - Peter Leßmann

Forschung mit unendlich viel Geduld

Ralf Schindler ist ein bahnbrechender mathematischer Beweis gelungen – ein Porträt

Einmal dachten sie schon, sie wären am Ziel. 2012 präsentierten Prof. Dr. Ralf Schindler und Prof. Dr. David Asperó ihrer Fachgemeinschaft einen Beweis, der zwei bisher rivalisierende Annahmen der Mengenlehre vereinen sollte. Kurz darauf musste das Forscherduo zurückrudern – ein Kollege hatte einen Fehler in ihren Ausführungen entdeckt. „Als Mathematiker braucht man auf jeden Fall eine hohe Frustrationstoleranz“, sagt Ralf Schindler, Professor am Institut für mathematische Logik und Grundlagenforschung der WWU Münster.

Trotz Rückschlägen am Ball zu bleiben, kann sich lohnen: Einige Jahre später kam David Asperó bei einer Autofahrt im Italienurlaub plötzlich die zündende Idee, wie ihr Beweis doch funktionieren könnte. Gemeinsam arbeiteten sie den Ansatz aus, den sie schließlich im Mai 2021 im Journal „Annals of Mathematics“ veröffentlichten. Die Fachwelt feiert das Ergebnis als Meilenstein der Forschung auf dem Gebiet der Unendlichkeiten, einem der theoretischen Fundamente der Mathematik. Bisher hatten Experten angenommen, man müsste sich zwischen den beiden untersuchten Annahmen – in der Mathematik Axiome genannt – entscheiden. Der neue Beweis zeigt hingegen, dass die eine aus der anderen folgt. Dies wird weitreichende Auswirkungen für andere Hypothesen der Mengenlehre haben.

„Dieser Beweis ist auf jeden Fall ein Highlight meiner Laufbahn“, unterstreicht Ralf Schindler ein Jahr später. Erstaunt und gefreut hat ihn, dass auch populärwissenschaftliche Medien wie das „Quanta Magazine“ und „Spektrum der Wissenschaft“ das Thema in Artikeln und Podcasts aufgriffen und ihn und David Asperó um Interviews baten.

Seine Faszination für Mathematik begann, als er mit 14 Jahren in der Bücherei seiner Heimatstadt Erlangen ein Buch über Infinitesimalrechnung entdeckte. „Ich wollte kapieren, was das Integralzeichen bedeutet.“ Eine Folge der geweckten Neugier: Mit 18 gewann er den Bundeswettbewerb Mathematik. Nach dem Zivildienst studierte er Logik und Wissenschaftstheorie in München. Zur Promotion zog es ihn dann doch zur Mathematik, er wurde Doktorand an der Universität Bonn. „Ich bin ein Quereinsteiger“, sagt er und lächelt.

Wer in der Wissenschaft Fuß fassen will, muss offen sein für Ortswechsel – das war ihm von Anfang an klar. Nach Stationen im amerikanischen Berkeley und in Wien kam er 2003 nach Münster. „Diese Zeit war rückblickend sehr prägend für mich. Als Postdoc in Berkeley habe ich bei John Steel gearbeitet, einer Koryphäe auf dem Gebiet der Mengenlehre, der mir das richtige Handwerkszeug mitgegeben hat. In Wien hatten wir einen tiefen Austausch unter den jungen Wissenschaftlern; die stundenlangen Diskussionen haben uns alle enorm weitergebracht.“ Dort lernte er auch David Asperó kennen, der heute Professor an der University of East Anglia ist – der Start einer langjährigen und fruchtbaren Zusammenarbeit.

Der Austausch über Ländergrenzen hinweg ist für Ralf Schindler ein wichtiger Aspekt seines Berufs. Immer wieder verbringt er mehrmonatige Forschungsaufenthalte im Ausland, zum Beispiel in den USA, Katalonien, Schweden oder Singapur. Besonders auf dem Gebiet der inneren Modelltheorie, seinem Haupt-Forschungsgebiet, empfindet er die weltweite Fachgemeinschaft als „familiär und kooperativ“.

Ralf Schindler ist froh, dass er an der WWU die Möglichkeit hat, seine Arbeitsgruppe auszubauen, auch unterstützt durch den seit 2019 geförderten Exzellenzcluster Mathematik Münster. „Wir gelten in Europa mittlerweile als Hotspot für innere Modelltheorie – das macht es leichter, vielversprechenden Nachwuchs anzuziehen.“

Wie schafft man es, die Bodenhaftung zu behalten, wenn man tagein, tagaus mit abstrakten und hochkomplexen Theorien beschäftigt ist? „Dafür sorgen meine Freunde und vor allem meine Familie“, sagt er. Drei Kinder gehören dazu – die älteste Tochter ist 33, die jüngste zehn Jahre alt – sowie ein Enkelsohn. Als neue Leidenschaft ist seit dem vergangenen Jahr das Motorradfahren dazugekommen. Es könnte also durchaus sein, dass ihm demnächst ein Geistesblitz zu einem ungelösten mathematischen Problem kommt, während er auf seiner Maschine durchs Münsterland kurvt ...

Autorin: Victoria Liesche

Dieser Text stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 3, 4. Mai 2022.

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