Neuer Brückenbauer am Alten Steinweg
Am Ende ging alles sehr schnell. So schnell, dass die Universität Utrecht sogar die Kündigungsfrist wohlwollend ignorierte und im Sinne der engen deutsch-niederländischen Partnerschaft und aus persönlicher Wertschätzung Prof. Dr. Jacco Pekelder zügig in Richtung WWU Münster ziehen ließ. Das rasche Verfahren hat zur Folge, dass der Niederländer an diesem diesigen Mittwoch in seinem hallenden Büro steht, nur das Nötigste ist darin zu finden, die nackten Glühbirnen ragen aus der Decke. Seit dem 1. Oktober leitet der Experte für Neuere und Neueste Geschichte der Niederlande das Zentrum für Niederlande-Studien (ZNS) im Krameramtshaus am Alten Steinweg. „Die Möbel sind noch nicht da, man hört ja derzeit überall von Lieferproblemen“, kommentiert Jacco Pekelder die Szenerie und lacht. Obwohl er gerade erst den Stuhl für seinen Gesprächspartner aus einem anderen Büro geholt hat, schlägt der Historiker vor, das Gespräch nicht im kargen Elfenbeinturm zu führen, sondern ins MarktCafé zu gehen. An einem Markttag.
Jacco Pekelder zieht es zu den Menschen. Er beginnt das Gespräch nicht etwa damit, zu erklären, dass er der neue Direktor sei, Großes vorhabe und ein ausgewiesener Experte der deutsch-niederländischen Beziehungen sei. Stattdessen spricht er zuerst von den Lehrveranstaltungen, die er im ZNS geben darf. „Mir gefällt der ständige Kontakt mit den Studierenden. Es macht mir Spaß, ihr Wachsen über die Jahre mitanzusehen“, führt er aus, als er zum Amarettino greift, dem kleinen italienischen Keks auf seiner Untertasse, noch ehe er den ersten Schluck Kaffee zu sich nimmt. Das ZNS ist zwar, gemessen an den Studierenden- und Beschäftigtenzahlen, ein kleines Institut, doch das ist für Jacco Pekelder ein Vorteil. Einen kurzen Moment lang sucht der Niederländer nach dem passenden deutschen Wort für das Institut – und findet es: „Bienenstock“ – ein Synonym für Gemeinschaft und für Fleiß.
Jacco Pekelder hat aber nicht nur Anekdoten zu berichten. Er bewegt sich etwas unbehaglich auf der hellbraun gepolsterten Bank des Cafés, als er von einem Schulausflug nach Nordhorn in den 80ern erzählt. Der 17-jährige Jacco und seine Mitschüler sahen den Sporttag, der im Zeichen der Freundschaft stehen sollte, als Möglichkeit, den Deutschen einen mitzugeben. Sie waren geprägt von den antideutschen Ressentiments in den Niederlanden der 1970er und 80er Jahre – eine Folge der Weltkriegserfahrungen, aber auch der Umdeutung der Fußball-WM-Final-Niederlage 1974 als „Unrecht der Deutschen“ gegenüber den Niederländern. „Ich wurde wie die anderen fanatisch an diesem Tag und konnte noch nicht den freundschaftlichen Weg erkennen“, gibt er zu und lacht. Ihm ist anzusehen, dass er über seinen Wandel froh ist.
Obwohl sich auch im Großen laut Jacco Pekelder viel zum Guten gewandt hat, zu sehen in vielen Kooperationen der Nachbarländer, fordert er, dass die Niederländer erwachsener werden und die deutsch-niederländische Partnerschaft nicht nur als Wirtschaftsförderung verstehen. „Die Pflege der kulturellen Zusammenarbeit ist essenziell.“ Das betont er immer wieder, indem er das Wort „holistisch“ – ganzheitlich – benutzt. Jacco Pekelders Vision ist es, dass die niederländisch-deutsche Beziehung alle Lebensbereiche umfasst. Wie wichtig ihm das ist, bezeugt seine Euphorie, als er das von ihm erdachte praxisnahe Projekt „Popularisierung der Grenzregion“ ausführt. Mit ihm solle das ZNS zum „Mittler für das deutsch-niederländische Zusammenleben und -arbeiten“ werden. Die Idee sei nicht neu. Das Besondere daran sei es, dass nicht nur an einzelnen Projekten gearbeitet, sondern alles gebündelt werden und dem Ziel der guten Gemeinschaft zwischen den beiden Ländern folgen soll.
Jacco Pekelder spricht kritisch, aber nicht polemisch, differenziert, aber nicht abstrakt. Er interessiert sich für die Mitte, die „Grautöne“ zwischen Schwarz und Weiß, wie er sagt. Grobe, irreführende und falsche Bilder über die jeweiligen Nachbarn möchte er ändern. Er lehnt Bilder jedoch nicht grundsätzlich ab. Wichtig sei ihm, die Menschen so weit wie möglich an die Wirklichkeit heranzuführen. „Ein Fremdbild kann auch immer dazu genutzt werden, sich zu fragen, welche Wirkung man hat und ob der andere im eigenen Schaffen ausreichend berücksichtigt wird“, erläutert der Niederländer. Er selbst bezeichnet es als seine „zweite Natur“, ein „Brückenbauer“ und „Grenzgänger“ zu sein. Vieles deutet darauf hin: die Verbindung von Forschung und Lehre, Wissenschaftlern und Studierenden, der niederländischen Heimat und der Arbeit in und an Deutschland. Sein Privatleben ist ebenso geprägt von Gemeinschaft: Er ist Mitglied eines kleinen Filmclubs (sein Lieblingsfilm ist „Blade Runner“ mit dem Niederländer Rutger Hauer) sowie eines Musikclubs, in dem er früher auch sang.
Brücken zu bauen und Signale für eine engere gesellschaftliche, politische, kulturelle und wirtschaftliche Zusammenarbeit (hier verwendet er wohl unabsichtlich das aus dem Deutschen und Niederländischen zusammengesetzte Wort „zusammenwerken“) auszusenden, das verlangt der leidenschaftliche Europäer von der Politik. „Ich wünsche mir, dass der Trend der vergangenen 20 Jahre anhält und die politischen Akteure auf beiden Seiten der Grenze die Verbindungen zum Nachbarn weiter stärken.“ Er und das ZNS wollen dazu ihren Beitrag leisten. Wie es der Zufall will, läuft gegen Ende des dreistündigen Gesprächs auf dem Flachbildschirm im Café eine Zusammenfassung des Fußball-WM-Qualifikationsspiels Niederlande gegen Norwegen (2:0). Mit dem Rücken zum Fernseher sitzend, bekommt Jacco Pekelder davon allerdings nichts mit. Ohnehin ist es an der Zeit, den Weg zurück ins Institut zu bestreiten und sich, wenngleich nicht an den Aufbau der Möbel, an die deutsch-niederländische Arbeit zu machen.
Über das ZNS:
Das Zentrum für Niederlande-Studien (ZNS) wurde 1989 an der WWU gegründet. Seit dem Jahr 1995 ist es mit dem Institut für Niederländische Philologie und einer Bibliothek im „Krameramtshaus“, dem „Haus der Niederlande“, untergebracht. Das Krameramtshaus diente während der Verhandlungen zum Westfälischen Frieden ab 1648 den niederländischen Gesandten als Unterkunft.
Autor: André Bednarz
Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 8, 15. Dezember 2021.